Immer am finanziellen Limit leben (müssen)

vom 21.11.2021, 20:15 Uhr

Ich habe das Glück, dass ich sonst durch meine Arbeit relativ gut verdient habe, sodass es für mein Pony, den Hund und mich sehr gut zum Leben gereicht hat. Jetzt, wo ich Krankengeld bekomme, sieht es anders aus und ich muss mir jede Ausgabe mehrmals überlegen und frage mich dann immer, ob es denn jetzt wirklich so nötig ist irgendwas bestimmtes zu kaufen oder es nicht warten kann, bis ich wieder arbeiten gehe und wieder mehr verdiene, da ich nicht mein Sparkonto für “Luxusgüter” beziehungsweise eben auch Anschaffungen belasten möchte, wie zum Beispiel neue Kopfhörer oder eben ein neuer Kleiderschrank, wenn die alten Gegenstände noch absolut in Ordnung sind und funktionieren.

Jedoch gibt es viele Leute, die ihr ganzes Leben lang am finanziellen Limit leben müssen. Leider gibt es genug Leute, die trotz einer Vollzeitstelle sehr wenig Geld verdienen und damit dann nur knapp über die Runden kommen. Oft sind es aber auch Menschen, die eine normale Ausbildung gemacht haben, aber damit trotz sparsamen Leben ihre Fixkosten gradeso zahlen können und nicht wirklich viel auf die Seite legen können für Notfälle oder neue Anschaffungen. Einige davon verdienen dann aber zu viel um zur Tafel gehen zu können oder andere Organisationen diesbezüglich nutzen zu können.

Mir tun diese Leute doch sehr leid und ich stelle es mir sehr schwer vor, wenn man sein Leben lang am finanziellen Limit leben muss und nicht in der Lage ist sich am Ende des Monats auch mal was besonderes zu gönnen - auch, wenn es nur einmal auswärts Essen gehen ist. Viele geben sich jegliche Mühe und können nichts ändern, sodass sie teilweise bis zum Ende ihres Lebens “so leben müssen”.

Wie stellt ihr euch die ganze Sache vor? Denkt ihr, dass ihr bis an euer Lebensende in der Lage wärt immer am finanziellen Limit zu leben? Würde euch das belasten, wenn ihr ständig Angst haben müsst, dass eine extra Anschaffung oder eine Nachzahlung euer Konto in ein Minus bringt, was ihr über Monate hinweg ausgleichen müsst? Denkt ihr, dass die Leute selbst an ihren finanziellen Umständen schuld sind (zum Beispiel, weil sie Ausbildung XY gemacht haben oder eben viele Kinder bekommen haben,…) und dass jeder seine Lebensumstände ändern kann, wenn er es denn auch wirklich will?

» Hufeisen » Beiträge: 6056 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Wollen kann natürlich jeder alles mögliche. Die Frage ist nur: wer will das noch alles und wer ist dabei wie gut?

Mit der Psychologie des Lebens am Rand des "Existenzminimums" haben meiner Erfahrung nach die Menschen mehr zu kämpfen, als mit der Armut selbst. Armut ist hierzulande eine Schande. Es gibt Menschen, die in der Wohlfahrt arbeiten und sich da etwas persönliches herausziehen, doch wer auf der anderen Seite zu lange die Rückmeldung vom Rest der Gesellschaft bekommt, bedürftig zu sein, eine Randfigur zu sein oder selbst schon entsprechende "Signale" über den Lebensstandard allgemein, aber auch Körpersprache und Kommunikation setzt, kommt früher oder später in eine Art Sog. Der geht von den anderen aus, die von sich selbst annehmen, sie seien irgendwie "normal." Jene, die einfach an x verschiedenen Konsumkreisläufen teilnehmen und sich unter Umständen sogar die neuesten "ökologischen" Konsumprodukte leisten können: das zeigt Stärke.

Dieser Sog hat unter Umständen mehr Kraft, als alle Bemühungen, sich irgendwie einzigartig zu machen, leistungsoptimiert Zeichen zu setzten oder sonst wie über seinen Schatten zu springen. Einige geben dann innerlich auf, andere auch nach Außen hin. Meiner Erfahrung nach hat die hiesige Gesellschaft massive Probleme, dieses Problem überhaupt zu handeln. Es gibt eine private Almosenverwaltung, die Psychiatrie und die Behörden. Die arrangieren sich letztlich untereinander so, dass es für sie am besten läuft. Da kann man sich dann durchmogeln, ein bisschen tricksen und täuschen und sich nicht als Opfer ausbauen lassen. Das ist dann aber auch schon alles. Irgendwann merkt man, dass man abgehängt wurde und arrangiert sich damit.

Ich war viele Jahre berufstätig. Private Ereignisse sorgten dann dafür, dass ich nicht mehr mitkam. Viele Jahre lebte ich von weniger Geld, als ein Sozialhilfeempfänger, während ich in einer Sozialbehörde arbeitete. Dann schaffte ich auch das nicht mehr, weil die Arbeitsumstände und sozialen Beziehungen dort immer mieser wurden. Gleichzeitig litt ich sehr unter den Umständen, die man im "sozialen Wohnungsbau" antrifft. Als ich die ersten Male meinen "Eingliederungsvertrag" unterschrieb, hat es niemanden interessiert, was ich wirklich möchte. Wenn ich da gesagt hätte, ich möchte jetzt aber diesen oder jenen Beruf nochmal lernen, weil ich dieses oder jenes sehr gut kann, hätten die einfach nur das Thema gewechselt. Wer hätte denn die Ausbildung bezahlt- für einen Mann Ende 30?

Natürlich bin ich im Grunde selbst Schuld daran, daß ich inzwischen Frührentner bin und weiter auf andere angewiesen bin. Ich traf falsche Entscheidungen und jetzt treffe ich keine mehr. Ich kenne Leute aus meiner ehemaligen Schulklasse, die unfassbar viel Geld mit unglaublich wenigen Tricks generiert haben. Bei denen war das anders- aber die haben auch Angst: eben die richtige, vor dem "sozialen Abstieg."

Tatsächlich habe ich noch nie Leute getroffen, die abseits von 1Euro und 400 Euro Jobs arbeiten konnten- gerade nach einigen Jahren Hartz4. Tatsächlich interessiert es auch niemanden von den "hart arbeitenden Leuten", wie man da verwaltet wird und was das letztlich mit einem macht. Wirklich kenne ich nur Leute über Dritte, die tatsächlich kriminell wurden und so da heraus kamen. Sonst niemanden. Die Behörden interessieren sich ja auch nie dafür, wie man plötzlich prima leben kann- solange man nur für alles Steuern zahlt: mit eigener, netter Wohnung, Kühlschrank voll, gepflegtes Äußeres dazu, Auto bar bezahlt, freundlicher und netter Umgang. Wer dann Drogerie Im/Export betreibt, wird einfach in Ruhe gelassen.

Hart ist nur die ständige, mal mehr, mal weniger subtile Diskriminierung, die man immer wieder erfährt, wenn andere erfahren, dass man arm ist und in der Aufzählung da oben etwas fehlt. Niemanden interessiert doch im Grunde, wie es dazu kam. Ebenso wenig, wie es niemanden wirklich interessiert, wie andere unfassbar reich wurden. Das sind eben Kernbestandteile der Solidargemeinschaft- und der Leistungsgesellschaft.

Der Hohn ist in meinem speziellem Fall, dass nach 14 Jahren Hartz4 mir von der Behörde eine Berufsausbildung vorgeschlagen wurde, "welche Sie wollen." Das, nachdem ich immer wieder mit den üblichen Gängeleien über Jahre verwaltet wurde: Zwangsbewerbungen, monatelang, jahrelang keine Rückmeldung nötig, Bestrafung nach Urlaub, verhörartige Gespräche mit "Fall"- Managern und das immer wieder neue Ratespiel "rate mal, was wir mit Dir vorhaben. -Und dann sagst Du, das ist das, was Du gerne machen würdest."

So, wie alle anderen auch. Als ich dann kaputt genug war, hiess es dann, ich könne einen "Beruf meiner Wahl" erlernen- mit 52 Jahren- das Tüpfelchen auf dem "I".

» Rehbock » Beiträge: 42 » Talkpoints: 20,02 »


Hufeisen hat geschrieben:
Wie stellt ihr euch die ganze Sache vor? Denkt ihr, dass ihr bis an euer Lebensende in der Lage wärt immer am finanziellen Limit zu leben?


Nun ja, was wäre im extremen Zweifelsfall denn die Alternative? Sich am nächsten Baum aufknüpfen? Und was du da beschreibst, ist nun auch beileibe kein extremer Eins-zu-eine-Million-Sonderfall, sondern die Lebenswirklichkeit zahlloser Menschen auch in an sich reichen Industrieländern. Und dass nicht jedes alleinerziehende Elternteil (beträchtliches Armutsrisiko!), jede Rentnerin, die ihre finanzielle Absicherung zugunsten der Familie aufgegeben hat und jeder chronisch kranke oder behinderte Mensch dumm, faul, "arbeitsscheu" oder sonst wie "selber schuld" ist, sollte sich doch allmählich herumgesprochen haben.

Bei mir war es auch etliche Jahre lang finanziell ganz schön knapp. Rücklagen waren so gut wie gar nicht drin, und das Gehalt hat gerade so bis zum nächsten Geldeingang gereicht. Zwar war ich nie absolut am Hund, da mir im allerletzten Notfall noch die Familie ausgeholfen hätte, aber wer will schon mit knapp 40 noch die Eltern anbetteln? Aber auf vieles verzichten und sich Sorgen machen, ob die Waschmaschine abkackt, bevor es Weihnachtsgeld gibt, kenne ich durchaus. Und ist das das geilste Leben überhaupt? Nach meiner Erfahrung eher nicht. Aber viele Menschen müssen sich eben arrangieren und ja, auch "bis an ihr Lebensende" rechnen und knapsen.

Da ist es oft genug schon hilfreich, "diese Leute" nicht argwöhnisch zu bestaunen oder mit Verachtung und Herablassung zu behandeln, weil du dir selber so ein Leben nicht vorstellen kannst. Ich finde Leute, die wissen, wo das Geld herkommt und wo es hingeht, und dass es einen Unterschied zwischen Wünschen und Bedürfnissen gibt, auch oft persönlich sympathischer und interessanter als die ganzen verwöhnten Wohlstandsfratzen, die sich immer noch fragen, wieso Leute, die kein Brot haben, sich keinen Kuchen kaufen.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Es ist wirklich schwer vorstellbar, wie es ist, ein Leben lang am finanziellen Limit zu leben. Ich persönlich könnte mir das nicht vorstellen, vor allem nicht mit Familie. Es muss wirklich eine große Herausforderung sein, jeden Cent mehrmals umzudrehen und abzuwägen, was man wirklich braucht und was man sich leisten kann.

Ich denke, es gibt viele Faktoren, die dazu führen können, dass Menschen am finanziellen Limit leben müssen. Manchmal sind es äußere Umstände wie Krankheit oder Jobverlust, die sie in diese Situation gebracht haben, und manchmal sind es auch Entscheidungen, die sie getroffen haben, wie die Wahl einer schlecht bezahlten Ausbildung oder die Entscheidung, eine große Familie zu gründen.

Natürlich gibt es auch Menschen, die sich nicht bemühen, ihre finanzielle Situation zu verbessern, obwohl sie es könnten. Aber ich glaube nicht, dass das auf die meisten zutrifft. Viele Menschen arbeiten hart und tun alles, was sie können, um ihre Situation zu verbessern, aber es ist oft schwierig, einen Weg nach oben zu finden, wenn man einmal am Boden ist.

Ich denke, es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft Möglichkeiten schaffen, um Menschen aus der Armut zu helfen und ihnen die Chance zu geben, sich zu verbessern. Das kann durch Bildung, Unterstützung bei der Jobsuche oder finanzielle Hilfe geschehen.

Letztendlich denke ich, dass es uns allen besser geht, wenn es weniger Menschen gibt, die am finanziellen Limit leben müssen. Es ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch der wirtschaftlichen Stabilität und des sozialen Friedens.

» Aguti » Beiträge: 3109 » Talkpoints: 27,91 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Solche Zeiten habe ich auch schon hinter mir. Aber auch in Zeiten wo ich mir einfach die Dinge kaufen kann, die mir gefallen, hinterfrage ich bei mir die Notwendigkeit. Das habe ich schon immer so gemacht. Besonders aufgefallen ist mir das immer bei Kleidung. Wo andere drauf los kaufen, dann merken, dass sie gar nichts im Schrank haben, was dazu passt und dann wieder kaufen müssen, habe ich immer erst überlegt, ob ich genug passende Kleidung dafür habe.

Und so ist das bei vielen anderen Dingen bei mir auch. Ich überlege erst, ob ich es wirklich benötige oder ob es einfach nur eine Laune ist und bei vielen Dingen verzichte ich dann auch auf den Kauf.

Wobei ich aber auch die Erfahrung beim Leben am finanziellen Limit gemacht habe, dass man es trotzdem noch schafft Geld zu sparen. Zwar in sehr kleinen Schritten, aber es war durchaus möglich, wenn man nicht gleich große Summen zur Seite legen will.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


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