Stubenhocker sein, trotzdem unter Ausgangssperre leiden
Ich habe einen männlichen Verwandten, der ein ausgesprochener Stubenhocker ist und selten rausgeht. Meistens sitzt er vor dem Computer. Neulich erzählte er mir über WhatsApp, dass er trotzdem unter den momentanen Ausgangsbeschränkungen wegen Corona leidet. Am Anfang hat er gedacht, dass das für ihn eh keinen großen Unterschied macht, weil er sowieso fast nur zum Einkaufen an die frische Luft geht. Ansonsten ist er hauptsächlich mit Programmieren beschäftigt und sieht seine Freunde und Kollegen fast nur online.
Aber eben nur fast. Er stellt jetzt fest, dass er schon die Möglichkeit vermisst, jemanden zu treffen, auch wenn er es sonst auch nicht oft tut. Aber anscheinend doch öfter, als er geahnt hat. Bleibt ihr normalerweise auch lieber zu Hause, habt aber im Hinterkopf, dass ihr ja könntet, wenn ihr wolltet. Kennt ihr auch jemanden, der nur deshalb unter den Ausgangsbeschränkungen leidet, weil ihm bestimmte Möglichkeiten genommen werden, die er sonst aber auch nicht in Anspruch nimmt.
Ich sehe keine Ausgangssperre. Man darf doch raus, sogar um einfach nur spazieren zu gehen. Ansonsten sehe ich da viele Parallelen zu meinem Leben und auch ich vermisse ein paar Dinge, zum Beispiel die Bandproben mit meinen Freunden, die jedoch, aufgrund von Nachwuchs, zuletzt höchstens alle 4-6 Wochen mal stattfanden. Langsam hätte ich da schon mal wieder sehr Bock drauf.
Aber man kann ja nicht behaupten, dass man keine Freunde oder Bekannten treffen darf. Es geht halt nur maximal zu zweit. Ich treffe mich auch gelegentlich mit Bekannten unter Berücksichtigung der Vorgaben, aber verboten ist es ja nicht.
blümchen hat geschrieben:Bleibt ihr normalerweise auch lieber zu Hause, habt aber im Hinterkopf, dass ihr ja könntet, wenn ihr wolltet.
Ich selbst gehöre eher zur gegenteiligen Fraktion. Ich würde mich als ausgesprochenen "Nestflüchter" bezeichnen, das heißt, dass ich im Normalfall sehr viel Zeit außerhalb meiner Wohnung verbringe. Typische "Stubenhockeraktivitäten" wie Computerspiele oder Programmieren reizen mich nicht, weil ich einen hohen Bedarf an externen Reizen habe, also an Tageslicht, Wind und Wetter, lebhaftem Stadtleben oder Naturlandschaften, Gerüche und taktile Reize etc.
Wenn ich zu lange am Stück zuhause vorm Bildschirm sitze, fühle ich mich wie sediert und meine Lebensenergie geht verloren. Es fühlt sich fast so an wie eine Batterie, der allmählich der Saft ausgeht. Mit jedem Tag mehr, den ich am Stück zuhause verbringe, geht immer mehr innerer Antrieb und Lebensfreude verloren, verglimmt und wird ersetzt durch Melancholie, Antriebslosigkeit und eine müde-traurige Grundstimmung. Daher leide ich wahrscheinlich mehr als andere unter Ausgangsbeschränkungen.
Ich habe mich gerade gestern mit einer Freundin über das Phänomen unterhalten, dass man etwas eigentlich erst dann haben will wenn man es nicht haben darf, obwohl man sich vorher kaum dafür interessiert hat. Das betrifft nicht nur die aktuelle Ausgangssperre sondern auch ganz viele andere Aktivitäten und auch solche Sachen wie Lebensmittel bei einer Unverträglichkeit oder Diät.
Wie oft hat man vorher Leute beobachtet, die direkt nebeneinander sitzen, sich aber überhaupt nicht mit dem anderen beschäftigen sondern nur auf ihr Smartphone starren? Aber jetzt, wo sie das an der Hand fest gewachsene Smartphone nutzen sollen um sich online mit den Freunden treffen wollen sie sich plötzlich lieber persönlich treffen.
Oder das Phänomen von Leuten, die erzählen, dass sie ja nie auf dem Land leben könnten weil es in ihrer Stadt so ein tolles Kulturangebot geben würde. Wenn man dann aber nachfragt stellt man schnell fest, dass die seit Jahren nicht mehr im Theater waren, die angesagten Clubs nur dem Namen nach kennen, noch nie auf einer Vernissage waren und den Abend hauptsächlich zu Hause vor einem Bildschirm verbringen. Aber rein theoretisch könnten sie eben auf eine Lesung gehen oder könnten einfach mit der Straßenbahn eine große Konzerthalle erreichen. Das "könnte" scheint wichtig zu sein.
Ich gehöre jetzt nicht zu den Leuten, die ständig die Gesellschaft von anderen Menschen brauchen, aber es gibt natürlich bestimmte Menschen in meinem Leben, die ich sehr schätze. Und es gibt auch bestimmte Dinge, die ich sehr gerne mit anderen Menschen unternehme. Ich dachte ich würde mehr leiden, aber wir haben uns bisher ganz gut arrangiert.
Cloudy24 hat geschrieben:Oder das Phänomen von Leuten, die erzählen, dass sie ja nie auf dem Land leben könnten weil es in ihrer Stadt so ein tolles Kulturangebot geben würde. Wenn man dann aber nachfragt stellt man schnell fest, dass die seit Jahren nicht mehr im Theater waren, die angesagten Clubs nur dem Namen nach kennen, noch nie auf einer Vernissage waren und den Abend hauptsächlich zu Hause vor einem Bildschirm verbringen.
Auch hier tanze ich wieder aus der Reihe. Ich wohne in der Stadt und habe das kulturelle Angebot auch wirklich sehr regelmäßig genutzt. Ich bin normalerweise ein sehr regelmäßiger Nutzer unserer öffentlichen Bibliotheken, ich gehe regelmäßig in einige der Theater (z.B. Residenztheater) und in meine Lieblings-Programmkinos. Auch Museen und Ausstellungen besuche ich normalerweise gern und regelmäßig. So kommt es, dass ich auch wirklich etwas vermisse, was ich bislang auch tatsächlich genutzt habe.
Es ist eben was anderes, die Möglichkeit zu haben, etwas zu tun und die Möglichkeit nicht zu haben. Selbst wenn man meistens zu Hause bleibt und den Großteil seiner Freizeit allein und zu Hause verbringt, ist es schön, zu wissen, dass man jederzeit raus kann, um Freunde zu treffen oder etwas zu unternehmen. Wenn dem nicht so wäre, dann wäre das Gefängnisleben für jeden introvertierten Stubenhocker ja auch ein Klacks.
Nur zu wissen, dass man etwas jederzeit tun kann, lässt einen ja auch schon frei sein. Und diese Freiheit fehlt manchen eben. Ich kann das schon nachvollziehen, wobei das bei mir gerade merkwürdigerweise genau andersrum ist. Ich war sonst immer den ganzen Tag unterwegs. Ich war immer den ganzen Tag bei der Arbeit, anschließend einkaufen und noch Erledigungen machen und habe am Wochenende auch immer etwas unternommen. Jetzt bin ich seit ein paar Wochen mehr oder weniger nur zu Hause. Und komischerweise kann ich das sogar richtig genießen und habe gar nicht das Bedürfnis danach, etwas zu unternehmen, shoppen zu gehen oder Freunde zu treffen.
Ich weiß ja aber auch, weshalb ich das für notwendig ansehe. Es ist ja etwas anderes, wenn man einen guten Grund dafür hat und weiß, dass man etwas Sinnvolles tut, als wenn man quasi grundlos eingesperrt wäre, ohne dass es nun jemandem hilft. Von daher hilft es mir, mich damit zu arrangieren. Ich habe aber auch das Glück, einen tollen Balkon zu haben, so dass ich jederzeit raus kann, eine tolle Wohnung und Freunde, mit denen ich auch so kommunizieren kann. Auch meine Arbeit kann ich von zu Hause auch machen. Andere hat es da mit Sicherheit deutlich schlimmer getroffen.
Mein Partner gehört auch eher zur Kategorie Stubenhocker. Aufgrund seiner Muskelerkrankung bezieht er schon Erwerbsminderungsrente und sitzt auch sehr viel vorm PC. Rausgehen tut er meist nur mit mir wenn wir spazieren gehen, mal nen Kaffee trinken oder zum Einkaufen. Zum Einkaufen geht er momentan auch nicht mehr mit, weil er zur Risikogruppe gehört.
Er sagt, dass ihm das Leben momentan nicht viel anders vorkommt als bisher. Seine Spielfreunde kann er immer noch über das Teamspeak und WhatsApp kontaktieren und ansonsten fühlt sich der Alltag auch nicht anders an als sonst. Seine Lebensmittel besorge ich ihm und wenn er mal frische Luft braucht dann sonnt er sich auf dem Balkon oder dreht doch mal eine Runde gemeinsam mit mir. Für ihn könnte die Ausgangsbeschränkung gerne noch zwei / drei Monate andauern.
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