Bereut man es später, sich für Karriere zu entscheiden?
Momentan mache ich mir sehr viele Gedanken um meine berufliche Zukunft. Ich befinde mich sozusagen an einem Scheideweg und jetzt gilt es zu entscheiden, wie wichtig mir die Karriere oder eben auch eine gute "Work-Life-Balance" ist. So sehr es auch heutzutage beworben wird, dass man Karriere und Privatleben mittlerweile gut unter einen Hut bringen kann, so ist es trotzdem meistens so, dass die Entscheiden zugunsten einer dieser beiden Sachen eine Entscheidung gegen die andere ist.
Von richtigen "Karrieremenschen" werden jedenfalls Wochenarbeitszeiten jenseits von Gut und Böse verlangt und erwartet. Hierbei wirklich auf genug Freizeitausgleich und Zeit mit der Familie zu achten ist sehr schwierig.
Neulich habe ich mich mit einem guten Freund über das Thema unterhalten. Seine Aussage war letztendlich, dass man sich auf keinen Fall für die Karriere entscheiden soll. Er hätte von keinem Menschen in seinem Bekanntenkreis oder seiner Familie, auch Älteren, gehört, dass jemand glücklich mit seiner Entscheidung war, das Privatleben zugunsten der Karriere zu vernachlässigen.
Mir fällt es ehrlich gesagt ziemlich schwer, das zu glauben. Ich denke, dass nicht jeder ein Familienmensch ist und auch, dass manche Menschen ihre Berufung in ihrem Beruf gefunden haben und diesen mit so einer Leidenschaft und Freude ausüben, dass sie es bestimmt nicht bereuen. Was sagt ihr? Bereut man es später wirklich so gut wie immer, wenn man sich für die Karriere entscheidet und das Privatleben den Kürzeren ziehen muss?
Ich wollte jetzt nicht unbedingt die extreme Karrierefrau werden, aber ich habe mich zwischen meinem 22. und 35. Lebensjahr schon sehr stark auf meinen beruflichen Werdegang konzentriert.
Eigentlich wollte ich immer zwei Kinder haben, aber irgendwie passte das 2. Kind nicht mehr in meine beruflichen Pläne. Anfangs habe ich eine Ausbildung gemacht, dann habe ich mehrmals den Job gewechselt und immer auf einen unbefristeten Vertrag gewartet bevor wir mit der Familienplanung weitermachen wollten - welcher aber nie kam.
Selbst jetzt befinde ich mich mal wieder seit gut 2,5 Jahren bei einem neuen Arbeitgeber und weiß noch nicht, wann mir der unbefristete Vertrag angeboten werden kann. Abgesehen davon, dass meine Tochter inzwischen 15 Jahre alt ist und ich mir so einen großen Abstand zwischen Geschwistern eh nicht mehr wünsche bzw. vorstellen kann, würde ich mich vermutlich weiterhin für meinen jetzigen Traumjob und gegen ein zweites Kind entscheiden.
Und trotz allem gibt es Momente, in denen ich mich doch frage, ob ich es nicht doch bereue auf ein 2. Kind verzichtet zu haben bzw. es hin und wieder sogar schon tue. Schließlich hat mir der Verzicht auf das 2. Kind nie den gewünschten beruflichen Erfolg bzw. den erhofften Festvertrag in meinen vermeintlichen Traumjobs gebracht. Einen neuen "Traumjob" kann man vielleicht doch leichter wieder finden, wie die Sehnsucht nach einem 2. Kind zu verlieren.
Außerdem habe ich meine Ausbildung gestartet, als meine Tochter gerade erst 10 Monate war. Ich bin jeden Arbeitstag gependelt, um 5:30 Uhr aus dem Haus und um 19:00 Uhr nach Hause gekommen. Die Betreuung meiner Tochter haben mein Partner und meine Eltern übernommen. Ich habe in diesen 2,5 Jahren so viele Momente in ihrer Entwicklung verpasst. Ja, das bereue ich definitiv, auch wenn es meine Tochter gut hatte, wir haben uns sozusagen für einen Rollentausch entschieden und mein Partner hat die Elternzeit übernommen. Vielleicht hätte ich mir gerade deswegen auch nochmal die Chance gewünscht dies mit einem 2. Kind doch noch zu erleben.
Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann ist es wohl tatsächlich so, könnte ich die Zeit zurückdrehen, dass ich der Familie mehr Bedeutung zumessen würde. Ich würde meine Ausbildung nicht mehr so früh beginnen bzw. vielleicht sogar erst ein zweites Kind bekommen und mich dann der beruflichen Laufbahn widmen.
Ich denke dennoch, eine pauschale Aussage kann man dazu nie treffen. Es gibt ja zum Beispiel auch Frauen die bis an ihr Lebensende völlig im reinen mit sich sind, dass sie kinderlos waren und sind. Und ich denke auch nicht jeder Mann hat das Gefühl sein Familienleben verpasst zu haben, wenn er 50-60 Stunden oder mehr für die Arbeit in der Woche gelebt hat. Wenn man es richtig managt kann man auch aus wenig Familienzeit das beste rausholen. Ich kenne z.B. auch Familien die glücklich sind, obwohl der Vater nur am Wochenende nach Hause kommt bzw. als Lkw-Fahrer nur sehr wenig wirklich da ist, aber wenn, dann halt richtig intensiv. So lange die Person und auch das Umfeld damit klar kommt, denke ich, muss man nicht unbedingt bereuen was man tut/getan hat.
Was verstehst du denn unter Karriere? Eine von Hunderten Arbeitsdrohnen bei einer Unternehmensberatung, die zwar sechsstellig verdienen, aber jederzeit austauschbar sind? Die Filialleitung im Einzelhandel? Eine der weltweit führenden Koryphäen in was auch immer? Da gibt es ja ziemliche Unterschiede.
Ansonsten gilt: Bei den richtig guten Jobs arbeitet man sich nicht zu Tode und wird gut unterstützt, damit das angenehme Leben nicht auf der Strecke bleibt. Aber diese Angebote sind natürlich eher selten. Ich jedenfalls arbeite, um zu leben. An muss ja kein Familienmensch sein, um seine Freizeit zu genießen. Gut, ich habe drei Kinder und liebe sie. Aber ich genieße meine Zeit bei meinen Pferden und den Hundesport. Natürlich erfordert das viel Einkommen, aber was sollte ich mit der Kohle und der vermeintlichen Anerkennung, wenn ich mein Leben nicht genießen und weitgehend nach meinen Vorstellungen gestalten kann.
Krumm und bucklig schuften, weder Feierabend noch Wochenende erleben und die Familie, so existent, vor allem auf Fotos wahrnehmen kannst du auch ganz ohne "Karriere". Es gibt viele Niedriglohnjobs ohne Aufstiegschancen, die die Leute zu einem Arbeitspensum zwingen, das das von "Karrieremenschen" in den Schatten stellt.
Für mich ist eine "Karriere" nie wirklich in Frage gekommen, da diese nach meinem Verständnis nur mit Vitamin B als Starthilfe überhaupt funktioniert. Die schon erwähnte "Filialleitung im Einzelhandel" würde ich beispielsweise auch nicht als Karriere ansehen. Dafür sollte in meinen Augen über viele Jahre hinweg ein kontinuierlicher Aufstieg zu immer mehr Verantwortung, Kompetenzen und natürlich auch Entlohnung erkennbar sein, und nicht drei Beförderungen und gut ist bis zur Rente.
Ich selber finde gerade die Jobs im modernen Kapitalismus, die auf Karriere ausgerichtet sind, oft ausgesprochen sinnbefreit. Ich sehe es in meinem Umfeld. Wer bescheiden aufsteigt (was eben aus dem Kleinbürgertum so möglich ist), arbeitet zwar länger, hat mehr "Untergebene" und verdient mehr Geld, verbringt seine langen Arbeitstage und Wochenenden aber oft genug mit in meinen Augen sinnlosen Meetings, PowerPoint-Präsentationen, Vorträgen, Dienstreisen und dem Versuch, die niederen Chargen im Griff und bei Laune zu halten. Man muss sich schon überlegen, ob man daran Spaß hat. Verzichten und Prioritäten setzen muss man sowieso in jedem Job.
Das kann man so pauschal nicht sagen. Es gibt Leute, deren Beruf gleichzeitig ihr Hobby beziehungsweise ihre Berufung ist. Unsere Altbundeskanzlerin Frau Merkel hat mal gesagt, dass sie ihren Beruf mit Kindern nicht hätte vereinbaren können, nicht wörtlich, aber so habe ich das verstanden. Über Özlem Türeci habe ich mal gelesen, dass sie gleich am Tag ihrer Hochzeit mit Ugur Sahin wieder ins Labor gegangen ist. Vielleicht ist das auch nur eine Anekdote. Von ihr kann ich mir durchaus vorstellen, dass sie eine Achtzig-Stunden-Woche hat. Bei solchen Leuten sind Beruf und Privatleben kaum zu trennen.
Mir haben meine Berufe nie besonders viel Spaß gemacht. Ich hätte außertariflich wesentlich mehr verdienen können, aber dann wären Überstunden selbstverständlich gewesen und mit dem Mehrverdienst abgegolten gewesen. Mir waren Kinder wichtig und daher habe ich zeitweise gar nicht gearbeitet und dann ein paar Jahre nur Teilzeit. Finanziell bin ich dadurch am Ende des Berufslebens schlecht gestellt, was mich manchmal ärgert. Aber ohne Kinder wäre ich ziemlich unglücklich geworden. Es wäre der größere Verzicht gewesen.
Ich kenne einige Frauen, die keine Kinder haben und mit ihrem Mann im Alter sehr glücklich sind, sowohl solche mit einem Beruf, der ihnen Spaß macht, als auch solche, die den Beruf nur als lästigen Gelderwerb sehen. Man muss das ganz individuell für sich beantworten. Wichtig ist, dass der Beruf einem nicht ganz zuwider ist, im Optimalfall sogar Spaß macht. Nur "Karriere", was immer man darunter versteht, des Ansehens und des Geldes wegen stellt auf Dauer nicht zufrieden.
Bei meiner Freundin hat sich der Mann hauptsächlich um die Kinder gekümmert. Er wollte Kinder, ihr war der Beruf wichtig. Darüber kann man ja auch mal nachdenken. Dann hat man beides. Annalena Bärbock lebt, glaube ich, dieses Modell. Soweit ich weiß hat Manuela Schwesig auch zwei Kinder. Auch Ursula von der Leyen zeigt, dass beides geht, wenn man das passende Umfeld hat.
Mein ältester Sohn lebt auch für seinen Beruf, der gleichzeitig eines seiner Hobbys ist. Da er keine Kinder hat, hat er aber auch genügend Zeit für andere Hobbys, zum Beispiel Reisen mit seinen jeweiligen Partnern. Eigentlich sind Kinder die größte Einschränkung sowohl für den Beruf als auch für Hobbys, besonders wenn man sie alleine großzieht.
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