Analysis und Interpretation: Franz Kafkas „Der Kübelreiter&a

vom 18.07.2010, 12:42 Uhr

Der Kübelreiter von Franz Kafka ist eine Parabel und gehört somit zur Gattung der lehrreichen Erzählungen.

Ein Mann friert während eines klirrendkalten Winters zu Hause, bangt gar um sein Leben. In seiner Verzweiflung beschließt er, zu einem Kohlenhändler zu gehen und um etwas Kohle zum Heizen zu bitten, die er im Nachhinein zu bezahlen gedenkt. Um sein hilfsbedürftiges Auftreten zu unterstreichen, reitet der Mann auf seinem leeren Kohlekübel, um so zu zeigen, dass er nicht einmal mehr das kleinste Stückchen Kohle besitzt. Beim Kohlehändler angekommen ruft der Mann nach diesem, der Händler hört ihn auch und will sich zu ihm begeben, was ihm allerdings von seiner Frau nicht gewährt wird, die selbst zum Mann hinausgeht und ihn verscheucht.

Einen kurzen Überblick über den Aufbau sowie die Gestaltung des Textes möchte ich jetzt schon anführen, um das Verstehen der nachfolgenden Absätze zu erleichtern: Erzählt wird von einem Icherzähler im Präsens; Information wird dem Leser zum einen durch den Monolog des Protagonisten, zum anderen durch szenische Handlungsdarstellung, die hauptsächlich der Kohlehändler und dessen Frau gestalten, geboten. (Allerdings bleibt der Icherzähler durch regelmäßige Kommentare anwesend.) Ort und Zeit der Handlung sind nicht näher bekannt, man weiß lediglich, dass die Geschichte während eines sehr harten Winters in einer Stadt stattfindet.

Ich möchte mich gleich vorweg dem Auffälligsten beim Analysieren dieses Textes widmen: Obgleich es sich um eine Parabel, also eine stark verknappte, gleichnishafte Erzählung handelt und Kafka diese wirklich so kurz, wie nur irgend möglich hält, vollbringt er es dennoch den Aufbau einem aristotelischen Drama gleich zu gestalten.

Die Exposition beschreibt die verheerende Situation, in der sich der Protagonist befindet, (Vgl. Z1-Z4 (gekürzt): „Verbraucht alle Kohle; leer der Kübel; sinnlos die Schaufel; Kälte atmend der Ofen; das Zimmer vollgeblasen von Frost; … Ich muss Kohle haben; ich darf doch nicht erfrieren; …“).

Im zweiten Teil des Textes, der Steigerung, wird die Handlung von einem Ortswechsel, nämlich des Mannes Ritt auf dem leeren Kübel vorangetrieben (Vgl. ab: „Meine Auffahrt schon muss es entscheiden; ich reite deshalb auf dem Kübel hin.“). Beim Kohlenhändler angekommen merkt der Mann, dass der Händler, trotz des eisigen Winters, die Türe offen lässt, „um die übergroße Hitze abzulassen“. Es wird also ein krasser Gegensatz zwischen dem Mann, als verzweifelten Bittsteller und Protagonisten und dem Antagonisten, dem Kohlehändler, der es in der Hand hat über das Schicksal des Mannes zu verfügen.

Somit leitet Franz Kafka zur Peripetie des „Dramas“ über, dem Bitten und Flehen des Mannes um eine „eine Schaufel von der schlechtesten“ (Kohle).

Der vierte Akt, den man alternativ auch als zweiten großen Abschnitt betrachten kann, hat im aristotelischen Theater die Aufgabe die Katastrophe, meist durch Anbieten einer Scheinlösung, zu verzögern und wird als retardierendes Moment bezeichnet. Es ist das Streitgespräch zwischen dem Kohlehändler, der einen möglichen Kunden hört und seiner Frau, die behauptet, dass niemand auf der Straße sei und nach Kohle frage.

Man kann deswegen hier auch vom zweiten Teil der Parabel sprechen, da ein Wechsel vom Monolog zur szenischen Handlungsdarstellung erfolgt. (Vgl. z.B.: „Frau“, sagt der Händler, „es ist, es ist jemand; so sehr kann ich mich doch nicht täuschen; eine alte, eine sehr alte Kundschaft muss es sein, die mir so zum Herzen zu sprechen weiß." - Was hast du, Mann?“ sagt die Frau, "niemand ist es; die Gasse ist leer; … ").

Es wird klar, dass der Protagonist in der Gestalt des Kübelreiters Erfolg beim Händler haben könnte, ihn berühren könnte, wenn seine Frau es zuließe, dass er selbst nach der Kundschaft sehe. Der Mann, der das Gespräch der beiden hören kann, fährt unbeirrt, allerdings nur scheinbar unberührt, zu bitten fort: „Aber ich sitze doch hier auf dem Kübel“, rufe ich und gefühllose Tränen der Kälte verschleiern mir die Augen, …“.

Der Händler beschließt nach dem Kunden zu sehen, seine Frau gibt ihm nicht die Möglichkeit dazu und sagt, sie kümmere sich selbst um diesen. Sie tritt auf die Straße, sieht den Mann und vertreibt ihn mit ihrer Schürze. Dieser zieht von dannen: „Du Böse!“ rufe ich noch zurück, … Und damit steige ich in die Regionen der Eisgebirge und verliere mich auf Nimmerwiedersehen. Der fünfte Akt - die Katastrophe, das Scheitern des Protagonisten.

Durch geschickten Einsatz von Stilmitteln vollbringt es Kafka, die Wirkung der Geschichte auf den Leser um ein Vielfaches zu verstärken. Äußerst knapp und sich klarer Worte bedienend macht er gleich zu Anfang den Ernst der Lage klar. Sehr kurze, durch Semikola getrennte Sätze beschreiben die (lebens-)bedrohliche Situation, in der sich der Protagonist befindet. Knappe Metaphern und Personifikationen wie „das Zimmer vollgeblasen von Frost“ beschreiben die Umstände, wohingegen längere Vergleiche die Gedanken und Gefühle des Mannes zeigen: „Ich muss kommen, wie der Bettler, der röchelnd vor Hunger an der Türschwelle verenden will …“.

Die jedoch wichtigste Metapher ist die titelgebende vom Kübelreiter selbst: Der Kübel des Protagonisten ist so leer, dass er auf diesem zu reiten vermag und damit nicht genug, er schwebt auch über die Straßen hinweg. Dieses sprachliche Bild stellt den bedeutendsten Anhaltspunkt für alle möglichen Interpretationen dar.

Der Zustand des „Dahinschwebens“ sowie das Leben in einer eigenen Welt, den als analytisch veranlagter Leser muss man sich zwangsläufig die Frage stellen, wieso denn der Kübelreiter im Anbetracht der lebensbedrohenden Gefahr nicht den Versuch unternimmt, zu einem anderen Kohlehändler zu gehen, lassen klare Parallelen zu Kafkas Leben und seinen Reflexionen über seinen Platz in der Gesellschaft und vor allem auch in seiner Familie erkennen.

Kafka schwebt gewissermaßen durch sein Leben, sein literarisches Schaffen folgt nicht den Konventionen der Zeit, sondern lediglich seinem eigenen Impuls verbunden mit dem, was ihm sozusagen am Boden der Realität hält, zum einen sein Vater, der ihm einen Lebensweg vorgeben will und zum anderen seine Tätigkeit im Versicherungswesen, die ihm die ernüchternde Welt vor Augen führt, aber mit der er zugleich seinen Lebensunterhalt finanziert.

So ist meiner Meinung nach die klirrende Kälte, die des Protagonisten Leben bedroht, Sinnbild für die Macht seines Übervaters, der Kafkas zeitlebens stark beeinflusst und ihn in seiner Nähe hält (Kafka wohnte einen Großteil seines Lebens in unmittelbarer Nähe zu seinen Eltern.) Und Kafkas Künstler Leben sowie die Entfaltung seiner Persönlichkeit einengt.

Der Kübelreiter sucht nach Kohle, nach Wärme, Kafka sucht nach Toleranz und Akzeptanz seines Vaters. Das Haus des Kohlehändlers ist so gut geheizt, dass er selbst im Winter die Tür offen lässt. Der Händler, der für Kafkas Vater steht, hat also weitreichende Beziehungen und trifft sicherlich auf vielerlei kuriose Menschen, die er, wenn auch vielleicht im eigenen Interesse, zu akzeptieren bereit ist, allerdings weist er seinen Sohn stets von sich, obwohl dieser nur das Nötigste verlangt - so empfindet Franz Kafka.

Eine gesellschaftskritische Interpretation ist zwar auch denkbar, allerdings würde diese den Rahmen dieser Interpretation sprengen und auch glaube ich, dass es Kafkas Intention war, eine autobiographische Parabel zu verfassen.

» nirandor » Beiträge: 129 » Talkpoints: 1,72 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Eine sehr schöne Interpretation und Analyse der Erzählung "Der Kübelreiter". Ich hatte mal eine Phase in meiner Jugend, in der ich alles von Kafka quasi verschlungen habe, natürlich auch den Kübelreiter. Ich hatte auch mal ein Seminar an der Volkshochschule speziell zu Kafka mitgemacht, was mir tiefere Einblicke in seine Familienverhältnisse und in seine Beziehung zu seinen Eltern gegeben hat. Das war sehr interessant, weil er mir dadurch eher unsympathisch wurde.

» blümchen » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


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