Durch unbegrenzten Urlaub zu Selbstaufgabe neigen?
Ich habe schon von einigen Unternehmen gehört, die ihren Mitarbeitern unbegrenzte Urlaubstage gönnen würden. In Deutschland hat man ja in der Regel eine begrenzte Anzahl an gesetzlichen Urlaubstagen und soweit ich weiß muss man die auch nehmen, damit diese nicht verfallen. Zumindest bei uns wird immer ziemlichen Stress gemacht, dass die Urlaubstage nicht verfallen, weil das bei uns nicht gerne gesehen wird.
Nun könnte man unbegrenzte Urlaubstage einerseits als positiv sehen, andererseits auch als negativ. So habe ich mal die Aussage eines Chefs gelesen, der seinen Mitarbeitern unbegrenzte Urlaubstage gewährt. Dieser meinte, dass die Mitarbeiter dann zufriedener wären und dann auch motivierter arbeiten würden. Böse Zungen könnten jetzt natürlich auch behaupten, dass die Mitarbeiter sich wegen der sozialen Kontrolle untereinander gar nicht trauen würden, deutlich mehr Urlaubstage zu nehmen. Schließlich könnte das negativ bei den Kollegen ankommen, wenn die ganze Arbeit an ihnen hängen bleibt, weil man selbst sich sonstwo vergnügt. So würden Mitarbeiter durch vermeintlich unbegrenzte Urlaubstage eher zur Selbstaufgabe und Überarbeitung genötigt werden, daher wäre das als negativ zu bewerten.
Ich hatte noch keinen Job, wo die Urlaubstage tatsächlich unbegrenzt waren, daher kann ich hier auch schlecht aus Erfahrung sprechen. Wie seht ihr das? Empfindet ihr unbegrenzte Urlaubstage eher als positiv oder als negativ und warum ist das so?
Ich glaube, das ist das Selbe wie das Modell der Vertrauensarbeitszeit. Im Grunde kann man dabei kommen und gehen, wie man möchte. Die Hauptsache dabei ist, dass die Arbeit eben erledigt wird. Mitunter kann man in diesem Modell auch häufig im Home-Office arbeiten. Ich glaube schon, dass dies sehr positive Aspekte mit sich bringt, weil es einige Stressfaktoren nicht gibt. Man muss keine Bahn früher nehmen, weil man Angst hat sich zu verspäten. Man kann den ein oder anderen privaten Termin beliebig einplanen oder bei schlechtem Wetter zu Hause etwas tun.
Auf der anderen Seite hat man allerdings festgestellt, dass solche Mitarbeiter tatsächlich in der Regel länger arbeiten. Was ich jetzt selbst nicht so schlimm finde. Mir macht so etwas zum Beispiel nichts aus, wenn das meine eigene Entscheidung ist. Allerdings neigt man wahrscheinlich dazu mehr zu tun, weil man den anderen nicht nachstehen will oder sich beobachtet fühlt. Da ist der Einzelne dann wieder dem Gruppenzwang ausgesetzt.
Ich könnte mir da schon vorstellen, dass der eine sich dann regelmäßig den Freitag als Urlaubstag gönnt, während andere darüber dann stänkern.
Du hast doch auch die Kontrolle der anderen mit dabei und auch das hindert dann den einen oder anderen, dass er mehr Urlaub in Anspruch nimmt als andere auch wenn er es könnte. Denn wer will denn ein schlechtes Licht abwerfen? Auch wenn die Arbeit nicht erledigt wird und fertig wird, wird einem auf die Finger gehauen und ein Riegel davor geschoben. Sprich es basiert vieles auf der Selbstständigkeit des Arbeitnehmers, kann aber auch wieder weiteren Druck von der restlichen Belegschaft ausüben wenn man mehr als andere in Anspruch nimmt und dann nicht fertig wird mit seiner Arbeit oder diese lausig erledigt.
Wir haben nicht unbegrenzt Urlaub aber es wurde in einigen Bereichen die Gleitzeit eingeführt. Und auch hier fängt es schon an, dass auf manche mit dem Finger gezeigt wird die Freitags nun nicht mehr kommen, weil sie von Montag bis Donnerstag genug Stunden gesammelt haben damit sie Freitag nicht kommen müssen. Entsprechend sind auch einige nur wegen dieser Tatsache wieder dazu übergegangen, nach den alten Zeiten zu arbeiten und nicht eher oder länger zu machen als andere.
Ich würde auch davon ausgehen, dass der bei vielen Leuten anscheinend in der DNA verankerte protestantische Arbeitsethos in Kombination mit Gruppenzwang gerade nicht dazu führen würde, dann auch "unbegrenzt viele" Urlaubstage zu nehmen.
Mittlerweile macht sich zwar bei den jüngeren ArbeitnehmerInnen allmählich ein Trend breit, Arbeit nicht mehr als alleinigen Lebenssinn anzusehen, aber gerade bei den mittelalten und älteren Leuten im Berufsleben kenne ich sehr viele, die ihren ganzen Selbstwert daraus beziehen, ihren Urlaub regelmäßig verfallen zu lassen und auch an Heiligabend um fünf noch Exceltabellen umsortieren. Natürlich mit dem freudestrahlenden Hinweis darauf, dass Heiligabend schließlich "kein Feiertag" sei. Danke, das weiß ich auch, und deine Familie ist sowieso froh, dich Weihnachten nicht zu Gesicht zu bekommen, weil du nur von Exceltabellen schwärmst.
Ich bin mir dennoch nicht sicher, wie das in der Praxis funktioniert. Ein konkretes Beispiel, etwa aus den Medien, ist mir noch nicht untergekommen. Unbegrenzter Urlaub hieße für mich ja strenggenommen: "Hey Chef, ich bin die nächsten drei Monate nicht da!" Punkt. Kein Home Office oder "Ich hole die drei Monate mit Überstunden nach", und bei der gängigen Definition von Urlaub müsste auch die Bezahlung regulär weiterlaufen.
Sprich, man hätte als Unternehmen wirklich nur den Arbeitsethos der Belegschaft, um überhaupt irgendwie irgendetwas voranzubringen, und das sehe ich eigentlich nicht als praktikable Herangehensweise. Vielleicht bei winzigen Startups mit einem fünfköpfigen "Team", die sowieso bald wieder eingehen.
Viele meiner Arbeitskollegen haben tatsächlich Mühe, ihren Jahresurlaub bis Ende Dezember zu "verbrauchen", und es hört sich oft wirklich nach einer Last an, so als ob man Schulden abbauen müsste. Erst vor wenigen Tagen klagte mein Teamleiter, dass er leider noch 14 Tage Urlaub hätte, die er nicht losbekommen würde. Bei diesen Kollegen könnte ich mir sogar vorstellen, dass ein unbegrenztes, nicht kontingentiertes Budget an Urlaubstagen sogar dazu führen könnte, dass sie pro Jahr weniger als 30 Tage Urlaub nehmen würden, weil es keine vorgegebene Anzahl mehr gibt, die "abgebaut werden muss".
Bei mir ist es immer umgekehrt. Mir persönlich sind die verfügbaren 30 Tage meistens zu wenig, da ich den Urlaub nicht nur für die Erholung, sondern zum Teil auch für andere Zwecke verwende (Betreuung meiner alten Mutter, Weiterbildung, etc.). Auch in diesem Jahr muss ich jetzt bis zum Jahreswechsel mit nur noch zwei restlichen Urlaubstagen auskommen, weswegen ich wahrscheinlich ziemlich einsam zwischen Weihnachten und Silvester im Büro sitzen werde. Bei unbegrenzter Anzahl an Urlaubstagen würde sich die Zahl bei mir wohl eher bei 40 einpendeln.
Täubchen hat geschrieben:Schließlich könnte das negativ bei den Kollegen ankommen, wenn die ganze Arbeit an ihnen hängen bleibt, weil man selbst sich sonstwo vergnügt. So würden Mitarbeiter durch vermeintlich unbegrenzte Urlaubstage eher zur Selbstaufgabe und Überarbeitung genötigt werden, daher wäre das als negativ zu bewerten.
Ich verstehe die Argumentation nicht wirklich. Natürlich könnte es vorkommen, dass ich an einem verregneten Montag Morgen alleine im Büro hocken und die Kollegen beneide, die ausschlafen können. Aber ich habe doch dann auch unbegrenzte Urlaubstage, also reiche ich halt für die nächsten paar Wochen auch Urlaub für Montags ein. Und für Freitags gleich dazu, da ist man eh schon halb im Wochenende.
Und ganz generell funktioniert dieses Modell doch eh nur in ganz wenigen Jobs. Alles, was irgendwie mit Terminen, Deadlines, Öffnungszeiten, Bürozeiten, Fahrplänen und so weiter zu tun hat kannst du schon mal komplett streichen. Überleg mal wohin das sonst führen würde. Einkaufen am Samstag? Tut mir Leid, unsere Mitarbeiter haben heute alle Urlaub genommen. Kinderbetreuung am Montag? Hatte leider niemand Lust auf Kindergeschrei am Morgen, sind alle im Urlaub. Ja, ihr Flug geht eigentlich in zwei Stunden, aber der Pilot ist in Urlaub.
Was bleibt also übrig? Irgendwelche kreativen Start-Up Jobs für Leute, die dafür bezahlt werden Ideen zu haben und nicht dafür diese Ideen zur Marktreife zu bringen. In dem Fall spielt es nämlich tatsächlich keine große Rolle ob du im Büro oder auf Bali sitzt. Eine gute Idee kannst du auch im Urlaub haben, oft ist es da sogar leichter.
Angenommen man hätte also so einen Job - würde man dann zur "Selbstaufgabe neigen" wenn man von niemandem daran erinnert wird, dass man noch 10 Urlaubstage und 5 Tage Freizeitausgleich hat und die gefälligst bis zum Ende des Jahres nehmen soll? Kann ich mir bei den meisten Leuten nicht vorstellen. Selbst wenn man kein nennenswertes Privatleben und keine nennenswerten Interessen hat, hat man doch sicher ab und zu das Bedürfnis einfach mal das Wochenende zu verlängern.
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