Fehler mit einer früheren Vergewaltigung entschuldigen?

vom 01.12.2015, 01:45 Uhr

Eine Bekannte von mir ist im Kindesalter vergewaltigt worden. Sie hat nun schon viele Therapien hinter sich und ist eigentlich auch überzeugt davon, dass diese ihr geholfen haben und sie das Problem verarbeitet hat. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass die dieses Trauma als Ausrede verwendet.

So nutzt sie es derzeit auch als Ausrede um zu erklären, warum sie ein großes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit hat und sich derzeit mehr um sich selbst, als um ihren Sohn kümmert. Auch Probleme mit ihrem Mann werden immer wieder durch dieses Kindheitstrauma erklärt.

Teilweise finde ich das aber auch übertrieben, da man sich nicht immer damit ausreden kann. Irgendwann sollte man sowas auch halbwegs verarbeitet haben und seine Entscheidungen bewusst treffen können. Wie seht ihr das? Würdet ihr so eine Ausrede gelten lassen oder würdet ihr euch auch euren Teil denken? Wie lange kann man brauchen um ein solches schlimmes Kindheitserlebnis zu verarbeiten?

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Ich denke, dass das gerade in der Kindheit sehr prägend ist und auch die Persönlichkeitsentwicklung verändert. Das sollte natürlich nicht als dauerhafte Ausrede genommen werden, aber ich kann schon nachvollziehen, dass sich gewisse Züge daraus entwickeln, dass man diese Schädigung der Seele in der Kindheit erlebt hat und dann eben auch ein gestörtes Verhältnis zu sich und zu anderen Menschen entwickelt.

In einer Therapie wird man dann auch hören, dass man sich auf sich selber konzentrieren soll und dann eben auch mal Pausen machen muss, wenn es einen nicht gut geht, weswegen ich das schon nachvollziehen kann, dass sie es dann auch umsetzen will, aber man muss eben immer schauen, wie man das auf den eigenen Alltag anwenden kann.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ich finde es kommt darauf an, in welchem Kontext man das macht. Es gibt Menschen, die haben wirklich traumatische Erlebnisse machen müssen und wenn die dann eben Fehler machen und sie das damit erklären, finde ich das nicht schlimm. Allerdings nur, wenn sie selbst wissen, dass das Fehler waren und das selbst in Zukunft vermeiden wollen.

Es gibt ja auch Menschen, die sind traumatisiert und die wollen in Situationen nicht überreagieren und das an ihren Mitmenschen auslassen und tun es dann trotzdem unbewusst. Wenn man also selbst an dem Trauma arbeiten will und es klappt nicht so gut finde ich es gut, wenn man das eben erwähnt, damit sich die Mitmenschen nicht wundern.

Es gibt aber auch Menschen, die wollen gar nicht an einem Trauma arbeiten und sehen das eher als eine Art "Entschuldigung für alles" und in dem Fall finde ich es total daneben, wenn man ständig betont, dass man ja so eine schwere Kindheit hatte und das dann eben als "Freifahrtschein" im Erwachsenenalter sieht.

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Das ist schwer zu beantworten, weil wir nicht wissen, wie weit ihre posttraumatischen Belastungsstörungen sind. Du musst bedenken, dass wir alle schlechte Erfahrungen hinter uns haben. Jeder kann ein Trauma davon tragen, aber nur die wenigsten tun es. Dann wiederum unterscheiden Psychologen zwischen Trauma und chronischem Trauma. Letzteres ist schwer zu behandeln, weil die passierten Geschehnisse nicht vergessen werden, sondern versucht wird, dass das Opfer damit leben kann.

Eine Therapie kann auch immer mit Rückschlägen konfrontiert werden. Ich kenne zum Beispiel eine Frau, sie wurde als Kind mehrfach sexuell missbraucht. Damals gab es das Gesetz noch nicht, wo diese Arten des sexuellen Missbrauchs als Vergewaltigung gesehen werden, das wurde erst in den Jahren darauf entsprechend angepasst, sodass es "nur" sexueller Missbrauch war und heute Vergewaltigung wäre, weil auch Gegenstände, Zunge & Co dazuzählen würden.

Diese Person ist in Therapie, mittlerweile wieder. Einst war sie schon in Therapie zu Kindeszeiten, aber geholfen hat es nicht. Das desolate Elternhaus war auch schwierig zu ertragen. Sie hat nun derart chronische posttraumatische Belastungsstörungen, dass an arbeiten nicht zu denken ist, sie grundsätzlich auf Alarmbereitschaft ist, sie Menschen unglaublich gut einschätzen kann, immer auf Zündigung ist und mehr.

Das heißt auf der einen Seite, kann sie verdammt gut falsche Menschen, mögliche Straftäter & Co aussondern, weil sie wie bei einer inneren Gabe sieht, wer etwas auf dem Kerbholz hat oder nicht. Doch auf der anderen Seite fehlen ihr Empathien für Liebe ihrer Geschwister, Eltern & Co gegenüber. Einen Partner hat sie, das klappt gut, aber die Traumata werfen sie immer wieder situationsbedingt nach hinten. Trotz Therapie. Verfolgungswahn, Angst im Dunkeln usw. also schon sehr krasse Verhaltensauffälligkeiten. Alles trotz jahrelanger Therapie als Kind und heute erneuter Therapie.

Es muss daher zwangsläufig nicht sein, dass Deine Bekannte das Trauma voranprescht, um alles zu erklären, sondern ist es durchaus möglich, dass sie das so empfindet. Doch das sollte Gegenstand einer neuen Therapie werden, wenn das sich auf den Sohn auswirkt. Das geht so nicht!

Wenn sie wirklich irgendwelche Verhaltensveränderungen hat, die sie daran hindern, mit ihrem Sohn mehr Aufmerksamkeit zu teilen, statt mit sich selber, dann hat sie weiterhin größere Probleme, als sie selber womöglich wahrhaben möchte. Sie muss somit bei der Therapie auch ehrlich sein, damit Psychologen hilfreich zeigen können, was sie besser machen sollte, wo sie dran feilen kann und was sie machen kann.

Ich weiß ja auch nicht genau, was sie letzten Endes bei der Therapie wahrheitsgemäß zugibt, was sie verschweigt usw. Das kommt des Öfteren auch vor, weil viele glauben, dass gewisse Sachen vollkommen in Ordnung sind. So wie sie denkt, dass aufgrund ihres Traumas das Recht bestünde, dass sie mehr Aufmerksamkeit für sich verdient als ihr Sohn von ihr bekommen müsste.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Die Frage ist halt, was sie genau erlebt hat. Wer hat sie vergewaltigt und wie oft? Nicht jeder Mensch steckt alles gleich gut weg. Ein robustes Kind schafft es vielleicht eher, nach Jahren eine einmalige Straftat durch einen vollkommen Fremden zu verarbeiten. Aber was ist mit den sensibleren Kindern? Die vielleicht nicht. Und selbst bei den robusteren Kindern kann man sich Situationen vorstellen, die geeignet sind, das seelische Gleichgewicht langfristig zu zerstören.
Wenn sie zum Beispiel öfter von einer Vertrauensperson vergewaltigt wurde, dann kann das sicher einen Menschen so tief erschüttern, dass man da nie restlos darüber hinweg kommt.

Dass solche Erlebnisse Probleme in der Partnerschaft bringen, wundert mich nicht. Denn für eine Beziehung muss man vertrauen können. Und wenn das eigene Vertrauen so erschüttert wurde, ist das schon eine Herausforderung für den männlichen Partner, so einfühlsam auf eine Frau einzugehen, wie sie das in so einem Fall braucht.

Was ich hingegen nicht verstehe ist, wenn man sich seinem Kind dann nicht ausreichend zuwendet. Auch wenn das Kind auch männlich ist, wie der Täter damals, dann verstehe ich nicht, warum man es nicht schafft, mit Hilfe von Therapie, zu verhindern, dass man solche Gefühle wegen seines Geschlechts auf ihn projiziert. Und während der Partner sich normalerweise bewusst gewesen sein wird, dass die Partnerschaft nicht leicht werden wird und sich trotzdem bewusst für die Liebe entschieden hat, liebt das Kind bedingungslos und wird die Zurückweisung nicht verstehen.

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» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


Solche Erlebnisse verarbeitet man nie, sie können gemildert werden, aber manche Verhaltensweisen werden immer bleiben. Ich habe auch mit mehreren Personen zu tun, die solche Situationen erlebt haben. Das ist oft keine Ausrede. Diese Menschen können nicht so agieren, wie Menschen, die normal aufgewachsen sind und die eine normale, liebevolle Kindheit hatten. Denen fehlen einfach diese Skills, diese Verknüpfung.

Manche Fehler kann man natürlich nicht damit entschuldigen, aber in dem genannten Fall scheint das Problem ja nicht komplett verarbeitet zu sein. Sie scheint als Kind nicht die Aufmerksamkeit bekommen zu haben, die sie verdient hat und daher sucht sie sich im Erwachsenensein auf anderem Wege die Aufmerksamkeit. Deshalb kann sie auch vielleicht nicht so liebevoll mit ihrem Sohn umgehen, sie hat es nie gelernt. Sie kann nicht mal liebevoll mit sich selbst umgehen.

Also sowas ist ein langer Prozess. Eine der Personen, die ich kenne, ist jetzt Mitte 30 und man merkt ihr schon an, dass irgendwas passiert ist. Und sie hat ihr Martyrium bis Mitte Zwanzig erlebt, verhält sich größtenteils normal, ist aber zum Beispiel nicht druckresistent, kann sich nur schwer um sich selbst kümmern oder reagiert wie ein kleines Kind. Sie benutzt ihre Kindheit aber nicht als Ausrede, man merkt aber, dass sie Schlimmes erlebt hat. Jeder reagiert auf Traumata anders und das sollte respektiert werden und die im Eingangspost genannte Person sollte von ihrem Umfeld etwas aufgefangen werden.

» Colatrinker » Beiträge: 52 » Talkpoints: 17,83 »


Crispin hat geschrieben:So nutzt sie es derzeit auch als Ausrede um zu erklären, warum sie ein großes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit hat und sich derzeit mehr um sich selbst, als um ihren Sohn kümmert. Auch Probleme mit ihrem Mann werden immer wieder durch dieses Kindheitstrauma erklärt.

Ich würde so etwas nicht Ausrede nennen, sondern Erklärung für ihr Verhalten. Eine Ausrede ist ja etwas Vorgeschobenes und nicht der wirkliche Grund. Wenn man es Ausrede nennt, ohne die wahren Hintergründe zu kennen, ist das eine Unterstellung. Ich kann gar nichts dazu sagen, weil ich selber so ein Trauma nie hatte, nur dass ich es nicht Ausrede nennen würde.

» blümchen » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



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