Beziehungstipps geben, obwohl man noch nie Partner hatte?

Eine YouTuberin, die ich ganz gerne mag, hatte mit Mitte zwanzig Jahren noch nie einen Partner. Sie selbst hat absolut kein Problem damit und kommt wunderbar damit zurecht, auch wenn sie nichts gegen eine Beziehung einzuwenden hätte. Jedenfalls kommt es öfter vor, dass sie ihre Abonnenten um Beziehungstipps bitten, die sie dann auch gibt.

Oft wurde daraufhin dann geschrieben, dass sie sich sehr gut damit auskennen und sehr gute Tipps geben würde. An sich spricht ja nichts dagegen. Auch wenn man selbst noch keinen Partner hatte, kann man durch Beobachtung anderer sicher auch gute Beziehungstipps geben. Wie seht ihr das?

Das ist für mich das gleiche Prinzip wie das Erteilen von Erziehungsratschlägen, obwohl man selber kinderlos ist. Natürlich kann das funktionieren, denn das Verhalten und die Emotionen der Menschen lassen sich in gewissem Maße theoretisch und wissenschaftlich analysieren, erklären und steuern. Im Falle der Kindererziehung bedienen sich hilfreiche Methoden basaler psychologischer Techniken wie der operanten Konditionierung und dem Modelllernen. Wer Kenntnisse in den Grundlagen dieser Theorien besitzt, der kann diese auch anwenden und weitergeben.

Genau das gleiche gilt für die Beratung von Paaren. Gibt es immer wieder Krach in der Beziehung, weil niemand offen über seine Gefühle und Wünsche spricht und dem anderen aus dem unwissentlichen Ignorieren derselben einen Vorwurf macht, dann kann jeder Psychotherapeut in Ausbildung in Form von sozialem Kompetenztraining wertvolle Tipps geben, auch wenn er selber nie einen Partner gehabt hat.

Ich sehe es genauso. Natürlich kann ich mir Beziehungstipps geben lassen von jemandem, der noch keine Beziehung hatte. Derjenige kann schon viel durch Beobachtung oder durch Erfahrung anderer lernen und Tipps weitergeben. Nur, weil man noch keine Partnerschaft hatte, heißt das zwangsläufig, dass man keine Ahnung von der Materie hat. Genauso wie nicht jeder ein Beziehungsexperte ist, der in einer Beziehung ist.

Eine Person kann trotz mangelnder eigener Erfahrung gute Tipps geben und sich gut in eine Person einfühlen. Ich habe sogar eine Bekannte, die mir immer wieder tolle Beziehungstipps gegeben hat, die mir sehr weitergeholfen haben und es aber selbst nicht hinbekommen hat, eine Beziehung länger als zwei Wochen zu führen.

Oft kann man Dinge von außen ganz gut beurteilen, obwohl man selbst noch nie in der entsprechenden Situation war. Deswegen können Leute ohne Partner auch durchaus Beobachtungen machen, die die Betroffenen selber nicht sehen. Ein Lehrer kann ja auch ein guter Lehrer sein, ohne selbst Kinder zu haben, oder eine Altenpflegerin kann Senioren Tipps geben, ohne selber das Gefühl zu kennen, alt zu sein. Und ein Psychologe kann Depressive behandeln, obwohl er selbst noch nie depressiv war. Selbst Pfarrer können gute Eheberater sein. Manchmal ist das Urteil von außen objektiver und unbefangener als wenn man selber diese Situation mitgemacht hat.

Wenn man selber einen oder verschiedene Partner hatte, ist man noch lange kein Experte für Beziehungen. Denn jeder Mensch und jede Partnerschaft ist individuell und man kann daraus nicht auf andere schließen. Manche Partner hocken gerne den ganzen Tag zusammen und andere wiederum führen eine glückliche Fernbeziehung und könnten sich gar nicht vorstellen, sieben Tage vierundzwanzig Stunden lang zusammen zu sein. Daher können die einen den anderen keine besseren Ratschläge geben als Leute, die noch nie einen Partner hatten.