Zeugt eine pflanzenlose Grabgestaltung von Lieblosigkeit?

Als ich noch ein Kind war, bin ich oft mit meiner Mutter zum Grab meiner Oma gegangen. Wir haben ganz in der Nähe des Friedhofs gewohnt. Ich habe immer noch in den Ohren, wie meine Mutter sowohl über ungepflegte, aber auch über Gräber ohne Bepflanzung, aber mit hübschen Steinen gelästert hat. Sie meinte, dass das von Lieblosigkeit gegenüber den Verstorbenen zeuge.

So haben wir meiner Mutter ein schön bepflanztes Grab mit ihren Lieblingsgewächsen gestaltet. Da aber keines der Kinder aus den verschiedensten Gründen das Grab oft besucht, haben wir einen Friedhofsgärtner mit der Pflege der Bepflanzung beauftragt.

Ich hätte einen schönen Stein besser gefunden, aber obwohl meine Mutter ja gar nichts mehr davon mitbekommt, hätte ich ein schlechtes Gewissen dabei gehabt. Zeugt eine pflanzenlose Grabgestaltung von Lieblosigkeit? Denkt ihr immer gleich, dass den Nachkommen der Verstorbene gleichgültig ist, wenn ihr ein Grab seht, das nur mit einer Steinplatte bedeckt ist? Oder ist das nur bei mir so fest im Unterbewusstsein verankert? Eigentlich ist es doch fast liebloser, wenn man die Bepflanzung einem fremden Friedhofsgärtner überlässt statt sich einen individuelle pflanzenlose Bedeckung auszusuchen oder sogar selber zu kreieren.

Ich sehe so etwas sehr kühl. Die Leute bekommen es nicht mehr mit und was Nachbar XY oder Tante D von mir denken ist mir egal. Mit Grabpflege habe ich daher nichts am Hut und finde es auch durchaus okay, wenn man einfach ein Grab ohne Namen oder was auch immer hat. Sind wir mal ehrlich, wer hat schon großartig Lust auf Grabpflege? Im Alltag fehlt dafür oft die Zeit und man setzt sich dann unter Druck, obwohl die betreffende Person nichts mehr davon hat. Ich finde das bescheuert.

Meiner Meinung nach kann man auch bei jemanden, der es immer schön Grün gemocht hat gute Lösungen finden. So kann man einen Kranz machen und den regelmäßig wechseln und den Rest vielleicht mit Efeu oder was auch immer bedecken lassen oder man bezahlt jemand für die Grabpflege, aber so etwas kostet dann eben auch etwas. Grabpflege ist sehr zeitintensiv und hat meiner Meinung nach auch nichts mit Trauerarbeit oder mit der Würdigung der toten Person zu tun. Dieser Person sollte man im Leben gezeigt haben, was man von ihr gehalten hat. Pflanzlos empfinde ich nicht als lieblos. Liebe zeigt man vor allem im Leben, ein paar verfaulende Reste kümmern sich nicht um den Pflanzenwuchs über ihnen, auch wenn das hart klingen mag.

"Grab richten" ist bei mir auf dem Lande eine wichtige soziale Tätigkeit gerade für die ältere Generation. Man trifft sich regelmäßig auf dem Friedhof, hilft sich gegenseitig aus, teilt sich eine Ladung Stiefmütterchen und füllt auch mal das Weihwasserbecken auf. Gerade für die älteren Leute ist es wichtig, beim gemeinsamen Unkrautzupfen auch einen Plausch mit Gleichgesinnten zu halten, die ebenfalls schon mehr Leute unter der Erde kennen als darüber.

Aber die Zeiten sind nun mal vor bei, in denen man im gleichen gottverlassenen Kaff geboren wurde, geheiratet hat, und gestorben ist, während von den zahlreichen Kindern und Enkeln wenigstens ein paar im gleichen Dorf wohnen geblieben sind, die die Tradition des Familiengrabs samt "Grab richten" weitergetragen haben. Selbst bei uns wird es schon knapp, und ich gehe nicht davon aus, dass meine Nichten in 50 Jahren regelmäßig angereist kommen, um mich zu begießen und darauf zu achten, dass die Stiefmütterchen in Reih und Glied angeordnet sind.

Von daher hat es für mich nichts mit "Lieblosigkeit" zu tun, sondern eher mit der praktischen Lebenswirklichkeit der jüngeren Generationen, wenn Gräber "pflegeleichter" gestaltet sind, zumal es ja auch eine Kostenfrage ist. Und Traditionen spielen auch eine Rolle. In Polen drüben z.B. habe ich fast nur Gräber mit Grabplatten gesehen, und in anderen Ländern gibt es dagegen nur Grabsteine ohne das Karree aus dunkler Erde davor. Da schreit ja auch keiner: "Lieblos! Nicht mal Stiefmütterchen!"