Partner schämt sich für gehandicapten Bruder, normal?

vom 11.03.2015, 23:28 Uhr

Ich habe heute ein wirklich seltsames Gespräch in der Bahn mitbekommen. Leider war es nicht einmal möglich, dem zu entgehen, weil die Bahn zu voll war und sie direkt neben mir standen. Es war augenscheinlich ein Pärchen in den Mitte 20er Jahren, welche sich zumindest anzickten. Streiten würde ich das nicht unbedingt nennen, wobei es drohte,in einem Streit zu eskalieren.

Sie warf ihn vor, ein schlechter Bruder zu sein und mal darüber nachzudenken, dass ihr Kind, wenn sie eines hätten, ebenfalls gehandicapt sein könnte. Er entgegnete die ganze Zeit eben nur, dass sein Bruder behindert ist und er sich für ihn schämen würde. Laut ihrer Aussage handelt es sich um einen Gehfehler, den er als Captain Hook bezeichnet.

Ich war wirklich erschrocken, weil ich es traurig fand, dass ihn ein junges Mädchen darauf hinweisen muss, dass sein Bruder nichts für seinen Gehfehler kann. Er jedoch null Einsicht zeigte und es sogar vorzog, während seine Freundin ihn eigentlich zurecht wies, seinen Bruder nachzuäffen.

Mir ist wirklich schleierhaft, wie man seinen Bruder so behandeln kann und sich über diesen lustig machen kann. Der wäre nicht mehr mein Partner, unter Garantie nicht. Wie seht ihr das? Würde so etwas für euch infrage kommen als Partner? Womöglich habt ihr auch einen gehandicapten Menschen in der Familie und könnt davon berichten.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Die Schwester einer Freundin hat auch einen Gehfehler. Nichts dramatisches. Ich glaube, ein Fuß hat eine Fehlstellung oder sie hat deutliche X-Beine. Irgendwie so etwas. Sie wird damit keine Olympia-Marathonläuferin, aber von sehr viel mehr hält es sie nicht ab.

Die Schwestern sind jetzt auch schon beide weit über 20. Da hatte meine Freundin ein Gespräch mit dem Vater. Die Schwester hatte sich gerade von ihrem Freund getrennt und der Vater bedauerte das, weil sie ja mit ihrer Behinderung nicht so schnell einen abbekommt. Zitat Ende. Meine Freundin war total geschockt, dass der eigene Vater so über seine Tochter denkt. Sie selber hat ihre Schwester nie als behindert angesehen. Und selbst wenn.

Ich finde es auch mehr als traurig, dass der junge Mann, den du da mit seiner Freundin gehört hast, so über seinen Bruder denkt. Wenn man schon mit so etwas zu kämpfen hat, wäre es schön, wenn man wenigstens die Familie auf seiner Seite hat. Meine Geschwister haben mich in der Schule immer verteidigt. Das war großartig.

Vielleicht hat er als älterer Bruder immer darunter gelitten, dass sein kleiner Bruder so viel Aufmerksamkeit bekommt. Er wurde vielleicht von den Eltern sehr beschützt. Da kann man schon mal eifersüchtig werden und seine Gefühle dann auch so missinterpretieren oder umlenken, dass man sich für ihn schämt.

Wie auch immer es kam. Ich denke, die Eltern haben da große Fehler gemacht, wenn sie das nicht mitbekommen und rechtzeitig gegengesteuert haben. Sie hätten auch ihrem gesunden Sohn beibringen müssen, mit der Behinderung zu leben und sie zu akzeptieren.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Ich kann mir auch vorstellen, dass der junge Mann vielleicht eifersüchtig auf seinen Bruder ist, weil dieser durch sein Problem mehr Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zog. Aber trotzdem finde ich es auch traurig, dass der junge Mann sich so gar nicht um seinen Bruder kümmert, sondern ihn im Gegenteil noch verspottet. Wenn er sich in der Öffentlichkeit über ihn lustig macht muss das zwar nicht heißen, dass es auch so ist, wenn er ihn mal trifft, aber wenn er dann so tut, als wenn er ein toller Bruder wäre, dann wäre es auch noch hinterlistig und auch gemein.

Ich könnte mit einem solchen Menschen nicht befreundet sein. Ich finde es toll von der jungen Frau, dass sie sich so für den Bruder des Freundes einsetzt, aber man merkte ja doch auch, dass es zu keinem Ergebnis führte und dass der Freund auf seinem Standpunkt beharrte, dass er sich für seinen Bruder schämte. Sicher kennt man so nun nicht die Hintergründe, aber in so einem Fall würde ich gar nicht diskutieren, sondern eine Freundschaft sofort beenden, wenn ich wüsste, dass der Freund den Bruder so in der Öffentlichkeit verspottet.

» Barbara Ann » Beiträge: 28945 » Talkpoints: 58,57 » Auszeichnung für 28000 Beiträge



Also normal ist es auf jeden Fall nicht, aber ich denke, dass vielleicht ein tiefersitzendes Problem das Verhalten des jungen Manne verursacht. Ich habe selbst eine schwerstbeeinträchtigte Schwester, ich käme nur nicht im Traum darauf, die nachzuäffen oder schlecht zu machen.

Vielleicht haben die Eltern den Fehler begangen und dem jungen Mann nicht auseichend Aufmerksamkeit entgegen gebracht, das er ich so verhält. Vielleicht wirde dem jungen Mann auch nie beigebracht, das der Bruder für die Behinderung nichts kann und man es akzeptieren muss. Aber es ist schon echt gemein von dem jungen Mann so über seinen Bruder zu reden und sich lustig zu machen.

» Wibbeldribbel » Beiträge: 12585 » Talkpoints: 9,82 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



Wirklich nachvollziehen kann ich das nicht, aber jeder ist ja unterschiedlich und viele Menschen schämen sich für ihre Familie, ganz unabhängig davon, ob diese nun eine Behinderung haben oder nicht. Ich kann mir vorstellen, dass sie einfach generell ein schlechtes Selbstwertgefühl und wenig Selbstbewusstsein haben. Vielleicht befürchten sie, dadurch selbst schlechter dazustehen. Und wenn Leute über den behinderten Bruder reden, dann hat er ja indirekt auch damit zu tun. Wahrscheinlich will er sich klar davon distanzieren.

Für mich ist so ein Verhalten ein absolutes No Go, aber es gibt Menschen, denen es absolut wichtig ist, was andere von ihnen halten. Die Schwester meiner Mutter ist beispielsweise auch geschieden, wobei meiner Mutter das auch peinlich ist, da das in unserer konservativen Familie ein absolutes No Go ist. So etwas gehört sich absolut nicht und vor allem nicht, dann noch nach der Scheidung andere Männer zu daten. Meiner Mutter ist es auch wichtig, sich von der Schwester zu distanzieren und anderen Menschen so zu zeigen, dass sie nicht so ist und nichts damit zu tun hat.

Ich kann mir vorstellen, dass das bei dem jungen Mann auch so ist. Er befürchtet vielleicht, dass andere Menschen über den Bruder lästern oder schlecht über ihn reden und will sich daher direkt auf ihre Seite stellen und sich vom Bruder distanzieren, anstatt ihm zur Seite zu stehen. Das ist natürlich sehr feige, aber solche Leute wird man leider auch kaum bekehren können. Ihnen ist eben wichtiger, was die anderen über sie denken, anstatt sich selbst einmal in die Position des "Opfers" hineinzuversetzen.

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» Prinzessin_90 » Beiträge: 35273 » Talkpoints: -0,01 » Auszeichnung für 35000 Beiträge


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