Ist die Teilmobilisierung Russlands eine Kriegswende?

vom 25.09.2022, 19:04 Uhr

Mittlerweile ist das Szenario eingetroffen, was viele „Experten“ aus dem Westen anfangs so dramatisch befürchtet hatten, Russland hat die Teilmobilmachung aller Reservisten ermöglicht. Dies bedeutet, dass Putin durchschnittlich 300.000 Reservisten ohne mögliche Ausbildung, die Kenntnis mit neuen Waffen umzugehen sowie dem eigentlichen Willen an die Front in die Ukraine entsenden kann.

Die ersten Ergebnisse dieser Teilmobilmachung sind, dass viele Russen auf den Straßen dagegen protestierten und sich eine Art Auflehnung zu erkennen gibt. Auf der anderen Seite fliehen vermehrt die Russen in Nachbarländer und andere Staaten, um vor dem Einzug in den Krieg gewappnet zu sein. Gleichwohl dies für sie bedeuten kann, nie wieder zurückkehren zu können, solange Putin an der Macht steht.

Experten aus allen Ecken der Welt sind indes gar nicht mehr so sicher, ob die vormals befürchtete Mobilisierung aller Reservisten wirklich so viel gefährlicher ist als der eigentliche Krieg ohnehin schon ist. Denn zu viele der Reservisten sind ungeübt, haben keinerlei Kriegs- und Kampferfahrung und sind unwissend, was den eigentlichen Umgang mit der modernen Kriegstechnik ist. Somit vermuten viele, dass die Teilmobilmachung eher zum Nachteil Putins wird.

Doch was denkt Ihr über die Teilmobilmachung der Reservisten Russlands? Vermutet Ihr, dass sich nun eine Wende im Krieg zugunsten oder gar zum Nachteil Russlands abzeichnet oder glaubt Ihr, dass dies gar keinerlei großartigen Einfluss auf den Krieg mit sich bringen wird?

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Einen Einfluss hat es bestimmt. Aber welchen, da kann ich gar nicht mitreden, weil ich kein Politikexperte oder Militärexperte bin. Ich höre mir nur immer die Meinungen im Presseclub und in den diversen Talkshows an. Was ich für mich daraus gezogen habe, ist einerseits beruhigend, andererseits beunruhigend. Beruhigend, weil das vielen als Verzweiflungsaktion erscheint, die das Kriegsende einläuten könnte, weil ja alleine die Mobilisierung nicht nützt, wenn man die Soldaten erst ausbilden muss, für ihre Versorgung und Unterbringung sorgen muss und das vielen als undurchdacht erscheint. Auch in Russland regt sich ja immer mehr Widerstand. Beunruhigend, weil es darauf hindeutet, dass sich Russland auf einen sehr langen Krieg vorbereitet.

Ich glaube nicht, dass es eine Wende ist, sondern eine vielleicht natürliche Konsequenz. Beruhigend finde ich die Meinung der meisten Experten, dass Putin keine Atomwaffen einsetzen würde, weil das auch seine Vernichtung bedeuten würde und das kann er ja nicht wollen. Er droht nur damit, nach Meinung der meisten Militärexperten. Auch Putin weiß, dass die Nato dann auf jeden Fall reagieren würde, ja nach Logik der Abschreckung müsste.

» blümchen » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


blümchen hat geschrieben:Beruhigend finde ich die Meinung der meisten Experten, dass Putin keine Atomwaffen einsetzen würde, weil das auch seine Vernichtung bedeuten würde und das kann er ja nicht wollen.

Also da bin ich mir leider mittlerweile nicht mehr ganz so sicher. Anfang des Jahres hätte ich Putin gänzlich anders eingeschätzt als heute. Ich hielt ihn für einen klugen, abwägender Mann, der sich seiner scheinbaren Macht bewusst ist und auch seine militärische Stärke als Abschreckung benutzt. Aber das alles immer klug abwägend, wie weit er gehen kann und wie weit eben nicht.

An der Einschätzung hat sich doch einiges geändert. Zum einen denke ich, dass Putin in einer ganz anderen Welt lebt und vieles aus der Realität gar nicht mehr kennt und sich mit Leuten umgeben hat, die ihm nach dem Mund reden. Wahrscheinlich haben wir uns alle gehörig verschätzt, was den Zustand des russischen Militärs angeht. Also sowohl wir als auch die russische Führung selber. Natürlich verfügt die russische Armee in allen Punkten über eine große Masse, aber scheinbar eben vor allem in der Breite nicht über die Klasse und Qualität, die wir erwartet hatten. Vieles was moderne Ausrüstung angeht scheint wohl nur auf dem Papier zu existieren oder gerade so in Stückzahlen, die für eine schicke Parade reicht.

Und trotzdem scheint es keinen Einfluss auf die Kriegsführung zu haben, dass hier in der Realität die russische Armee ganz anders da steht. Ich weiß nicht ob es ihn nicht interessiert, dass er da tausende Soldaten verheizt, dass er jetzt Niederlage um Niederlage kassiert und er nur so tut als würde alles einen normalen Verlauf nehmen. Oder ob er das in seiner eigenen Welt gar nicht mehr wahrnimmt. Ich habe da manchmal den Eindruck er hat seine eigene Realität so wie sie Diktatoren zum Ende ihrer Zeit immer bekommen. So wie Hitler damals nicht mehr existierende Armee auf das Schlachtfeld schicken wollte.

Und genau das macht mir dann doch unheimlich viele Sorgen. Ich habe Sorge, dass rationale Überlegungen bald keine Rolle mehr spielen und bin mir nicht sicher, ob es im Umfeld von Putin Leute gibt, die einen Atomwaffeneinsatz verhindern würden, wenn er ihn anordnet. Denn alle bisherigen konventionellen Versuche das Kriegsgeschehen zu drehen sind ja gescheitert und auch die Mobilmachung hat bisher keinen Einfluss, weil die Rekruten einfach zu schlecht oder gar nicht ausgebildet sind und weil in Ausrüstung fehlt.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge



Die Teilmobilmachung von russischer Seite hatte natürlich in meinen Augen den Aspekt, die reine Manneskraft im Vordergrund zu stellen. Denn mehr als 300.000 Reservisten sind ja auf den ersten Blick eine schon angsteinflößende Zahl, die jedoch bei kaum jemanden so wirklich dafür gesorgt hat, nicht an sich zu glauben. Jedenfalls von ukrainischer Seite. Die Begründung scheint indes auf der Hand zu liegen, denn die meisten der Reservisten sind zu alt oder zu jung, um mit den neuen Waffen klar zu kommen und teils unerfahren. Andere haben indes nicht einmal Lust, für Putin in den Krieg zu ziehen.

Zudem sind viele Männer nach der Teilmobilmachung geflohen, was natürlich die hohen Zahlen auch wieder in gewisser Weise mildern dürfte. Während dessen gibt die ukrainische Seite auch klar zu verstehen, dass schon viele russische Reservisten aus der Teilmobilmachung starben, weil sie einfach keinerlei Kriegserfahrung haben. Die wenigsten Menschen werden das wohl haben, aber bei den Menschen aus Russland geht es wohl auch um den Umgang überhaupt mit Waffen, neumodischen Techniken und deren Alter. Das scheint neben der „Lustlosigkeit“ und anderen Beweggründen sicherlich vorrangig das Problem zu sein.

Damit ergibt sich jedoch für mich auch ein weiteres Problem. Putin ist noch nie für seine rationale Vorgehensweise bekannt gewesen. Putin nahm auch grundsätzlich an, dass wie 2014 nach der Krim der Westen ähnlich schlapp und nichts tuend reagieren würde. Hat er dieses mal jedoch nicht, was auch in Russland schon zu leeren Regalen hier und dort führt.

Ich befürchte nicht, dass Putin so irrational ist, und eine klassische Atombombe zünden lässt. Das glaube ich nicht. Die Auswirkungen sind für ihn nicht kalkulierbar, aber betreffen ihn am Ende des Tages sowie das Volk am meisten. Nicht nur durch etwaige Winde, die vom Westen her kommen, sondern auch der fatale Gegenschlag der USA und Nato ist sicher. Putin würde alles verlieren und das muss er auch als irrationaler Mensch wissen.

Taktische Atomwaffen kann ich jedoch nicht leugnen, aber auch jene hätten womöglich ein vielleicht steigernden Krieg zur Folge. Doch was passiert mit einem Mann, der seinen Willen durchsetzen will, aber eigentlich soweit davon entfernt ist, dass es ihn wiederum vor der Wahl stellt, was er nun tun soll, um das Ziel zu erreichen? Ich weiß es nicht, aber Sorgen bereitet mir nur, wann das endlich endet und wie.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Kätzchen14 hat geschrieben:. Die Begründung scheint indes auf der Hand zu liegen, denn die meisten der Reservisten sind zu alt oder zu jung, um mit den neuen Waffen klar zu kommen und teils unerfahren.

Also so wie ich das bisher mitbekommen habe, kriegen die doch gar keine neuen Waffen, sondern werden ja sogar teilweise mit dem ältesten Zeug was Russland hat in den Krieg geschickt, egal ob es sich dann dabei um Handfeuerwaffen oder auch Panzer handelt. Vielmehr scheint ja teilweise gar keine Ausrüstung für die 300.000 Soldaten da zu sein und auch keine richtigen Ausbilder mehr. Und auch wenn es Reservisten sind, heißt das ja eben nicht, dass diese jetzt über unheimlich viel Erfahrung verfügen. Ich weiß jetzt nicht wie das in Russland ist, aber unsere eigenen Reservisten machen doch auch bloß einmal oder zweimal im Jahr eine Übung und haben sonst nichts mehr mit der Bundeswehr zu tun. Da musst du vielleicht keine ausgedehnte Grundausbildung mehr machen, aber ein paar Wochen brauchst du da schon um die wieder einsatzfähig zu machen. Und das scheint ja in Russland derzeit sowohl zeitlich als auch von den Ressourcen her nicht möglich.

Zudem sind viele Männer nach der Teilmobilmachung geflohen, was natürlich die hohen Zahlen auch wieder in gewisser Weise mildern dürfte.

Wieso mildert das die hohe Zahl? Die haben doch trotzdem nahezu 300.000 Mann eingezogen. Wenn dann noch 100.000 andere junge Männer das Land verlassen, hast du doch trotzdem deine 300.000 Mann zusammen. Da sind doch soweit ich das verstanden habe, Leute geflohen, bevor sie eingezogen werden konnten und dafür wurden dann halt andere genommen, damit man auf die vorgegebenen Zahlen kommt. Heißt dann aber natürlich auch, dass da vermutlich an einigen Orten übertrieben gesagt eher ein Invaliden- und Greisenheer aufgestellt wurde, statt eine Truppe aus durchtrainierten Mitzwanzigern. Aber die Zahl werden sie wohl schon zusammen bekommen haben. Schließlich verfügen die russischen Streitkräfte auf dem Papier ja über 2 Millionen Reservisten. Also brauchst du ja nur jeden Siebten davon einzuziehen. Und selbst wenn da einige aus welchen Gründen nicht kommen, gibt es ja noch genug andere um irgendwie 300.000 Mann voll zu kriegen.

Während dessen gibt die ukrainische Seite auch klar zu verstehen, dass schon viele russische Reservisten aus der Teilmobilmachung starben, weil sie einfach keinerlei Kriegserfahrung haben.

Ob das so natürlich stimmt, weiß ja leider auch keiner von uns. Aber das wäre natürlich ein Punkt, der zutreffen könnte. Da ich selber nicht gedient habe, fehlt mir da natürlich die Erfahrung wie groß der Unterschied jetzt wirklich ist zwischen einem erfahrenen Berufssoldaten und einem Reservisten. Also ganz praktisch gesprochen welches Verhältnis man da ansetzen kann. Ob da ein Heer von 100.000 Berufssoldaten problemlos ein Heer von 300.000 Reservisten wieder aufwiegt oder ob es dann doch die Masse macht. Aber man darf natürlich den Punkt nicht vergessen, dass es eben doch Krieg ist und es dabei eben auch darum geht auf andere Menschen zu schießen. Und ein nicht unerheblicher Teil der ukrainischen Armee macht das eben schon seit 2014 im Osten und ist deswegen wohl in dem Punkt hemmungsloser oder rationaler oder wie man auch immer das nennen will. Und zum anderen eben wie du es sagst, die haben eine klare Motivation. Die wollen ihr Land und ihre Leute verteidigen. Die Russen wissen wahrscheinlich meistens gar nicht was sie da sollen.

Damit ergibt sich jedoch für mich auch ein weiteres Problem. Putin ist noch nie für seine rationale Vorgehensweise bekannt gewesen.

Das sehe ich aber anders und auch viele Politikwissenschaftler haben Putin lange Zeit sehr wohl ein sehr rationales Handeln attestiert. Wenn auch nicht immer im Einklang mit dem Völkerrecht. Aber er hat eigentlich immer nur das getan, wo er der Meinung war keine Strafe für zu bekommen. Egal ob das nun Tschetschenien war, das Eingreifen in Georgien, die Annexion der Krim, die Beteiligung in Syrien. Überall hat er ja kräftig mitgespielt unter der Abwägung, was bringt es ihm und was kostet es ihn. Und auch wenn er dabei für unser Verständnis Grenzen überschritten hat, hat es ihn weder wirklich isoliert, noch einen Schaden für Russland gebracht. Vielmehr hat er Russland damit auf die geopolitische Weltbühne zurück gebracht, egal ob militärisch oder wirtschaftlich mit dem Export von Energie. Da war schon immer Kalkül dahinter und er hat es halt ausgereizt zu sehen, was er sich erlauben kann, solange er billig Energie verkauft. Und bis zu diesem Frühjahr hat er damit ja immer Recht behalten.

Ich befürchte nicht, dass Putin so irrational ist, und eine klassische Atombombe zünden lässt. Das glaube ich nicht. Die Auswirkungen sind für ihn nicht kalkulierbar, aber betreffen ihn am Ende des Tages sowie das Volk am meisten. Nicht nur durch etwaige Winde, die vom Westen her kommen, sondern auch der fatale Gegenschlag der USA und Nato ist sicher. Putin würde alles verlieren und das muss er auch als irrationaler Mensch wissen.

Ich weiß es nicht. Natürlich macht das rational gar keinen Sinn, für niemanden. Aber das macht ja auch der Krieg gegen die Ukraine nicht. Rational gesehen, wäre er einfach nur in den Osten einmarschiert und hätte mal wieder was davon erzählt, er schützt dort seine russischen Landsleute und die Volksrepubliken hätten ihn um Hilfe gerufen. Das wäre der klassische Putin von früher gewesen. Aber irgendwas muss ihn geritten haben, die ganze Ukraine anzugreifen, bis nach Kiew vorzurücken und zu glauben, dass das wieder einfach alle so hinnehmen. Und seit dem Februar hat sich trotz massivem Gegenwind irgendwie keine Rationalität bei ihm durchgesetzt. Statt irgendwann einen Status quo zu festigen, ist er offensichtlich im Rückwärtsgang nur noch ein Getriebener, der nicht mehr weiß, wie er sich helfen soll. Und das macht mir halt schon etwas Angst. Denn er wird dabei unberechenbarer.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


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