Sich nach vielen Jahren der Ehe outen realistisch?
Ich habe eine Serie gesehen, in der es darum ging, dass 2 Männer sich nach 40 Jahren Ehe geoutet haben und dann ein Paar waren. Sie hatten in der Serie wohl schon sehr lange eine Affäre miteinander, standen aber öffentlich immer zu den Frauen, die davon auch nichts wussten. Ich finde den Gedanken schon schockierend. Ich meine früher war das etwas, was unter Strafe stand und daher kann ich das bedingt schon verstehen, wenn man so etwas vielleicht nicht gleich sagen will, aber warum heiratet man dann eine Frau? Findet ihr das realistisch oder gibt es so etwas nicht, weil man heute schwul sein kann ohne das es Probleme gibt?
Ich meine auch heute haben schwule und lesbische Menschen immer noch Probleme und bekommen teilweise viel Hass ab, aber sollte man sich deswegen in eine Fakebeziehung stürzen? Habt ihr so etwas schon mal erlebt? Ich würde es mir auf jeden Fall wünschen, dass jeder so leben kann, wie er will und wenn das bedeutet dass sich 2 Männer lieben, dann sehe ich darin kein Problem.
Es muss ja keine Fake-Beziehung sein. Es gibt ja durchaus auch viele bisexuelle Menschen. Daher kann ich das alles nachvollziehen. Eine meiner Nichten ist bisexuell und ist mal mit Männern und mal mit Frauen zusammen. Das ist eine ganz normale Trennung, wie sie auch unter heterosexuellen Menschen vorkommt, die aus Pflichtgefühl oder Zuneigung erst mal bei ihrem Partner bleiben, sich dann aber doch irgendwann trennen.
Dass das früher unter Strafe stand, kann kein Grund mehr sein, sich nicht zu outen. Das ist dann doch eher ein Umfeld, wie etwa manche Familien, die das leider nur schwer akzeptieren können. Ich muss zugeben, dass ich, bevor es klar wurde, dass einer meiner Söhn schwul ist, durch Darstellungen in den Medien völlig falsche Vorstellungen hatte. Ich dachte immer, dass man es Menschen anmerkt, welche sexuelle Orientierung sie haben. Aber das ist Unsinn.
Durch Darstellungen und Übertreibungen in Filmen habe ich Schwulen bestimmte Eigenschaften zugewiesen. Ich musste da einiges revidieren und wieder mal feststellen, wie viele Vorurteile sich in meinem Gehirn tummeln.
@Ramones: Manchmal kommst du mir recht weltfremd vor. Gehen wir mal davon aus, dass die Geschichte aus deiner Serie auch real passiert ist. Nach 40 Ehejahren sind die Männer ca. 60 Jahre alt. Sie sind also zu einer Zeit erwachsen geworden, als Homosexualität nicht nur eventuell verboten war, sondern man nicht darüber sprach und es auch als Krankheit angesehen wurde. Mit eventuell verboten meine ich, dass es da unterschiedliche Gesetze gab. In der ehemaligen DDR waren sexuelle Handlungen zwischen gleichgeschlechtlichen Erwachsenen in den 1950er Jahren schon nicht mehr verboten.
Aber diese beiden Männer wurden halt noch so erzogen, dass Homosexualität zumindest als Krankheit angesehen wurde. Auch wenn das vielleicht in ihrer Jugend und damit sexuellen Entwicklung gar kein Thema war, ist es durchaus realistisch, dass einem die entsprechende Neigung erst später bewusst wird.
Ich kenne einige Männer, die erst Beziehungen zu Frauen hatten. Sie hatten dabei zwar immer das Gefühl, dass ihnen da etwas fehlt. Aber das Fehlen wurde so interpretiert, dass es nicht die perfekte Partnerin wäre. Dass sie auf Männer stehen ist dann erst ins Bewusstsein gerückt, als der passende Mann ihren Weg gekreuzt hat.
Es ist also nicht nur eine Filmphantasie, wenn Männer oder eben auch Frauen erst recht spät ihre eigentliche sexuelle Gesinnung entdecken. Teilweise eben durch die Erziehung, teilweise weil sie es selbst nicht wahr haben wollten. Es gibt so viele Faktoren, welche da eine Rolle spielen.
Man kann heute mitnichten "schwul sein ohne das es Probleme gibt". Man wandert hierzulande vielleicht nicht mehr in den Knast, aber man muss schon sehr weltfremd und behütet durch die Gegend eiern, um zu glauben, dass es wirklich keinerlei negative Konsequenzen hat, wenn irgendein Normalbürger mit seinem Ehemann zur Weihnachtsfeier im Betrieb auftaucht. Wie oft habe ich in ganz "normalen" Alltagssituationen ebenso wie online (beispielsweise auch hier im Forum) schon teilweise krass homophobe Äußerungen gehört und gelesen.
Meistens nach dem Schema "Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber ich will von ihnen nichts sehen, hören oder auch nur das Gefühl haben, es könnte sie geben!" Das Gleiche gilt für Transpersonen und eigentlich alle Menschen, die von der Norm abweichen. Und da habe ich volles Verständnis dafür, dass sich nicht jede*r diesem Zirkus aussetzen möchte.
Und gerade die Institution Ehe hat in meinen Augen herzlich wenig mit der sexuellen Orientierung zu tun. Gut, es mag auch heute noch ein paar junge Leute geben, die aus religiösen Gründen erst vor den Altar treten, um dann festzustellen, dass der andere eine Niete in den Bettfedern ist, aber die waren in meinen Augen schon immer die Minderheit. Man heiratet, um "versorgt" zu sein (ja, auch heute noch), weil man es einfach so macht, aus finanziellen und steuerlichen Gründen und um irgendwelche Ideale zu bedienen. Ich will gar nicht wissen, wie viele Eheleute über "Jahrzehnte" keinen Sex mehr haben. Oder zumindest nicht miteinander.
Da finde ich es gar nicht so absurd, dass wahrscheinlich auch heute noch etliche schwule Männer Hetero-Ehen eingehen, damit die Eltern aufhören zu stänkern, oder weil sie eigene Kinder wollen oder um aller Welt zu zeigen, wie "normal" sie sind. Und dass das dann doch irgendwann zu anstrengend wird, die Kinder "aus dem Haus" sind, und allmählich die Erkenntnis reift, dass es nicht ausreicht, für das gemocht zu werden, was man vorgibt zu sein, verstehe ich ebenfalls vollkommen.
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