Leben mit Behinderung - ein "besonderes" Leben?

vom 05.12.2015, 15:48 Uhr

Immer wieder höre ich von Bekannten, die eine behinderte Tochter haben, dass dieses Mädchen etwas ganz besonderes ist. Ich finde, dass jeder Mensch, jedes Kind, jeder Mann und jede Frau etwas besonderes ist und ich finde es irgendwie komisch, dass man das bei behinderten Menschen oft so betont.

Das zweite Kind dieser Bekannten fühlt sich schon oft zurückgesetzt, weil immer gesagt wird, dass ihre Schwester doch etwas ganz besonderes ist. Habt ihr das auch schon mal wahr genommen? Im Fernsehen habe ich das auch schon oft gehört, wenn über Behinderte Menschen die Rede war. Aber ist das nicht in einer gewissen Hinsicht auch schon diskriminierend? Zumindest in dem Fall für die Menschen, die nicht behindert sind?

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» MissMarple » Beiträge: 6786 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Ich finde das eher abwertend den Behinderten gegenüber, die ja eigentlich auch nur ein Teil einer normalen Gesellschaft sein wollen. Natürlich ist es kein Leben, was man als besonders einfach bezeichnen würde, aber deswegen ist man ja nun auch kein Affe, den man im Zoo ausstellen muss.

Meiner Meinung nach sollte man behinderte Menschen ganz normal behandeln und sie nicht als etwas Besonderes abstempeln, damit sie extra aufsässig behandelt werden. Sie sind ein ganz normaler Teil der Gesellschaft, wenn sie es auch teilweise deutlich schwerer haben.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Nun ja, immer noch besser "besonders" als "defekt", könnte ich mir vorstellen. Selbstverständlich gibt es positive und wohlwollende Diskriminierung in allen möglichen Bereichen ("Sie können aber toll Deutsch!" "Toll, dass du dich als Mädchen für ein Physikstudium interessierst!") genauso wie aktive, bewusste Abwertung.

Und manche Leute sind so ängstlich darum bemüht, "tolerant" zu wirken, dass sie komplett ins Gegenteil überschwenken. Dabei zeichnet sich wahre Toleranz in meinen Augen dadurch aus, dass man sich für Chancengleichheit einsetzt, wo immer möglich, und ansonsten die Leute ihr Ding machen lässt, ohne mit dem Finger auf sie zu zeigen. Sei es auch noch so "lieb gemeint".

Umgekehrt halte ich es aber auch nicht für sinnvoll, davor die Augen zu verschließen, dass Menschen mit Behinderungen eben nicht ein "Teil der Gesellschaft" sind, sondern sich die "ganz normale" Teilhabe oft hart erkämpfen müssen. Stichwort Barrierefreiheit. Ob man es nun als besonderes Leben ansieht oder als ganz normales - Tatsache ist, dass ein Großteil der Welt für Menschen ausgelegt ist, die alle fünf Sinne und ihren Körper standardmäßig gebrauchen können. Und die, bei denen das nicht so ist, stehen sprichwörtlich am Fuß der Treppe und schauen nach oben.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Ich weiß nicht, ob ich das unbedingt als Diskriminierung bezeichnen würde. Für mich fällt das eher in die Kategorie "das Gegenteil von Gut ist Gut gemeint". Denn im Prinzip sagt man mit "Besonders" auch nichts anderes als mit "Behindert". Die Person weicht von der Norm ab, sie unterscheidet sich vom Durchschnitt, sie fällt aus dem Rahmen.

Eigentlich wünschen sich doch alle immer, dass behinderte Menschen integriert werden und, dass nur da Unterschiede gemacht werden, wo sie sich nun mal nicht vermeiden lassen. Wenn man immer wieder die Behinderung des eigenen Kindes betont, auch wenn das ganz nett und positiv formuliert ist, erreicht man damit sicher keine Integration.

In dem Fall scheint das ja schon in der eigenen Familie nicht zu funktionieren mit der Integration, obwohl Kinder ihre behinderten Geschwister, mit denen sie aufwachsen, doch eigentlich als "normal" empfinden.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



Schwierig, denn in diesem Fall ist das vermeidlich „gut gemeinte“ eher kontraproduktiv dem Kind ohne Behinderung gegenüber zu sehen. Es wirkt auf dieses Kind eben so oder könnte so wirken, als wäre sie weniger besonders, weil sie eben nicht gehandicapt ist. Dabei will die Mama wahrscheinlich nur vermitteln, dass es ein gehandicaptes Kind schlecht in der Gesellschaft hat beziehungsweise nicht einfach, sodass man hier einfach etwas mehr „überschwänglicher“ lobt, wenn etwas gut ist. Das führt aber eben auch dazu, dass das nicht gehandicapte Kind sich etwas auf dem Abstellgleis fühlen kann.

Generell habe ich auch schon mal Situationen erlebt, wo man gehandicapte Menschen eher in Watte packt und das kotzt gerade jene sogar besonders an. Sie wollen keine Extrawurst wie andere, sondern einfach auf Augenhöhe behandelt werden. Doch die „Ottonormalos“ sind der Ansicht, dass man sie in Watte packen muss und sie besonders betüddeln sollte. Das führt nicht selten zu erheblichen Missverständnissen.

Ich denke, dass man wirklich gut damit täte, wenn man gehandicapte Personen einfach wirklich als Mensch wahrnimmt und nicht ständig ihre Behinderung in den Fokus stellt. Das kommt bei den Menschen auch wesentlich besser an, als alles andere. Wenn man ständig alles besonders lobt, weil sie eben gehandicapt sind und es dadurch natürlich in bedingterweise schwerer haben, kommen die sich doch selbst doof vor.

Viele sind mit ihren Behinderungen geboren und sehen daher die Unterschiede, die wir als Normalo empfinden gar nicht als so eklatant. Das darf man eben auch nicht vergessen, wenn man im Umgang mit Menschen mit Behinderungen ist. Sie wollen einfach normal behandelt werden, nicht in Watte gepackt werden und ständig für alles mehr gelobt werden als andere.

Das muss man auch für Kinder in der Familie berücksichtigen, wenn man ständig das Gefühl vermittelt, dass alles was ich mache normal sei, aber was das gehandicapte Kind tut, super sei. Das wirkt auf den Nachwuchs, der „normal“ ist eben ganz anders, als es mit hoher Wahrscheinlichkeit gemeint ist.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge


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