In Sozialkaufhaus einkaufen - schlechtes Gewissen?
Ich kaufe gerne in Sozialkaufhäusern ein oder schaue mich dort einfach nur um. Wir haben ein ziemlich großes mit mehreren Etagen in der Nähe, das alles hat, was man so braucht oder nicht braucht, wie etwa Geschirr, Möbel, Bücher, Spielsachen, Handtaschen, eigentlich alles, was ein großes Kaufhaus auch führt. Ich habe dort unter anderem schon einen Kunstband, eine spezielle Teetasse, ein Poster, einen Bilderrahmen, eine Blumenvase und einen Sonnenhut gekauft.
Außerdem habe ich um die Ecke einen kleineren Secondhand-Laden, der nur Kleidung hat. Da ich in einem reicheren Stadtteil wohne, gibt es dort auch Markenkleidung extrem günstig. Meine Hauptmotivation ist nicht nur das Geld, sondern auch, dass ich die Umwelt schone, indem ich gebrauchte Dinge verwende, die sonst vielleicht weggeworfen würden.
Nun habe ich kürzlich eine Diskussion gehabt, in deren Verlauf jemand meinte, dass die Sachen doch eigentlich für arme Leute seien. Jetzt in Corona-Zeiten solle man außerdem die anderen lokalen Geschäfte unterstützen. Muss man ein schlechtes Gewissen haben, weil man den Armen vielleicht das eine oder andere Schnäppchen wegkauft?
Ich finde nicht, dass du ein schlechtes Gewissen haben musst. Du machst eigentlich alles richtig und ich glaube auch nicht, dass du irgendwen etwas wegnimmst. Es gibt doch genügend Auswahl und vor allem kann man doch auch wirklich zufrieden sein, wenn die Sachen noch eine Verwendung finden und nicht einfach entsorgt werden.
Ich kaufe auch gerne mal Second Hand ein, weil ich ebenso wie du auch, nicht möchte, dass man so viel einfach wegschmeißt. Die meisten Sachen sehen aus wie neu und warum sollte man die nicht tragen? Die Auswahl war noch nie so klein, dass man da irgendjemand etwas wegnehmen würde. Vom Geld her hätte ich das auch nicht nötig, aber wie du mag ich es nicht, wenn man nur wegwirft.
Das Sozialkaufhaus, das ich frequentiere, wirbt sogar aktiv um Schnäppchenjäger, Flohmarktfans und sonstige nicht-"arme" Kundschaft. Die Ware wird ihnen so schnell sowieso nicht ausgehen, und von den Einnahmen können sie ihr Personal bezahlen, welches zum Großteil auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hätte und auch diverse Hilfsprojekte unterstützen, von der Flüchtlingshilfe bis zur Tafel.
Ich bin ein großer Fan dieses Prinzips. Wenn ich ausmiste, kann ich dort quasi alles von Kleidung über Deko bis Geschirr abliefern, das noch zu schade zum Wegwerfen ist. Umgekehrt spare ich einen Haufen Geld - erst neulich habe ich eine rechteckige Kuchenplatte, die ich schon ewig gebraucht hätte, neu für einen symbolischen Euro abgegriffen. Wieso sollte ich gerade für Kleinkram wie Geschirr, aber auch Kleinmöbel und ähnliches den vollen Preis zahlen, wenn mir alles, was man sich nur vorstellen kann, zu Centbeträgen dort nachgeschmissen wird?
Die Preise sind da auch so gestaltet, dass die wirklich bedürftigen Menschen an das Notwendige für den täglichen Bedarf zu minimalen Preisen kommen. Dafür ist die Kristallvase, der Pelzmantel oder auch der Bildband über Neuseeland dann eben ein klein bisschen teurer, aber immer noch zu Flohmarktpreisen zu erhalten.
Bei uns gibt es einen riesigen Dauerflohmarkt, der zu einem Sozialprojekt gehört und für die Menge an Sachen, die es da gibt, müsste man erst mal genug "arme Leute" finden, die die Sachen dann auch noch haben wollen. Davon abgesehen, was genau qualifiziert eigentlich als "arme Leute"? Ich meine, als Studentin, die sich gerade ihre erste eigene Wohnung einrichtet, hat man in der Regel ein extrem kleines Budget und freut sich wenn man günstig an Möbel kommt, aber mich hat nie jemand als "arme Leute" bezeichnet.
Außerdem bezieht sich das "sozial" doch gar nicht auf die Kundschaft sondern auf den Anbieter. Bei uns ist das jedenfalls ein Träger, der als gemeinnütziger Verein keinen Gewinn machen muss, und in diesem Projekt Menschen einen Arbeitsplatz bietet, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hätten. Von daher bin ich es als Kundin, die sich sozial verhält und mit ihren Einkäufen ein gutes und sinnvolles Projekt unterstützt.
Ich schaue bei diesem Dauerflohmarkt immer wieder gerne rein, weil ich mir vorgenommen habe bei fast allen neuen Anschaffungen immer erst mal zu prüfen ob es eine gebrauchte Option gibt. Das ist nicht nur nachhaltiger und günstiger, erstaunlicherweise bekommt man manchmal sogar deutlich bessere Qualität als wenn man neu kauft.
Natürlich könnte man jetzt argumentieren, dass die arme Wirtschaft ja extrem leiden würde wenn sich jeder so wie ich verhalten würde. Aber ist es mein Job ein Wirtschaftssystem zu unterstützen, das darauf basiert, dass wesentlich mehr Dinge produziert werden als wir brauchen? Es werden ja selbst mehr Dinge produziert als wir "brauchen" sonst würde nicht so viel in Sozialkaufhäusern landen, das praktisch neuwertig ist.
Ganz ehrlich, ich finde es toll wie du Nachhaltigkeit lebst und unterstützt. Ich bin auch der Meinung, dass du niemandem etwas wegschnappst. Ich bin auch gerne mal in Gebrauchtwarenläden für Elektronik oder Möbel bzw. in Secondhand-Läden für Kleidung unterwegs. In vielen Bereichen sind Gebrauchtgegenstände kein bisschen schlechter als Neuware.
Wenn ich allerdings in den Läden unterwegs bin dann ist da nie etwas bzw. viel los. Ich habe nicht das Gefühl dass sich die Menschen um die Gegenstände reißen. Die Ladenbesitzer bei uns freuen sich, wenn sie mal "Besuch" bekommen. Meiner Meinung nach denken noch viel zu wenige Menschen nachhaltig und ich glaube auch, dass die wirklich "armen Menschen" immer noch zu viel Scham haben dieses Angebot tatsächlich auch zu nutzen. Und dann gibt es noch die Sorte von Sozialhilfeempfänger die sich zu 'gut' für Secondhand-Ware finden. Ich habe jedenfalls das Gefühl dass es diese Ware fast im Überfluss gibt und somit im Endeffekt niemandem etwas wegschnappen kannst.
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