Kinder wie vom Alltag in der DDR erzählen?

vom 17.02.2021, 15:02 Uhr

Sehr viele Bundesbürger sind in der DDR oder sogar noch davor geboren und aufgewachsen, haben sehr viele Jahre in dieser verbracht, dort gearbeitet, gelebt und geliebt und sich vielleicht auch in irgendeiner Form engagiert. Das ein Leben hinter Mauern für die heutigen Kinder und Jugendliche nur schwer vorstellbar ist zeigt, wie man mit der Isolation in den eigenen vier Wänden oder der eigenen Region derzeit in der Coronakrise umgeht und auch umgehen kann.

Das ein oder andere Kind kommt früher oder später auf die Idee zu fragen, wie man selbst die DDR, wo man ja auch mehr oder minder eingesperrt war erlebt und gelebt hat und wo man sich in welchen Buchwerken belesen kann, wie Menschen generell damals über das System gedacht haben und welche Freizeitmöglichkeiten zur Verfügung standen.

Das alles kann man teils auch in Büchern nachlesen, das eigene Erzählte und Erlebte prägt sich in den Köpfen Anderer aber eher ein, wie das Gelesene. Wie würdet ihr Kindgerecht von der DDR erzählen, ohne dabei in Emotionen zu verfallen? Welche Aspekte würdet ihr in die Erzählung mit einbauen, würdet ihr speziell auf die Kinder der DDR eingehen, also deren Leben oder allgemein von Thema zu Thema navigieren und einzelne Gebiete abhandeln?

» Nebula » Beiträge: 3041 » Talkpoints: 6,06 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Ich wurde nicht in der DDR geboren. Allerdings würde ich das Ganze mit allen Emotionen erzählen, die mir zur Verfügung stehen. Was soll es denn bringen mit einem Zeitzeugen zu sprechen und dann nur Fakten abzufragen, die derjenige herunter spult? Meiner Meinung nach muss ein Zeitzeugenbericht auch Emotionen beinhalten und vor allem auch die Sicht der Person. Für die eine Person waren manche Sachen vielleicht weniger schlimm, als für eine andere Person. Deswegen ist die Sicht und Erklärung wichtig. Wahrscheinlich würde ich aber einfach auch versuchen ein Gesamtbild zu schaffen und dann auf Fragen warten in so einer Situation.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ich würde vom eigenen Leben erzählen. Die Leben dort sahen ja sehr unterschiedlich aus. Ich habe Verwandte in Thüringen. Im Sommer sind wir immer mit meinen Eltern dort für ein oder zwei Wochen zu Besuch gewesen und für mich war es das Paradies. Es war ein kleines Dorf mit ungeteerten Straßen, Apfelbaumalleen, einem See mitten in einem Wald, der voller Himbeeren, Steinpilzen und Blaubeeren war und im Garten stand eine schöne Trauerweide mit Bank darunter.

Außerdem gab es Kaninchenställe und einen Konsum, der die leckersten Brötchen hatte, die ich je gegessen hatte. Und meine Oma kochte die besten Klöße und die besten Reibekuchen. Außerdem gab es eine einäugige Katze, einen Opa mit riesengroßen Ohren, der den ganzen Tag im Schaukelstuhl saß, einen geheimnisvollen Dachboden mit Kasperlefiguren und eine Cousine, die ganz toll malen konnte. Einmal hat sie uns sogar mit in ihre Schule genommen, die ich schöner fand als unsere eigene.

Meine Großeltern fühlten sich dort offensichtlich wohl und mein Onkel und meine Tante hatten sich eingerichtet, arbeiteten beide in einer Uhrenfabrik und genossen am Wochenende ihren Schrebergarten, den sie zusätzlich zu ihrem Garten hatten. Auch nach der Wende haben sie nie erzählt, dass es ganz furchtbar war. Ich hatte das Gefühl, dass sie sogar die Veränderung gar nicht wollten. Sie fühlten sich in ihrem Alltagsleben in der DDR sehr wohl. Es war ein offenes Geheimnis, dass ein angeheirateter Verwandte, der sogenannte Stasi-Rolf, bei der Stasi war und alle hatten sich auch damit arrangiert.

Zweimal machten wir einen Besuch mit dem neuen Wartburg eines Onkels, auf den er ganz stolz war, nach Eisennach und besichtigten die Burg. Danach gab es als Highlight eine extrem leckere Bratwurst.

Anders erging es einem anderen Cousin, der nach einem Fluchtversuch zwei Jahre im Gefängnis saß, bis er freigekauft wurde. So gibt es die unterschiedlichsten Lebensläufe und man kann sie nur individuell erzählen. Natürlich muss immer zur Sprache kommen, dass man vom Staat eingesperrt wurde. Aber das sollte bei einer persönlichen Lebensgeschichte über den Alltag nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen. Geschichten aus dem Alltag soll ja keine Geschichtsstunde sein.

» blümchen » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Welches "moderne" Kind interessiert sich denn noch für das Leben in der DDR? Zumindest hier im "Westen" kann ich mir nicht vorstellen, dass die Teilung Deutschlands und das Alltagsleben im Osten zwischen ca. 1945 und 1990 jemanden außerhalb des Geschichtsunterrichts interessiert, der nach 2005 auf die Welt gekommen ist. Das ist für die heutige Jugend doch genauso aktuell wie die Napoleonischen Kriege.

Als ich vor 30+ Jahren noch ein Kind war, habe ich meine Oma auch gebeten, von "früher" zu erzählen. Da waren dann die erbaulichen Histörchen von Flucht und Vertreibung und einem holprigen Neuanfang fernab der Heimat das Thema, aber den großen historischen Zusammenhang habe ich erst später wirklich kapiert.

Ich denke, dass sich Kinder eher dafür interessieren, wie die Kindheit und der Alltag der Eltern oder Großeltern war, als für die Mangelwirtschaft und Krisen des Kalten Krieges. Und ich denke, dass man gut vom Alltag "früher" erzählen kann, ohne auf die historischen und politischen Zusammenhänge einzugehen, die die lieben Kleinen sowieso nur langweilen und im Idealfall im Schulunterricht durchgenommen und eingeordnet werden.

» Gerbera » Beiträge: 11310 » Talkpoints: 47,17 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Ich bin ein DDR-Kind und empfinde manche Dinge heute wesentlich schlimmer als sie damals waren. Das beste Beispiel ist für mich die heutige Berufsberatung in der Schule. Zumindest ist die Dame von der Schule hier im Stadtteil da sehr speziell. Sie versucht die Schüler mit aller Macht in bestimmte Berufe zu quatschen, obwohl das gar nicht die Pläne der Schüler sind. Klar, wurde da auch zu DDR-Zeiten gelenkt und da wurde es auch den Schülern nicht so leicht gemacht ein Abitur machen zu dürfen.

Aber ich empfand das damals in der Berufsberatung eher allgemein informierend. Wenn man sich dann für bestimmte Berufe interessiert hat, gab es Termine, wo eben genau über dieses Berufsbild informiert wurde. Aber es wurde nicht gedrängt, dass man doch diese Ausbildung machen soll, nur weil man sich mal darüber informiert hat. Das sieht dann heute schon anders aus, wobei ich da auch die Vermutung habe, dass es an den Firmen liegt, die solche Stellen an den Schulen finanzieren.

Ansonsten ist es in der DDR auch nicht viel anders gewesen, was das Alltagsleben angeht, als es heute ist. Wer sich an Recht und Gesetz gehalten hat, der lebte weitgehend ohne Probleme. Sicherlich hat die Parteizugehörigkeit manche Tür geöffnet oder auf der Karriereleiter mal eine Stufe überspringen lassen, aber das klappt heute auch noch, wenn man die richtigen Kontakte hat.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


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