Künstler immer auch ein bisschen eigen oder ein Vorurteil?

Das Bild was wohl viele von einem Künstler im Kopf haben ist ein Mensch, der zwar kreativ ist, aber doch ein bisschen eigen, in seiner Welt lebend und damit auch ein bisschen komisch wirkt. Das sind sicherlich nicht alle und vielleicht ist das Bild auch falsch. Was ist eure Meinung dazu? Gehört es auch dazu ein bisschen komisch zu sein oder auch eigen zu sein, immerhin muss man sich ja auch unter anderen Künstlern beweisen?

Ich denke, dass Künstler genauso unterschiedlich sind wie Menschen in anderen Berufen. Auch in vielen anderen Berufsgruppen gibt es Menschen, die "ein bisschen eigen" sind, und andererseits gibt es auch Künstler, die unauffällig und "normal" sind. Zufälligerweise habe ich gerade gestern erst im Rahmen einer Veranstaltung eine Künstlerin (im Bereich Bildende Kunst) kennengelernt, die auf mich eigentlich gar nicht wie eine Künstlerin gewirkt hat. Sie hätte auch jeden anderen (akademischen oder Büro-) Beruf ausüben können. Die einzige "Auffälligkeit" bestand vielleicht darin, dass sie ihren weiblichen Vornamen so abgeändert haben wollte, dass sich das männliche Namenspendant ergibt.

Ich empfinde es geradezu als Beleidigung, eine Bevölkerungsgruppe pauschal als "ein bisschen komisch" zu beschreiben. Mir würde zu Recht die Hölle heiß gemacht, würde ich mich etwa hinstellen und behaupten: Alle Mütter von kleinen Kindern sind "ein bisschen komisch" und leben "in ihrer Welt", in der es nur um die Konsistenz von Windelinhalt geht, und sonst tapern sie völlig verglast durch die Gegend.

Und überhaupt, was sind schon "Künstler"? Der Ballettprofi, der einen hoch disziplinierten und straff getakteten Lebenswandel pflegen muss, um die geforderten körperlichen Leistungen zu bringen? Die gelangweilte Hausfrau, die im Gemeindezentrum ihre Blumenbilder in Acryl ausstellt, weil sie auch Beschäftigung braucht? Berufsmusiker und -musikerinnen, bildende Künstler, Filmschaffende, die schreibende Zunft in all ihren Facetten von Pferdebüchern bis zum nächsten Weltbestseller? Kann man die wirklich alle über einen Kamm scheren und als ein "bisschen eigen" abtun?

Wenn man eine Stelle als Verwaltungsfachangestellte oder Heizungsinstallateur, Fußball schauen als Hobby und Versorgungsehe nebst den gesetzlich vorgeschriebenen zwei Kindern als Norm und Ideal hernimmt, kann es schon sein, dass Künstler*innen, die vielleicht auf Tournee gehen, Klanginstallationen bauen oder jeden Tag 8 Stunden Cello üben, als der Inbegriff an "seltsam" gelten. Aber dafür braucht man in meinen Augen schon ein sehr eingeschränktes Weltbild mit extrem rigiden und stereotypen Vorstellungen davon, was "normal" ist und was nicht.

Bei Künstlern denkst du wahrscheinlich an bildende Künstler und nicht an darstellende. Dir kommen wahrscheinlich Dali, Warhol oder Van Gogh in den Sinn. Aber das sind Ausnahmeerscheinungen. Die meisten Künstler fallen wahrscheinlich gar nicht auf, wenn man sie nicht kennt. Ein Gerhard Richter würde einem in der S-Bahn wahrscheinlich nicht als besonders hervorstechend, ungewöhnlich im Aussehen oder Verhalten auffallen.

Mein Neffe ist Konzertmeister in einem Orchester, aber von der Persönlichkeit her nicht irgendwie herausstechend. Er lebt auch nicht in einer "eigenen Welt", sondern ganz normal mit Frau und Kindern in einer Eigentumswohnung. Auch die heutigen Schauspieler, die man so im Fernsehen sieht, halte ich für normal, was man so im allgemeinen Sprachgebrauch darunter versteht.

Es gibt und gab natürlich auffällige Künstler, so wie Udo Lindenberg, Josef Beuys oder Klaus Kinski, aber das sind unter den vielen Künstlern doch eher Ausnahmen. Ich kenne auch eine sehr nette Physikerin mit Asperger Syndrom, die auffällig ist und in ihrer eigenen Welt lebt. Auch mein Nachbar, ein Steuerberater, ist ziemlich merkwürdig.