Werden viele Arbeitnehmer jetzt ins Bürgergeld flüchten?
@cooper75: Aber es gibt nicht überall entsprechende Vergünstigungen. Und über die Steuer kann ich nur das zurück holen, was ich auch an Steuern gezahlt habe. Sind also meine Werbungskosten wesentlich höher, als die Steuern die ich zahle, dann bleibe ich auf den restlichen Kosten eben sitzen. Das hatte ich gestern schon mal erklärt.
Auch die Sache mit dem Wohngeld klingt erst mal toll. Ich habe das jetzt mal an dem Beispiel Alleinerziehend und Vollzeitjob auf unsere Wohnung berechnen lassen. Da kommen gerade mal 55 Euro Wohngeld im Monat raus. Damit kann man auch keine größeren Sprünge machen.
Es gibt jetzt schon viele Menschen, die sich mit ALG II arrangiert haben, weil sie mit dem Geld auskommen und mit dem neuen Bürgergeld, selbst wenn es da noch Nachbesserungen geben wird, wird das nicht besser werden.
Von der Detaildebatte darüber, wer am Ende finanziell besser gestellt ist, der Geringverdiener oder der Bezieher von Bürgergeld, mal ganz abgesehen, wird hier ein ganz wichtiger Aspekt vergessen: Die meisten Menschen, mit Ausnahmen, möchten doch arbeiten. In unserer Gesellschaft ist man nicht gut angesehen, wenn man von Hartz 4 oder sonstigen Sozialgeldern lebt oder leben muss.
Und außerhalb von so manchen pathologischen Motivationen, möchten die meisten sich selbst wirksam erleben und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten wollen. Da wird wieder das Bild des arbeits- und denkfaulen Unterschichtlers gezeichnet, der lieber den ganzen Tag RTL guckt und ausschläft, während er das Dosenbier und den Tabak vernichtet, als irgendeiner schlecht bezahlten Arbeit nachzugehen. Ich sage nicht, dass es diese Leute nicht gibt, aber diese Denkweise der breiteren Masse der unteren Einkommensschichten zu unterstellen, ist einfach nicht ganz fair.
Dass hier untere Gesellschaftsschichten gegeneinander ausgespielt werden, sehe ich auch so. Und leider sehen aber gerade die Betroffenen das überhaupt nicht. Statt sich nach oben zu orientieren mit der Kritik wird nach unten ausgeteilt. Und der Populismus in manchen Kreisen tut sein Übriges.
cooper75 hat geschrieben:Klehmchen, fehlt es für die Heizkosten, ergibt sich ein Anspruch für den Monat mit der Nachzahlung. Für die Fahrtkosten bekommst du Steuern zurück. Es gibt Wohngeld, Kindergeld oder Kinderfreibetrag. Und es ist nun kein Argument für zu niedrige Sozialleistungen, dass Arbeit sich nicht lohnt. Wenn Arbeit nicht mehr als das Existenzminimum sichert, sind nicht die Sozialleistungen zu hoch, sondern die Löhne sind zu niedrig.
Ich glaube du hast mich da etwas falsch verstanden. Zumal der Punkt mit den Heizkosten ja von dir falsch widergegeben wurde. Ohne Sozialleistung zahlst du jede Nachzahlung am Ende aus deiner eigenen Tasche, egal ob gleich oder in einem Jahr, wenn die Abrechnung kommt. Aber zahlen musst du das selber.
Aber das spielt ja keine Rolle. Darum ging es im Kern ja gar nicht, sondern darum dass der finanzielle Sprung von Sozialleistungen, egal in welcher Art auch immer, zu dem Mindestlohn oder einem geringeren Lohn manchmal nur sehr knapp ist, wenn man alle Leistungen gegen einander aufrechnet.
Und ja natürlich hast du Recht, dass dann nicht die Sozialleistungen zu hoch sind, sondern in der Regel die Löhne zu niedrig. Aber so wie ich das hier verstanden habe und was ich damit sagen wollte, war ja keine Aussage, wer jetzt mehr hat, sondern dass sich die Arbeit dann am Ende oft nicht lohnt. Und diese Aussage war ganz wertungsfrei, entspricht aber oft der Wahrheit.
Unter diesem Aspekt kann ich es eben verstehen, dass viele Menschen zwar gerne arbeiten gehen wollen, es sich aber überlegen ob sie am Ende im Monat 120-160 Stunden arbeiten gehen und dann nur wenn es blöd läuft 100 bis 200 Euro mehr verdienen. Und da sind Kosten, die durch die Arbeit entstehen ja gar nicht eingerechnet. Die Steuerrückzahlung, die man dank Werbungskosten bekommt, reicht doch bei vielen Arbeitnehmer nicht aus um die tatsächlichen Kosten, die durch die Arbeit entstehen zu decken.
Aber wie gesagt, es ging nur darum, dass ich jeder verstehen kann, der es sich überlegt, ob es sich wirklich für ihn oder sie lohnt arbeiten zu gehen oder ob man nicht einfach die Sozialleistungen in Anspruch nimmt und sich den Stress mit der Arbeit für ein paar Euro mehr nicht antut.
Klehmchen, aber wie viele Arbeitnehmer haben denn nur 100 oder 200 Euro mehr? Mit 40 Stunden pro Woche kommst du jetzt auf 2.040 Euro brutto. Damit hast du als Single mindestens 1.456 Euro netto. Mit Bürgergeld kommst du damit in meiner Stadt auf maximal 502 Euro plus 396 Euro Miete plus Heizkosten, sofern angemessen. Arbeiten macht hier also rund 400 Euro mehr aus. Das ist im Vergleich zum Bürgergeld verdammt viel.
Und beim Ehepaar mit nur einem Verdiener sieht es auch nicht so viel schlechter aus. Es bleiben 1.625 Euro. Beim Bürgergeld mit 902 Euro plus maximal 472 Euro Miete plus Heizkosten bleiben in meiner Stadt immer noch 200 Euro übrig und du wirst nicht gegängelt. Macht der andere auch nur einen Minijob dazu, stehen schon insgesamt 700 Euro mehr zur Verfügung.
Wenn Hartzen so toll ist, wie Besserverdienende immer behaupten, warum gehen die dann noch arbeiten? Zumal du ja mittlerweile in extrem vielen Bereichen, die letztens noch sehr schlecht bezahlt worden sind, mittlerweile deutlich mehr als 12 Euro pro Stunde verdienst. Da wird der Abstand noch größer.
cooper75 hat geschrieben:Klehmchen, aber wie viele Arbeitnehmer haben denn nur 100 oder 200 Euro mehr? Mit 40 Stunden pro Woche kommst du jetzt auf 2.040 Euro brutto. Damit hast du als Single mindestens 1.456 Euro netto. Mit Bürgergeld kommst du damit in meiner Stadt auf maximal 502 Euro plus 396 Euro Miete plus Heizkosten, sofern angemessen. Arbeiten macht hier also rund 400 Euro mehr aus. Das ist im Vergleich zum Bürgergeld verdammt viel.
Nun ja, aber das setzt halt voraus, dass du auch eine Vollzeitstelle bekommst. Wie du gerechnet hast, bekommst du mit dem Bürgergeld ja schon einmal knapp 900 Euro plus Heizkosten, also wahrscheinlich um die 1.000 Euro. Gehst du jetzt Vollzeitarbeiten hast du sicherlich gut 400 Euro mehr, aber auch je nach dem wo die Arbeit ist höhere Ausgaben. Man denke mal an ein Monatsticket für den Nahverkehr oder gar ein Auto samt Unterhaltskosten. Effektiv also für viele schon nur noch 200 bis vielleicht 300 Euro mehr. Bekommst du jetzt aber nur eine Teilzeitstelle bist du recht schnell auf Augenhöhe, selbst bei 30-35 Stunden pro Woche.
Und es behauptet ja niemand hier, dass hartzen toll ist. Das ist es sicher für die meisten Bezieher nicht. Und natürlich hast du Recht, dass an sich die Löhne hoch müssten. Aber auch das muss halt alles bezahlt werden, aber das ist ja eine ganz andere Diskussion. Aber nichts desto trotz sehe ich es eben mit dem Lohn immer etwas relativ. Klar klingen für einen Arbeitslosen 12 oder auch 13 oder 14 Euro Stundenlohn erst einmal ganz gut. Aber auf der anderen Seite hat er ja von Haus aus schon sozusagen einen Grundlohn von 1000 Euro im Monat für das nichts tun und kriegt dann dafür dass man arbeiten geht eben relativ gesehen nur noch pro Stunde zwei, vielleicht drei Euro oben drauf, wenn es blöd läuft für seine 35-40 Stunden Woche.
Da kann ich Menschen verstehen die dann sagen, dass ist ihnen zu wenig um dafür zu arbeiten. Aber auch hier noch einmal. Natürlich wäre es viel besser, wenn der Sprung deutlich größer wäre, damit sich auch Jobs lohnen, wo Leute ungewollt nur 20-30 Stunden angestellt werden.
cooper75 hat geschrieben:plus 396 Euro Miete plus Heizkosten.
Eine Wohnung mit einer solchen Miete findest du aber nicht überall. Hier kostet der Quadratmeter nicht unter 20 Euro.
Blümchen, dem Amt ist es egal, ob du so eine Wohnung "mal eben" findest. Es gibt für jede Gemeinde Tabellen, wie noch die Kosten der Unterkunft inklusive aller Nebenkosten außer den Heizkosten, die noch obendrauf kommen, sein dürfen. Deshalb schrieb ich in meiner Gemeinde. Und du glaubst doch nicht tatsächlich, dass es hier mal eben solche Wohnungen gibt.
Ich wohne beispielsweise in einer sehr armen Gegend mit niedrigen Mieten. Trotzdem zahlt ein Bekannter mit nur einem Arm, der natürlich mindestens 3 Stunden arbeitsfähig ist und keine Arbeit findet, seit 12 Jahren 40 Euro Miete selbst. Die Nachbarn in der Eckwohnung bekommen seit Jahren die Heizkosten nicht voll erstattet, weil andere Mieter im Haus weniger verbrauchen. Stimmt, aber die haben keinen Keller unter sich, keine drei Außenwände und die Wohnungen über den anderen stehen auch nicht leer. Obwohl der Mehrverbrauch dafür minimal ist, müssen diese Menschen einen Teil selbst zahlen, weil das eben der Sachbearbeiter nicht angemessen findet. Seit die Vorauszahlung für die Heizkosten von 60 auf 200 Euro gestiegen ist, ist das echt bitter.
Klehmchen, aber das du unter bestimmten Bedingungen ohne Sozialleistungen nicht auskommst, ist doch nicht neu. Warum sollten Menschen gegängelt werden, wenn es keinen Vollzeitjob gibt? Zumal es vor einigen Jahren noch viel schlimmer war. Als der Mindestlohn eingeführt wurde, haben tiermedizinische Fachangestellte mit Tariflohn in manchen Monaten mehr Geld bekommen müssen, damit der Mindestlohn nicht unterlaufen wird. Angestellte Jungtierärzte lagen deutlich darunter und in der Altenpflege gab es oft unter 7 Euro. Trotzdem sind die Menschen nicht in Massen ins Arbeitslosengeld geflüchtet, obwohl es Druck genommen hätte. Und jetzt, so der größte Niedriglohnsektor Europas endlich etwas mehr bezahlen muss, soll das anders sein?
Es ist doch eher so, dass die die höheren Löhne bei der Wirtschaft keine Freundentänze auslösen und man sein Druckmittel behalten will. Also spielt man Arme und Ärmere gegeneinander aus, um seine billigen Lohnsklaven zu behalten.
cooper75 hat geschrieben:Klehmchen, aber wie viele Arbeitnehmer haben denn nur 100 oder 200 Euro mehr? Mit 40 Stunden pro Woche kommst du jetzt auf 2.040 Euro brutto. Damit hast du als Single mindestens 1.456 Euro netto. Mit Bürgergeld kommst du damit in meiner Stadt auf maximal 502 Euro plus 396 Euro Miete plus Heizkosten, sofern angemessen. Arbeiten macht hier also rund 400 Euro mehr aus. Das ist im Vergleich zum Bürgergeld verdammt viel.
@cooper75: Irgendwie willst du immer nur sehen, was man bekommt. Die Kosten dazu muss man aber auch berücksichtigen. Und für die meisten Arbeitnehmer, wie auch bei Selbstständigen, verursacht die Arbeit selbst aber auch Kosten. Wie Klehmchen dabei schon anmerkte, reichen die Steuerrückzahlungen aber auch selten aus, um diese Kosten zu decken.
Zahlen hatte ich dir da ja schon geliefert. Und genau, weil arbeiten damit für manche Menschen sehr unattraktiv sein wird, gibt es auch so viel Kritik am Bürgergeld. Was nutzen, denn die 400 Euro mehr, die mir das Papier sagt, wenn ich dieses Geld und oft sogar noch mehr, benötige, um überhaupt arbeiten zu können?
cooper75 hat geschrieben:Mit 40 Stunden pro Woche kommst du jetzt auf 2.040 Euro brutto. Damit hast du als Single mindestens 1.456 Euro netto.
Laut einer Berechnung und Veröffentlichung der CSU kommt man als Arbeitnehmer bei einer 40 Stundenwoche sogar auf etwa 2520€ und stellt sich in der Endabrechnung gerade mal 1€ gegenüber den Bürgergeldempfängern besser. Wie sich die einzelnen Positionen darstellen, das kann man dieser Übersicht ganz gut entnehmen.
@Herr Krawuttke, Cooper75 hat doch schon dargelegt, dass die Miete nicht komplett übernommen wird, wenn sie je nach Gegend einen gewissen Betrag überschreitet. Der Wert, der in der Aufstellung auftaucht, wird in keinem Gebiet Deutschlands übernommen. Auch Energiekosten in Form von Strom werden nicht übernommen, siehe hier die angemessenen Mietkosten. Diese Aufstellung, auf die du verlinkst, ist doch schon längst verrissen worden. Ich finde die Diskussion um das Bürgergeld meistens höchst unappetitlich, weil hier wirklich die Armen gegen die Ärmsten ausgespielt werden.
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