Warum werden Menschen ohne sexuelles Interesse abgewertet?
Ich habe mir diesen Beitrag hier durchgelesen und ich schüttle den Kopf über die Antworten, die da kamen. Es geht um eine Frau, die sich mit einem oder zwei – das habe ich nicht ganz verstanden – Männern trifft und kuschelt, aber keinen Sex will und den Wunsch nach Sex des einen Mannes als ich würde mal sagen übergriffig und bedrängend empfindet. Viele der Antworten gehen in die Richtung, dass sie sich unfair verhält, wenn sie mit ihm schmust oder ihn küsst aber nicht darüber hinaus mehr möchte.
Ich habe mir auch die anderen Beiträge durchgelesen und sie scheint momentan in einer Phase zu sein, in der sie keinen Sex will. Ich, als Mensch der generell asexuell ist, kann das ziemlich gut nachvollziehen, wie es ist, wenn man jemanden in sein Herz geschlossen hat und Nähe zu der Person wünscht, aber nicht mit demjenigen schlafen will und auch kein Anfassen an intimen Stellen.
Bis ich meinen ebenso asexuellen Partner kennengelernt habe, hatte ich auch einige Bekanntschaften mit Männern oder auch Beziehungen, in denen ich immer wieder gesagt habe, dass ich keinen Sex will, aber Interesse an nicht-sexueller körperlicher Nähe habe und es ist sehr oft genau das passiert, was ihr in diesem anderen Beitrag macht - man wurde dafür verurteilt oder als „böse“ hingestellt, weil man die armen Männer ja ausnutzt und diese nicht mal anderweitig befriedigen will, wie kann man nur usw. Aber habt ihr euch mal darüber Gedanken gemacht, wie das für die Person ist, die sich vom sexuellen Wunsch anderer immer bedrängt fühlt?
Wie traurig das ist, wenn man keinen Sex will, sich aber trotzdem verliebt und auch gern schmust usw. und dann immer wieder dieses nervige Thema Sex im Weg steht, den man einfach nicht will und das auch erklärt, aber die Gegenseite kapiert es einfach nicht? Wenn man dann immer als komisch hingestellt wird, obwohl sexuelles Desinteresse gar nicht so selten ist? Stellt euch mal vor, ihr mögt jemanden und die Person will ständig etwas von euch, was ihr als eklig oder zumindest unangenehm und sinnlos empfindet.
Man kann ja unterscheiden in Menschen, die generell keine Lust haben (wie ich), die aktuell aus welchem Grund auch immer keine Lust haben und Personen, die jetzt nicht total desinteressiert an Sex sind, aber die so wenig Lust haben, dass sie eigentlich keinen Sex wollen und von sich aus damit nicht ankommen würden, aber dem Partner zuliebe vielleicht mitmachen würden, wenn der unbedingt will. Und wenn man verschiedenen Statistiken Glauben schenken mag, dann ist diese Personengruppe gar nicht mal so klein, da kommt man auf 10-20 % der Bevölkerung, die ein geringes oder kein sexuelles Interesse hat. Also wir reden hier nicht von einer seltenen und extrem untypischen Randerscheinung, sondern einer doch recht großen Gruppe an Menschen. Demnach kann man, wenn man jemanden kennenlernt, nicht automatisch davon ausgehen, dass die Person, wenn sie Nähe sucht, auch Sex möchte.
Das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen. Mir sind im Leben auch schon mehrere Männer wie Frauen begegnet, die entweder so wie ich richtig asexuell waren (also nie Sex wollten) oder zumindest nur sehr sehr selten mit völlig untergeordnetem Stellenwert und die alle waren aber trotzdem nicht komplett gegen Nähe, sondern wollten durchaus körperliche Zuneigung im Sinne von „schmusen“ und küssen. Die asexuellen Männern, die ich so kennengelernt habe, waren sogar überwiegend sehr verschmust und anhänglich, aber es hatte halt keiner Interesse daran, intime Stellen anzufassen, was folglich auch nicht gemacht wurde.
Ich denke, dass Personen, die nicht so gestrickt sind und die Sex für ganz normal halten, sich das immer nicht vorstellen können, dass es ganz viele Menschen gibt, die keinen wollen oder brauchen und auch von körperlicher Nähe nicht so erregt werden, dass sie nun zu mehr übergehen wollen, selbst wenn man verliebt ist. Aber letztendlich gibt es das sehr wohl und es ist ziemlich schade, dass man sich da immer rechtfertigen muss, warum man keinen Sex will oder dass da so entrüstete Fragen kommen wie „Du willst doch kuscheln, warum willst du nicht mehr“ bzw. dass das sogar als „den Mann quälen“ dargestellt wird. Man kann doch nicht erwarten, dass eine Frau die Wünsche des Mannes erfüllen muss, obwohl ihr das zuwider ist. In welchem Jahrhundert leben wir denn?
Ich finde, die beschriebene Frau in dem anderen Thread hat doch alles richtig gemacht. Sie hat sich offenbart und mitgeteilt, was sie möchte und was nicht. Und sie hat ihm eingeräumt, dass er sich den Sex woanders holen kann. Das hätte ich beispielsweise nicht gemacht. Es ist ja was anderes, wenn man als lustloser Mensch einfach nichts sagt und den anderen auflaufen lässt, in der Hoffnung, dass es dem anderen vielleicht auch so geht. Habe ich früher auch gemacht, weil ich nicht wusste, was eigentlich los ist und weil ich dachte, dass die meisten anderen auch so sind wie ich, was sich als Trugschluss herausstellte.
Aber wenn man nicht mit jemandem schlafen möchte, ist es doch was sehr Gutes, das einem eventuellen Bekannten oder Partner zu sagen. Warum verurteilt ihr das so? Sollen jetzt eurer Meinung nach Menschen, die (aktuell) keine Lust haben, generell einen Bogen um mögliche Beziehungspartner machen? Ich finde das ganz schön intolerant, wenn man fordert, dass Menschen ohne sexuelles Interesse bitte auch jede andere Form von Kontakt einstellen sollen.
Weil es generell als nicht zum guten Ton gehörig angesehen wird, wenn jemand sein sexuelles Interesse (oder auch den Mangel desselben) anderen aufzwingt, deren sexuelles Interesse anders gelagert ist. Ich bin beispielsweise, wenn ihr es schon genau wissen wollt, sexuell aktiv und absolut hetero und habe prinzipiell kein Problem mit dem großen Rest der Konstellationen.
Wenn aber beispielsweise meine lesbische Schulfreundin vehement mit mir "kuscheln" will, mein Partner die Freuden des ehernen Zölibats entdeckt oder ein Transmann (entspricht auch nicht meiner sexuellen Veranlagung) sich an mich ranwanzt, dann werte ich die Leute nicht ab, wenn ich mir ihre Avancen (oder das Ausbleiben derselben) verbitte bzw. im Extremfall als sexuelle Belästigung werte und entsprechend ahnde.
Ich finde nicht, dass ich meine eigenen Präferenzen gefälligst hintanzustellen habe, damit sich andere sexuelle oder sonstige Präferenzen nicht "abgewertet" fühlen. Wenn mir jemand im Bett nicht das geben kann, was ich will oder brauche (egal ob wilde Orgien oder Leichenstarre), muss ich weitersuchen und kann nicht das Motzen anfangen, weil jemand in dieser Hinsicht anders tickt als ich und eben auch seine Bedürfnisse ausleben will.
Gerbera, die Beispiele, in denen sich dir jemand aufdrängt (lesbische Schulfreundin usw.) sind nachvollziehbar. Aber der umgekehrte Fall, dass man selbst etwas will, was der andere nicht will (also wenn dein Mann beispielsweise keine Lust mehr hätte), liegen meiner Meinung nach anders. Wenn man selbst was will, was der andere nicht möchte, dann muss man das meiner Ansicht nach akzeptieren. Also sich abzugrenzen, wenn die lesbische Freundin kuscheln will, finde ich richtig, aber wenn dein Mann keine Lust mehr hätten, dann wäre es nicht ok, ihn zu drängen.
Es geht nicht darum, dass gefälligst jede Frau die Beine breitmachen sollte, sondern um alles, was Gerbera im vorigen Posting schon sagte: Unterschiedliche, nicht kompatible Bedürfnisse, hinzukommend noch für meine Begriffe ein Ausnutzen der romantischen Gefühle eines anderen.
Wohl kaum jemand hier würde einen Stein werfen, wenn zwei Leute miteinander einvernehmlich beschlossen haben, die Sache mit dem Sex auszulassen. Das ist doch gar nicht der Punkt. Natürlich ist das eine legitime Sache, keiner ist moralisch gezwungen oder verpflichtet mit einer anderen Person Sex zu haben. Und jeder Mensch kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine sexuelle Handlung ohne Angabe von Gründen ab- oder unterbrechen. In dem zitierten Thread ging es aber nicht um die Frage, ob frau moralisch verpflichtet ist, mit einem Love interest Sex zu haben.
Die Abwertung geschah übrigens nicht ausgehend von den Usern hier, sondern von einer nicht an Sex interessierten Person, die sich über die ekligen "notgeilen" Bedürfnisse eines armen, "alten" Typen mokierte, der blöd genug ist, verliebt zu sein und eine Beziehung zu wollen, während man selbst den ja doch irgendwie vor allem so ein bisschen alt und notgeil findet, aber dann doch noch nett genug, um mit ihm zu Kuscheln. Und um den bei der Stange zu halten und ein wenig mit der Möhre vor der Nase rumzufuchteln, wird sich dann auf Knutschereien eingelassen, die man eigentlich auch gar nicht so richtig will.
Die Konstellation ist für beide Beteiligte schade, denn keiner wird in so einem Kontakt seine Bedürfnisse auch nur ansatzweise befriedigt bekommen, aber genauso kann keiner (!) der beiden den anderen in die eigene präferierte Richtung drängen. Das gilt sowohl für den Mann als auch die Frau.
Verbena, aber warum siehst du denn den "armen alten Typen" als Opfer? Für mich ist eher die Frau das Opfer, die den offenbar mag (denn man schmust doch nicht mit Menschen, die man nicht leiden kann), aber dann von ihm bedrängt wird. Mir stellt sich das eher so dar, dass der Mann die Gefühle der Frau ausnutzt, um sie zu etwas zu drängen, was sie nicht möchte.
Zitronengras, nur weil man keinen Sex haben möchte, benutzt man den anderen nicht und trägt keinerlei Verantwortung? So, wie man jemanden nicht bedrängt, der nicht will, macht man auch keinen scharf, den man nicht ranlassen möchte. Denn vom anderen zu verlangen, dass er gefälligst kuscheln soll, aber sich mehr zu verkneifen hat, ist falsch. Wenn man den anderen angeblich so sehr mag, dass man mit ihm kuschelt, muss man sich halt zurücknehmen, wenn dem das nicht guttut. Allerdings erfordert das nicht ausschließlich Egoismus. Wenn man selbst nur egoistisch handelt, ist es kein Wunder, wenn der andere ebenfalls nur noch seine Interessen verfolgt.
Cooper, ich teile deine Ansicht, dass das egoistisch ist, nicht so ganz. Du bist immer schnell mit Worten wie Egoismus. Kuscheln ist für mich aber eine nicht sexuelle Handlung. Dass dabei jemand erregt wird, wäre so als würde jemand beim Blumen gießen, wandern oder Mau Mau spielen erregt, also bei wirklich nicht auf Sexuelles abzielenden Tätigkeiten. Und wenn ich mit jemandem wandern gehen und den erregt das, bin ich dann daran Schuld? Oder müsste man dann nicht eher sagen, dass es nicht sein sollte, dass einen sowas schon erregt?
Natürlich wissen wir nicht genau, was mit Kuscheln gemeint ist. Sicherlich ist da eine große Bandbreite denkbar, von Kopf auf Schulter legen bis hin zu fast Petting. Ich nehme aber mal an, dass jemand, der keine Lust auf Sex hat, sich eher in dem wirklich nicht sexuell konotierten Bereich von Kuscheln bewegt. Und wenn jemand "spitz" wird, weil minimaler Körperkontakt stattfindet, dann ist das doch überzogen. Da würde ich schon sagen, sollte die Person mal an sich arbeiten. Erst recht wenn es da Absprachen gab im Sinne von "Ich will nur Kuscheln" - "OK" - "Dann kuscheln wir nur".
Außerdem ist es auch rechtlich ein Unterschied, der nicht außer acht gelassen werden sollte. Nicht wollen ist nicht strafbar, auch wenn man vielleicht vorher gekuschelt hat. Aber bedrängen und an intimen Stellen berühren, gegen den Willen des anderen kann durchaus geahndet werden. Wenn sich das so zugetragen hat wie die Frau berichtet, könnte sie den Mann auch anzeigen.
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