Unwetterkatastrophe ignorieren empathielos?
Ich wohne im Hochwassergebiet Erftstadt und bekomme das alles mehr oder weniger Hautnah mit. Eigentlich kann man sich das nicht vorstellen, denn wir wohnen etwas Oberhalb und wenn man hier vor die Türe geht, dann sieht man wirklich nichts, außer Sonnenschein, geht man allerdings 500m weiter runter ins Dorf, sieht das alles schon ganz anders aus.
Ich selber habe schon ein schlechtes Gewissen, das wegen meinen kleinem Sohn nicht mehr helfen kann, als ich bisher gemacht habe, kann zudem nicht besonders gut schlafen, weil ich immer wieder besonders an die verstorbenen Menschen denken muss. Ich habe selber drei Kinder, daher geht mir das besonders nahe, wenn ich von den kleinen höre und bin immer wieder sehr betrübt.
Jetzt kenne ich auch Personen, die in Brühl, Bonn und verschiedenen anderen Orten, in unmittelbarer Nähe, ich rede hier von 15 Minuten fahrt, wohnen, die scheinbar keine drei Minuten an helfen denken. Alles junge Menschen, um die 40 Jahre, die meisten auch ohne familiären Verpflichtungen und die gehen dann auf Sommerkonzerte oder zum Bowlen und das wird auch noch immer schön überall gepostet.
Finde nur ich das unpassend? Wie kann man denn auf ein Sommerkonzert gehen, wenn nur ein paar Kilometer weit weg, so viele Menschen gestorben sind. Zu Mal das mit dem Unwetter scheinbar ja gar kein Ende mehr nimmt.
Ich bin dann aus der WhasApp Gruppe ausgestiegen, da ich wirklich mit dem Verhalten nicht klar komme. Viele meiner Bekannten und Freunde haben sehr viel verloren, zum Glück leben alle noch, da möchte ich mir keine Bowlingergebnisse ansehen.
Reagiere ich über. Wie ist eure Meinung zu diesem Thema?
Ich finde das schon reichlich bescheuert und würde mich da wahrscheinlich auch ärgern, wenn ich so nah dran wäre. Sicherlich kann man das vielleicht auch ein bisschen verstehen, dass die Leute nun wieder aktiv etwas machen wollen, jetzt wo man es wieder kann und vielleicht war das ja auch ein verschobenes Konzert, aber wenn das so nah dran ist und man gedanklich eben auch froh sein kann, dass es einen selber nicht getroffen hat, ist es schon sehr pietätlos.
Prinzipiell kann ich dann auch verstehen, dass man das dann nicht sehen und lesen will, aber ich finde auch, dass man da nicht so klanglos einfach aus der Gruppe aussteigen sollte, sondern auch mal etwas dazu schreiben sollte. Ich denke man muss immer auch Mitgefühl mit den Leuten haben und wenn andere Menschen dann pietätlos sind, kann man sie ruhig auch mal darauf hinweisen. Wobei man ja auch nie weiß, ob die Personen nicht vielleicht gespendet haben. Man gibt ja nicht immer mit den positiven Dingen an, die man so macht.
Die Frage ist halt, was es bringt wenn ich nicht auf das Konzert gehe, davon wird niemand wieder lebendig. Und die Veranstaltungsbranche wurde von der Pandemie hart getroffen, die Künstler können die Eintrittsgelder sehr gut gebrauchen.
Man muss den eigenen Freizeitspaß sicher nicht groß in den sozialen Medien zelebrieren wenn man weiß, dass der Freizeitspaß von vielen Nachbarn gerade aus Schlamm schaufeln besteht, aber zu Hause in Solidarität herum sitzen und das natürlich auch in den sozialen Medien verkünden, finde ich auch nicht besser.
Das Argument, dass man ja statt dessen helfen könnte, klingt in der Theorie gut. In der Praxis sind die Zufahrtsstraßen für Privatpersonen (außer Anwohnern natürlich) in manchen Regionen komplett gesperrt weil so viele private Helfer und natürlich auch Katastrophentouristen den professionellen Helfern im Weg standen.
Ich bin nächste Woche zu einem Geburtstag eingeladen. Das Geburtstagskind hat die Feier nicht abgesagt sondern statt Geschenken um Spenden für die Flutopfer gebeten. Es wird eine Box geben und da kann jeder seine Spende rein stecken. Ich finde das ist die beste Lösung in der aktuellen Situation.
Es mag vielleicht hart klingen aber das Leben geht weiter und man kann nicht bei jeder Katastrophe mitleiden, sonst würde man in seinem eigenen Leben ja nichts mehr auf die Reihe bekommen. Ich wohne übrigens im Rheintal, es ist also nicht so, dass ich von Hochwasser nicht betroffen sein könnte. Wir hatten dieses Mal einfach nur Glück, dass es nur die üblichen Überflutungen der dafür vorgesehenen Flächen, Einstellung der Schifffahrt, Sperrung von Brücken und Straßen und der ein oder andere voll gelaufene Keller waren.
Ich weiß wie so oft nicht, wo man hier die Grenze ziehen soll. Es liegt nun mal in der menschlichen Natur, Krisen und Katastrophen zu verdrängen, wenn man nicht selber oder einer von den maximal 50 anderen Menschen betroffen ist, die einem grob geschätzt am nächsten stehen. Alleine deswegen finde ich die Welle an Solidarität und Hilfsbereitschaft, die gerade wieder große Teile Deutschlands erfasst hat, besonders bemerkenswert und erfreulich.
Ich finde auch, dass "helfen" immer so leicht gesagt ist. Ich bin auch ein junger Mensch um die 40 ohne nennenswerte Vorerkrankungen. Aber eben auch eine Schreibtischtäterin mit wenig Kondition und ohne technisches Verständnis, die nach 10 Minuten Schlammschippen japsend an der Wand lehnen würde. Ich würde ebenso wie viele andere "junge Menschen" in einem Krisengebiet, wo Anpacken gefragt ist, vor allem im Weg sein und Ressourcen verbrauchen, weil ich ja auch essen und schlafen müsste und am Ende noch medizinisch versorgt werden.
Und was das "schön überall posten" angeht, da kann ich ehrlich gesagt auch nicht helfen. Social Media spielen im Leben vieler eine große Rolle, aber es ist ja auch niemand gezwungen, sich an anderer Leute mediengerecht aufbereiteter Lebensfreude zu ergötzen. Wie schon erwähnt, ist erst recht niemandem geholfen, wenn man pietätvoll daheim hockt, und ich finde es auch irgendwo verlogen.
Wenn es danach ginge, dass man nur dann ins "Sommerkonzert" darf, wenn es allen anderen Leuten auch gutgeht, kann ich mir ja gleich einen Strick nehmen. So traurig es ist, andere Menschen hängen garantiert zeitgleich an der Chemo oder Dialyse, beerdigen jemanden, oder irgendwo "weit weg" gibt es ein Fährunglück, ein Erdbeben oder Waldbrände mit Tausenden von Obdachlosen. Für all das Empathie zu haben macht einen nur selber kaputt und hilft niemandem.
Ob die Menschen das in ihrem Bewusstsein oder Erleben wirklich für sich ignorieren, kann ja keiner wissen. Niemand sieht in die Köpfe der Menschen rein. Und nur weil ich gerade über eine ganz bestimmte Sache ein ganz bestimmtes Gefühl habe, kann ich nicht voraussetzen, dass alle anderen das auch zu eben diesem Zeitpunkt haben. Vielleicht hatten sie zehn Minuten vorher eigene Gedanken darüber gehabt, vielleicht interessiert es sie wirklich nicht, alles ist möglich.
Obwohl ich nicht in der Nähe der Flutgebiete bin oder war nimmt mich persönlich diese Katastrophe mehr mit als es vielleicht noch früher der Fall gewesen ist. Vielleicht liegt es am Stress, vielleicht ist nach all der Klimawandeldiskussion und den Coronasorgen das Fell dünner geworden, aber ich merke, dass ich mich jetzt auch mal von dem Thema hart abgrenzen muss, weil es mich sonst zu traurig macht. Mit anderen drüber reden tue ich außerhalb meiner Beziehung aber nur sehr selten, also könnten Außenstehende über mich auch denken, das Thema sei in meinem Kopf nicht existent. Und hätte ich jetzt Konzertkarten würde ich auch dorthin gehen und es auch anderen erzählen, wenn mir danach ist.
Die Kommunikation in einer Whatsapp-Gruppe würde ich sowieso nicht allzu ernstnehmen, offenbar sind das ja keine engen Freunde oder Bekannten, denn dann hätte man etwas sagen oder fragen können. Manchmal, wenn man mit einem Thema anfängt, fühlen sich auch andere, die vorher still waren, dann bemüßigt, ihre Meinung zu sagen. Vorher bleibt alles nur wildes Rätselraten. Aus der Gruppe ausgetreten wäre ich aber niemals. Entweder hätte ich das Thema irgendwie zur Sprache gebracht als Gedanke, nicht als Vorwurf, wie man so "empathielos" sein kann oder ich hätte die Gruppe einfach auf stumm gestellt und mir das für einige Zeit nicht mehr angesehen, weil es nicht zu meiner derzeitigen Gefühlswelt passt.
Das passiert einem doch immer wieder im Leben, dass die eigenen Gefühle gerade mit bestimmten Themen oder Gruppen nicht zusammenpassen. Aus meiner Sicht ist das aber kein Grund, abrupt einen Kontakt gleich abzubrechen. Im Endeffekt schießt man sich damit ja nur selbst ins Knie und kommt etwas überspannt rüber bzw. verstehen die anderen nicht mal, was los ist. Ich hätte da gleich den Gedanken, dass jemand, der kommentarlos die Gruppe verlässt, eigentlich möchte, dass man ihm im Gespräch hinterherläuft und fragt, was jetzt los ist.
Entweder das oder es soll die pure Bestrafung sein, um anderen die moralische Keule um die Ohren zu hauen. Aber wie auch immer, am Ende ist man selbst der Dumme.
Wenn man von den ganzen Unwettern und Überschwemmungen selbst betroffen ist, kann ich nachvollziehen, dass das einem eben sehr nah geht, vor allem wenn man selbst oder bekannte, jemanden verloren haben. Und man nicht versteht, wie andere Leute einfach so weitermachen als wäre nichts gewesen.
In der Stadt wo ich wohne, war das nicht so schlimm, wie was man alles so in den Medien mitbekommen hat, aber das man vor allem in einem kleinen Ort, wo man sich gegenseitig kennt, hier nicht ein wenig Einsatz zeigt, verstehe ich jetzt auch nicht ganz. Aber dass man dann seine eigenen sozialen Aktivitäten vernachlässigen soll, find ich, ist auch nicht ganz richtig. Also dass man zum Beispiel nicht zu einem Konzert geht oder sich mit Freunden trifft. Man kann ja trotzdem noch anderen Leuten helfen. Da sollte man also nicht so schnell urteilen.
Ich finde auch, dass es wirklich schlimm ist, was dort passiert ist. Es mussten sehr viele Menschen ihr Leben lassen, haben ihr Heim und ihr Haus verloren, haben Angehörige verloren und viele mussten mit ansehen, wie ihr ganzer Besitz oder noch schlimmer, ihre Tiere, verloren gegangen sind und auch den Tod fanden, weil man nichts verhindern konnte. Wenn das ganze Leben innerhalb von wenigen Minuten bis Stunden eine so dramatische Wendung nimmt und man nichts dagegen tun kann, außer machtlos zuzusehen und zu versuchen sich und möglichst viele andere Leben zu retten, dann nagt es doch sehr an einem.
Ich bin froh, dass es so viele Menschen gibt, die helfen wollen. Viele Menschen haben eine sehr weite Fahrt auf sich genommen, um dort unten tätig zu werden, viele bekannte Leute in den sozialen Medien haben auf die Katastrophe aufmerksam gemacht und zusätzlich auch noch um Spenden gebeten und die entsprechenden Seiten verlinkt beziehungsweise die Leute zum helfen animiert. Dadurch sind in den letzten Wochen sehr viele Geld- und auch Sachspenden zusammengekommen. Ich finde es schön, dass es viele Menschen gibt, die so viel helfen können, wie sie wollen.
Jedoch kann man nicht in die Menschen hinein schauen und weiß nicht, wie es privat bei ihnen aussieht. Nicht jeder ist körperlich oder psychisch dazu in der Lage, in so einem Gebiet zu helfen und solche Arbeiten auf sich zu nehmen. Ich selbst bin körperlich aufgrund von Krankheiten, die man mir so nicht ansieht und von denen nicht jeder weiß, nicht belastbar. Ein paar meiner Freundinnen sind psychisch krank und auch sie wären nicht in der Lage dort runter zu fahren und alles wieder aufzubauen. Nicht jeder ist in der Lage, Haus, Familie, Haustiere und vieles mehr zurück zu lassen und sich spontan bei der Arbeit frei zu nehmen. Nicht jeder hat die finanziellen Mittel um zu spenden. Nur weil man das nicht kann - soll man dann zu Hause sitzen? Jemand, der Depressionen hat und nicht helfen kann, soll dann nicht zu Konzerten gehen und versuchen sein Leben zu genießen, nur, weil es anderen Leuten schlecht geht? Man kann den Menschen nur vor den Kopf schauen und zu behaupten, es sei jemandem egal, nur, weil man nicht in der Lage ist aktiv mitzuwirken, finde ich anmaßend.
Vor allem weiß niemand, was die Leute vielleicht machen oder gemacht haben, nur weil es niemand weiß. Weißt du, ob genau diese Leute nicht vielleicht schon Geld gespendet haben? Ob die Tickets für Konzerte und co nicht schon lange vorher gebucht waren? Ob die Verabredungen schon Ewigkeiten vorher geplant waren? Ich denke nicht. Da du nicht weißt, was konkret bei den Menschen dazu führt zu helfen oder nicht zu helfen, finde ich nicht, dass es dir zusteht dir ein Urteil über sie zu erlauben. Aber wenn du schon dabei bist, andere Menschen zu verurteilen, dann hoffe ich doch, dass du trotz deiner Verpflichtungen aktiv mithilfst und das gesparte Geld für Urlaub und Co komplett gespendet hast - weil so einen Luxus braucht man ja nicht, wenn andere in Not sind.
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