Kommt ihr euch manchmal ungebildet vor? Stört euch das?
Ich halte mich für einigermaßen gebildet. Außer im Bereich Musik kenne ich mich überall ein wenig aus, besonders in naturwissenschaftlichen Gebieten. Mich stört es normalerweise nicht, wenn ich irgendetwas nicht weiß. Ich gebe das auch gerne zu und es ist mir überhaupt nicht peinlich, wenn ich von irgendetwas keine Ahnung habe, was andere vielleicht als Allgemeinwissen sehen.
Nun war ich kürzlich am Starnberger See in einem einwöchigen Kurs Studium Generale. Da ist mir klar geworden, dass es mit meiner Bildung nicht allzu gut steht. In diesem öfters stattfindenden Seminar gibt es immer ein übergeordnetes Thema, das unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet wird, zum Beispiel unter den Aspekten Literatur, Kunst, Politik, Musik, Biologie und Bildende Kunst. Dass ich mich in Musik nicht auskenne, weiß ich. Aber ich war dann doch etwas irritiert, wenn Werke von Schriftstellern besprochen und diskutiert wurden, wie tief die anderen in den Themen drin waren.
Der Kurs war sehr anregend und hat Lust darauf gemacht, sich intensiver mit bestimmten Dingen zu beschäftigen. Die nächsten Wochen bin ich jetzt voll und ganz mit zu lesender Literatur beschäftigt. Selbst klassische Musik werde ich mir jetzt anhören, denn der Dozent konnte mir einen Zugang dazu eröffnen.
Kommt ihr euch auch manchmal ungebildet vor? Bei welchen Gelegenheiten merkt ihr das? Stört euch das oder ist euch das egal, weil niemand sich überall auskennen kann? Für mich ist es überhaupt nicht der Anreiz, mich weiterzubilden, weil jemand mehr weiß als ich, sondern in diesem Fall waren es die Dozenten, die mir Lust darauf gemacht haben.
Ich denke, ich bin in einiger Hinsicht ungebildet. Zwar kenne ich mich in (klassischer) Musik und im Bereich Naturwissenschaften und Geografie einigermaßen gut aus, aber schon beim Thema Literatur bin ich nicht mehr allzu fit, und im Themenbereich Sport bin ich beispielsweise ziemlich ahnungslos. Aber auch bei geschichtlichen Themen habe ich leider Wissenslücken, die ich erst nach und nach füllen kann.
Ich komme mir durchaus hin und wieder "ungebildet" vor, weil ich es dank Zufall und harter Arbeit zwar an die Unterkante der sozialen Schicht des "Bildungsbürgertums" geschafft habe und mit Leuten, die im traditionellen Sinne als "gebildet" gelten, Umgang pflegen darf, aber dennoch meine Herkunft nicht verleugnen kann.
Es macht eben aufs Leben gerechnet durchaus einen Unterschied, ob die Eltern und Großeltern wussten, wer Sartre war, oder wie man ein Schwein schlachtet. Ob sie abends zur Entspannung Wagner hörten oder Mühle spielten. Ob ihre Kinder zu Chopin Ballett tanzten oder die Hühner gefüttert haben.
Ich habe also den klassischen Humboldtschen Bildungskanon durchaus mitgenommen, aber "Bildung" hat viel mehr mit der sozialen Herkunft zu tun als damit, wie gut ein Hirn funktioniert und was darin alles Platz gefunden hat. Früher habe ich mich deswegen auch schlecht gefühlt, wenn etwa beim "geselligen Umtrunk" über Zizek und Lacan geplaudert wurde, und ich nur eine arte-Reportage über die Medici anbieten konnte.
Mittlerweile nervt es mich eher, wenn mal wieder jemand so "gebildet" ist, dass für die soziale Intelligenz keine Körner mehr übrig sind und aus an sich angenehmen Anlässen endlose Monologe zu langweiligen Themen werden, weil sich nicht jeder für Wittgensteins Spätwerk begeistern kann.
Wieso seht ihr euch als ungebildet, wenn ihr von bestimmten Themen keine Ahnung habt? Man kann nicht alles wissen. Jeder Mensch hat seine Stärken und Schwächen im Bereich Wissen. Mein Mann sagt auch hin und wieder mal, dass ich viel schlauer bin als er. Nein, bin ich nicht. Nur habe ich in bestimmten Bereichen ein höheres Wissen als und umgekehrt.
Nur weil ein Mensch sich zum Beispiel in Geographie oder Geschichte weniger auskennt, als ich, ist dieser Mensch doch nicht ungebildet. Dafür kann er an anderen Stellen mir Wissen glänzen, wo ich einfach nur unwissend die Backen aufblase.
Ergo fühle ich mich nicht ungebildet, aber in einigen Bereichen unwissend oder eben weniger wissend. Das stört mich nicht und ich stehe dazu. Warum sollte ich damit ein Problem haben?
Da wir alle irgendwo "Bildungslücken" aufweisen wüsste ich nicht, was mich an meinen stören sollte. Ich möchte auch meine Zeit nicht damit verschwenden mich in Bereichen zu bilden, die mich eigentlich überhaupt nicht interessieren. Es gibt in den Bereichen, die mich interessieren, doch noch so viel zu entdecken.
Für mich war die "Allgemeinbildung" mit dem Abitur mehr oder weniger abgeschlossen. Natürlich bin ich seither nicht blind durch die Welt gelaufen und haben sicher nebenbei viel aufgeschnappt, was bei meinem Talent mich an völlig willkürlich, unzusammenhängende Fakten zu erinnern auch gut funktioniert. Aber dieser Zwang mich mit etwas im Namen der "Bildung" befassen zu müssen, das mich Null interessiert, ist eben weg.
Mich würde ein Seminar zu Allgemeinbildung für Erwachsene auch ehrlich gesagt überhaupt nicht ansprechen. Selbst wenn mich das "übergeordnete Thema" an sich interessiert. Ich lese zum Beispiel gerne und viel, aber jedes Mal wenn ich eine dieser Listen sehe mit Büchern, die als Klassiker gelten, die man unbedingt gelesen haben muss, die die besten Bücher überhaupt sind etc. sehe ich da Bücher, die ich abgebrochen habe. Ich muss mich nicht durch so was ödes wie "Krieg und Frieden" quälen nur um mich zu bilden. Lesen soll doch Spaß machen.
Ich frage mich auch gerade, warum manches Wissen als "Bildung" gilt und anderes Wissen anscheinend nicht. Mit einem Studium und Hobbys wie Lesen und Bücher sammeln gelte ich als gebildet, aber der KFZ Mechaniker, der auch in seiner Freizeit am liebsten an alten Autos herum schraubt, gilt als eher ungebildet. Obwohl der mir bei meinem Motor jede Schraube erklären könnte während meine Bildung gerade mal ausreicht um die Batterie zu finden und die Starterkabel beim zweiten Versuch richtig anzuklemmen.
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