Wie ehrlich sollte ein Arzt zu Patienten sein?
Es kommt ja durchaus vor, dass Ärzte ihr Patienten im Unklaren lassen, gerade wenn es um Prognosen geht und jemand vielleicht nicht mehr lange zu leben hat. Meint ihr, dass ein guter Arzt immer ehrlich sein muss, egal was auch passiert?
Oder findet ihr, dass es in manchen Situationen sogar besser für den Patienten wäre, wenn man bestimmte Details und Informationen verschweigt oder vielleicht sogar deswegen lügt? Wie ehrlich sollte ein guter Arzt eurer Meinung nach sein? Fallen euch Beispiele für Situationen ein?
Also gerade, wenn ich nur noch eine gewisse Zeit zu leben habe, möchte ich das natürlich wissen, denn ich möchte mich auch dementsprechend darauf vorbereiten, das ist ja klar. Also wenn der Arzt das dann begründen würde, dass er mich nicht beunruhigen wollte und mir deshalb nichts davon gesagt hatte- oder wenn der Arzt das dann den Angehörigen sagen würde, wenn die Patientin schon gestorben ist, würde ich mich auch bedanken.
Ich finde, dass ein Arzt immer ehrlich zu den Patienten sein sollte. Denn wenn ich nicht möchte, dass ich eine ehrliche Diagnose bekomme, dann gehe ich nicht zum Arzt. Es steht dem Patient oder der Patientin ja frei, dann noch eine oder mehrere andere Meinungen von anderen Ärzten, Heilpraktikern oder Alternativmedizinern einzuholen, wie ich finde.
Viele Ärzte sind nicht immer so gut, was solche Nachrichten angeht und verpacken dann auch gerne mal etwas in Humor, was sie vielleicht auch gar nicht so als Diagnose meinen. Der Grad wirklich etwas gut zu sagen und dabei weder ins Negative noch in das zu Positive abzudriften ist da gar nicht so leicht. Ein Arzt sollte zu seinem Patienten ehrlich sein, das denkt man sich nun bei dieser Frage auf jeden Fall im ersten Moment.
Allerdings kann man das auch nicht immer. Ein todsterbenskranker Mann hat beispielsweise auf seine Frage hin ob alles gut wird mal die Antwort bekommen, dass alles wieder werden wird. Daraufhin ist er eingeschlafen mit einem Lächeln auf den Lippen. Klar, man hätte sagen können, dass das nicht wieder wird, aber es war abzusehen, dass es wirklich nur noch wenige Stunden dauert und da sollte man einem Menschen doch die innere Ruhe gönnen, wenn dieser so sehr danach strebt, denn das macht auch einen guten Arzt aus. Rechtlich war das natürlich sicherlich nicht okay, wenn man es streng betrachtet, aber wen interessiert das schon?
Ich hatte noch nie mit Ärzten zu tun, die unehrlich waren. Der ein oder andere drückt sich vielleicht etwas unklar aus, aber dann fragt man eben nach wenn man mit einem Fachbegriff nichts anfangen kann. Ich frage mich deshalb immer woher der Mythos von unehrlichen Ärzten, die Diagnosen verschweigen, kommt. Hast du das persönlich denn schon mal erlebt?
Was ich aber schon öfter gehört habe sind Geschichten von Patienten, die bestimmte Diagnosen und Therapiemöglichkeiten einfach nicht hören wollen. Vielleicht kommt der Mythos vom unehrlichen Arzt einfach daher, dass der Arzt aufgegeben hat bestimmten Patienten etwas über den Zusammenhang von Lebensstil und gesundheitlichen Problemen zu erzählen, weil schon die fünf letzten Male nichts gebracht hat.
Er oder sie wird ja nicht fürs Lügen bezahlt, würde mir spontan dazu einfallen. Ich finde, je größer die Verantwortung, desto eher ist man der Wahrheit verpflichtet, und wenn ich quasi das Leben und die Gesundheit anderer in den Händen halte, kann ich ja schlecht irgend etwas zusammenfabulieren, was das Gegenüber gerne hören möchte.
Zwar möchten viele Leute die Wahrheit bekanntlich gar nicht hören, und zwar nicht nur wenn es um Leben und Tod geht, sondern auch bei ganz banalen Fragen wie: Tun mir die Knie weh, weil ich zwei Zentner wiege? Aber das gehört eben zum Job, auch unangenehme Gespräche zu führen.
Auf die Art und Weise der Ehrlichkeit kommt es dafür umso mehr an. Medizinisches Fachpersonal hat auch nicht durch die Bank die Empathie mit Löffeln gefressen und neigt in Einzelfällen durchaus dazu, Statistiken, Halbwissen und schlimmstenfalls Prophezeiungen im Brustton der Überzeugung als "Wahrheit" und Fakten zu verkaufen. Da würde ich schon ein normales Maß an Differenzierung erwarten.
Und natürlich ein gewisses Taktgefühl. Wenn mich jemand tränenschwer fragt, ob er oder sie es noch bis zum ersten Schultag des Söhnchens schafft, gilt es eben die Gratwanderung zu beschreiten zwischen einem statistisch gesehen "wahren" "Wahrscheinlich nicht!" oder ein paar passenderen Worten. Aber das liegt nun mal auch nicht jedem.
Gerbera hat geschrieben:Und natürlich ein gewisses Taktgefühl. Wenn mich jemand tränenschwer fragt, ob er oder sie es noch bis zum ersten Schultag des Söhnchens schafft, gilt es eben die Gratwanderung zu beschreiten zwischen einem statistisch gesehen "wahren" "Wahrscheinlich nicht!" oder ein paar passenderen Worten. Aber das liegt nun mal auch nicht jedem.
Das mit dem Taktgefühl ist ja schwierig. Das lässt sich ja kaum erlernen, entweder man hat es oder man hat es nicht. Und es kann sich eben tatsächlich nicht jeder in die Situation des Gegenübers hineinversetzen. Es gibt ja Leute, die sind eben einfach pragmatisch oder rational und es gibt eben Menschen die sind wahnsinnig emotional. Dem kann man oft nur schwer gerecht werden, wenn man da versucht, für den Gegenüber nun gerade das Passende zu finden.
Aber zum Glück oder wie man auch immer das nennen möchte, ist ja genau das am Ende des Tages überhaupt nicht notwendig. Im Gegensatz zu dem was viele glauben, ist das doch nur das I-Tüpfelchen auf dem wie man so eine Nachricht überbringt. Wenn man das kann ist es toll, aber auf dem Weg dahin kann man schon soviel Unsinn anstellen, wenn man versucht da irgendwas groß zu erklären.
Ich hatte da in den letzten Jahren zum Glück auch viele gute Gespräche mit Psychologen und Menschen, die Sterbende begleiten, die Kinder betreuen von Menschen die sterben. Und da gab es eigentlich unisono eine ganz einfache Botschaft, die jeder hinkriegen sollte. Ehrlich sein, kurz fassen und bloß nicht um den heißen Brei drum herum reden. Wenn man jemandem sagen muss, dass er stirbt, sollte man das im ersten oder zweiten Satz machen. Wenn man es Angehörigen sagen soll genauso. Wenn jemand tot ist, sollte man das den Angehörigen zeigen (auch oder gerade Kindern!).
Das wirkt natürlich auf den ersten Blick abgestumpft und empathielos. Aber genau darum geht es eben, wenn man die Pflichtübung absolvieren soll. Es geht darum schlechte Nachrichten zu überbringen, egal ob jetzt Todesprognosen, Sterbemitteilungen oder ähnliches. Das sollen die Leute begreifen und nicht nach fünf Minuten Geschwafel abschalten oder am Ende nicht mehr verstehen, ob man jetzt sagt, da ist jemand Hirntod und die Maschinen halten einen künstlichen Kreislauf aufrecht oder sie eben denken, der lebt ja noch, weil da ein Kreislauf da ist und das wird schon wieder.
Ich habe mich früher auch immer damit schwer getan, wusste nie so richtig was ich da sagen soll und hab dann versucht mir irgendwas zu recht zu legen. Aber ich muss sagen, seit ich das kurz und knapp mache und dabei sehr direkt bin, fällt es mir leichter und ich hatte bisher auch immer das Gefühl, dass es für mein Gegenüber viel leichter war oder ist. Von daher denke ich schon, dass man eigentlich so ehrlich sein sollte wie es geht.
Aber ja, natürlich gibt es auch mal eine Situation, wo man vielleicht mal eine Diagnose weg lässt. Was soll ich dem hochdementen 90 Jährigen noch erzählen, dass wir gerade zufällig noch einen kleinen Prostatatumor gefunden haben, obwohl abzusehen ist, dass er nur noch ein paar Monate wegen den Gesamtumständen leben wird. Den Tumor hätte keiner therapiert, der Tumor hat an der Situation nichts verschlimmert und die Todesursache wird eine ganz andere sein. Da setzt man sich dann schon mal mit den Angehörigen hin, erzählt denen das und fragt dann scheinheilig ob sie es wirklich gut finden würden, wenn man das noch dem Patienten erzählt, der es wohl eh wieder vergessen wird.
Ich erwarte von meinem Arzt unbedingte Ehrlichkeit. Er sollte aber den richtigen Ton finden, also mir nicht sagen, dass ich in zwei Monaten einen schrecklichen Tod sterben werde, sondern, dass es eine, wenn auch geringe Wahrscheinlichkeit gibt, dass ich überlebe. Er sollte mir mögliche Therapien verständlich erklären und auch auf Möglichkeiten der Palliativmedizin hinweisen. Und das Ganze möglichst sachlich.
blümchen hat geschrieben:also mir nicht sagen, dass ich in zwei Monaten einen schrecklichen Tod sterben werde, sondern,
Das ist eine der Sachen, die ich noch nie verstanden haben, wenn Ärzte genau solche Aussagen von sich geben. Also gut es mag Situationen geben, die sind recht eindeutig, insbesondere nach schweren Unfällen oder bei schweren Erkrankungen wie Darmverschlüssen, wo sich ein Patient partout nicht mehr operieren lassen will. Da kann man das meist schon in einer Zeitspanne von wenigen Tagen ganz gut angeben.
Aber wenn dann manchmal bei bösartigen Erkrankungen doch ziemlich genaue Prognosen abgegeben werden, finde ich das schon fragwürdig, woher die Leute das immer wissen wollen. Dafür hab ich einfach schon zu viele unerwartet schnell gestorbene gesehen oder eben für Tot erklärte, die dann noch ziemlich lange gelebt haben. Da halte ich schon mehr davon, wenn man dann schon ehrlich sagt, wie es aussieht, dass es vielleicht wahrscheinlich ist, dass jemand bald stirbt, aber auch so ehrlich ist und auch mal zugibt, dass man eben nicht alles ganz sicher weiß. Auch das finde ich gehört genauso dazu, dass ein Arzt auch mal sagt, dass er etwas nicht weiß oder sich nicht sicher ist.
Mit der Ehrlichkeit ist es halt so eine Sache, wenn es um Prognosen für die Zukunft geht, auch im medizinischen Bereich. Da kann auch mal der beste Arzt daneben liegen. Wenn er dann zu ehrlich (im Sinne der vermutet richtigen Prognose) ist, kann sich das negativ auf den weiteren Verlauf der Krankheit auswirken, denke ich. Optimismus zu vermitteln, kann durchaus einen heilenden Effekt auf den Patienten haben.
Typischer Fall für falsch-negative Prognosen: ein guter Freund war im Januar schwer an Covid19 erkrankt und lag wochenlang im Koma. Die Prognosen der Ärzte waren ziemlich pessimistisch, und man hat uns mehrfach mitgeteilt, dass da eigentlich nicht mehr viel zu retten wäre. Trotzdem hat er überlebt, die Lunge hat sich erholt, und er befindet sich immer weiter auf dem Weg der Besserung. Zum Glück war der Freund damals nicht ansprechbar, sodass ihn die pessimistischen Prognosen nicht erreicht haben. Sonst hätte die Ehrlichkeit der Ärzte womöglich den Verlauf sogar negativ beeinflusst.
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