Warum sind psychische Erkrankungen so vorurteilbehaftet?
Spricht man über Depressionen hört man schnell mal Aussagen wie, dass die einfach nur zu faul sind, dass das einem erfolgreichen Menschen das nicht passieren kann und so weiter. Da frage ich mich schon, wie es zu solchen Vorurteilen kommt, auch bei anderen psychischen Erkrankungen ist das der Fall und man wird schnell abgestempelt. Wieso wird man denn gesellschaftlich als irre angesehen, wegen einer Sache, die jeden treffen kann? Sind die Menschen wirklich so wenig emphatisch?
Zuerst einmal möchte ich sagen, dass man Menschen mit Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen bestimmt nicht mehr als Irre bezeichnen würde. Ich glaube wenn man nicht total altbacken und hinterweltlerich ist, dann nimmt man das schon eher als eine Krankheit an, als dass man behauptet, dass derjenige einfach nur irre ist.
Warum diese Erkrankungen aber so mit Vorurteilen belastet sind, liegt für mich schon fast auf der Hand. Man wird hier schon von der Schule an, eigentlich sogar schon im Kindergarten auf Leistung getrimmt. Wenn nicht direkt am Kind, dann eben über die Eltern. Man erwartet eben ab einem bestimmten Alter, dass man gewisse Dinge nicht nur können sollte, sondern schon fast können muss. Jeder Mensch geht mit diesem Druck aber anders um. Der eine Mensch ist dem Druck locker gewachsen und dem nächsten werfen kleinste Belastungen die über das normale hinausgehen, schon völlig aus der Bahn. Auch wenn der Vergleich hinkt, kann man das vielleicht ein wenig mit dem Schmerzempfinden nahebringen. Dem einen Menschen tuen selbst kleine Verletzungen gleich höllisch weh und der andere hackt sich den halben Finger ab und sagt dann noch, "das kann ja mal passieren". Natürlich völlig überspitzt das Ganze, aber ich denke was die Belastung eines Menschen angeht, kann man das durchaus vergleichen.
Aber warum tun es dann die meisten Menschen einfach so ab? Die Sprüche, " der oder die soll sich mal nicht so anstellen" oder "die haben doch einfach nur keinen Bock mehr" hört man in dem Zusammenhang wahrscheinlich sehr oft. Auch ich ertappe mich immer wieder dabei. Der Grund dafür ist einfach der, dass wenn diese Erkrankung nicht selbst schon mal am eigenen Leib erfahren musste, man es sich einfach auch nicht vorstellen kann. Ich selber habe da so meine Probleme mir vorstellen zu können, wie sich ein Mensch mit Depressionen fühlt, dabei habe ich jemanden im engeren Familienkreis, der an Depressionen leidet. Auch ich rege mich dann schon mal über die Art und Weise, die diese Person an den Tag legt auf, aber einfach nur, weil ich es mir eben nicht vorstellen kann. Laut den Aussagen dieser Person, fühlt man sich antriebslos, man denkt sehr viel über sich und das eigene Leben nach und sucht dann noch nach einem Sinn. Das Arbeiten wird nicht nur zur Qual, sondern man weiß auch nicht, warum man da noch hingeht. Und diese Gedanken beziehen sich dann nicht nur auf den täglichen Gang zur Arbeit, sondern auf alles was einem im Leben an Problemen begegnet.
Und obwohl ich eigentlich sehr gut über den Zustand dieser Person bescheid weiß, erwische ich mich trotzdem immer wieder dabei, wie mir mehr oder weniger dieselben Sprüche durch den Kopf gehen. Ich weiß aber auch, dass ich mir eben auch nicht vorstellen kann, wie sich die Person fühlt, mit welchen Gedanken sie sich Tag für Tag rumschlagen muss. Bewusst wird mir das dann nur, wenn ich mich mit der Person darüber unterhalte, ansonsten gibt sich die Person nach außen hin vermeintlich normal und das macht es dann zumindest für mich noch schwerer diese Erkrankung einzuordnen. Von daher glaube ich nicht dass die Empathie das ist, was die andere Menschen dazu bewegt solche Sprüche raus zu hauen, oder so zu denken, sondern einfach das fehlende Wissen darüber wie sich so eine Krankheit anfühlt und wie es sich damit lebt.
Jupp, die Menschen sind so wenig empathisch. Sich in die Lebenswirklichkeit anderer Leute hineinzuversetzen, ist nicht jedermanns Sache. Man sieht es hier im Forum genauso wie draußen in der Wirklichkeit. Sobald das Leben einer Person nur ein Fünklein von der (meist bieder-bürgerlichen) eigenen Wohlstandswirklichkeit abweicht, springt bei manchen Leuten der Keilriemen runter.
Selbst typisch organische, weit verbreitete und auch für medizinische Laien halbwegs nachvollziehbare Krankheiten und Beschwerden sind oft "vorurteilbehaftet". Schon mal mitbekommen, was im Büro abgehen kann, wenn eine Kollegin sich wegen der "Tage" krankmeldet? Eigentlich müsste allgemein bekannt sein, dass der Uterus viele Frauen ganz schön beuteln kann und dass es schon lange keinen Preis mehr dafür gibt, kreidebleich und mit Schweißperlen auf der Stirn hinter dem Schreibtisch zu kauern. Aber wenn Kollegin X nie Probleme damit hatte und Kollegin Y sowieso der Meinung ist, dass die jungen Frauen von heute nur verwöhnt sind - da findet dann ein Festival der Empathie statt, das seinesgleichen sucht!
Und das ist nur ein Beispiel unter vielen: Migräne ist "Kopfweh", irgendwelche chronischen Beschwerden sind "Jeder hat mal Durchfall" und wenn man die Krankheiten nicht sehen kann, wird es noch mal schwieriger. Dass manche Leute nur daran glauben, was sie auch sehen können, hat ja die immer noch aktuelle Seuche bewiesen. Und wie gesagt: Das Konzept, dass jede/r die Welt anders erlebt, überfordert ganz offensichtlich einen Teil der Menschen, zumal da es auch anstrengend ist, sich da reinzudenken und Empathie und Mitdenken kontinuierlich zu üben.
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