Nicht offen sagen können, was man möchte?
Ich hatte früher ein großes Problem damit, offen zu sagen, was ich will. Dabei war es quasi egal, um welche Person es ging. Es fiel mir schwer, so etwas offen gegenüber meinem Partner auszusprechen, aber auch vor Freunden, Arbeitskollegen und fremden Menschen. Ich hatte einfach Angst vor der Reaktion, manches war mir peinlich und teilweise habe ich befürchtet, dass ich komisch ankommen würde.
Mittlerweile bin ich da ganz anders und mache mir da möglichst keine Gedanken davor, bevor ich ausspreche, was ich sage. Ich tue es kurz und schmerzlos - und es kommt eigentlich immer super an. Aus dem Grund nervt es mich eher, wenn andere Menschen um den heißen Brei herumreden oder es ständig zu Missverständnissen kommt, weil jemand es nicht schafft, sich klar auszudrücken und seine Wünsche zu äußern. Wie steht ihr dazu?
Ich weiß nicht ob das unbedingt etwas mit "können" oder "schaffen" oder sonstigen Unfähigkeiten zu tun hat. Ich habe eher den Eindruck, dass es um falsch verstandene Höflichkeit oder Konfliktvermeidung geht.
In dem Moment, wenn ich sage, dass ich Film X und auf keinen Fall Film Y sehen will, gibt es ja einen potentiellen Konflikt mit einer Begleitung, die möglicherweise lieber Film Y sehen will. Und den vermeide ich ganz einfach indem ich mich erst mal nicht klar zu meinen Präferenzen äußere und mich dann der Meinung der anderen anschließe.
Ich hatte mal mehrere Dates mit jemandem, der eigentlich total nett war, aber jede Entscheidung lief nach diesem Schema ab. Er hat sich nie geäußert bevor ich mich auf irgendwas festgelegt hatte, egal um welche Aktivität es geht. Mag sein, dass das manchen Frauen imponiert, aber ich fand das sehr anstrengend und hatte auch keinen rechten Spaß weil ich ja nie wusste, ob er Spaß hat oder nur aus Höflichkeit meinen Filmgeschmack, Restaurantauswahl und so weiter abnickt.
Es ist halt auch so unnötig. In der Regel findet man bei fast allem einen Kompromiss wenn die Wünsche wirklich stark auseinander gehen sollten, aber dafür muss man eben miteinander reden und seine Wünsche klar aussprechen.
Ich denke, dass es auch mit der wachsenden geistigen Reife und Lebenserfahrung zu tun hat, so abgegriffen es klingt. Wenn man noch glaubt, im Mittelpunkt des Universums zu stehen und dass jedes Wort und jeder Handgriff von der Umgebung kritisch bewertet wird, ist es natürlich schwerer zu riskieren, dass man "aneckt", wenn man Bedürfnisse oder Präferenzen klar äußert. Und sei es auch nur in der eigenen Fantasie.
Zudem habe ich den Eindruck, dass gerade Frauen in ihrer Kindheit darauf hin erzogen und sozialisiert wurden, möglichst keine "Wellen" zu machen, die Gefühle und Stimmungen anderer sorgsam zu betreuen und zu regulieren und sich selbst immer hintenanzustellen, damit ja niemand eine leicht negative Emotion aushalten muss. Gerade bei den mittlerweile schon etwas Älteren fällt es mir öfter auf, dass die große Augen bekommen, wenn andere Frauen klare Ansagen machen. Sie selber haben schließlich noch gelernt, dass sich so etwas nicht schickt.
Bei mir selber ist eher das Gegenteil der Fall. Ich war schon immer dickköpfig und geradeheraus, und je älter ich werde, desto weniger Hemmungen habe ich, Leute, die herumdrucksen, einfach zu überfahren und meinen Willen durchzusetzen. Vielleicht lernen sie ja auf diese Tour, dass sie niemandem einen Gefallen tun, wenn sie erwarten, dass ich Gedanken lese oder den subtilen Widerwillen hinter der Zustimmung berücksichtige.
Ich kann mich erinnern, dass ich in meiner Kindheit sehr klein gehalten wurde. Was ich wollte, war egal, ich war ja eine Frau. Mein Vater war da sehr konservativ und hat alles entschieden. Ich durfte nicht mit entscheiden, welche Schulrichtung ich einschlage, ich durfte nicht mit entscheiden, wie ich meine Freizeit gestalte, es war egal, es wurde getan, was gesagt wurde.
Mittlerweile mit über 30 habe ich teilweise trotzdem noch Skrupel auszudrücken was ich denn möchte. Da ist immer noch dieses Gefühl von dem kleinen Mädchen vorhanden, das nie was durfte, beziehungsweise nie sagen durfte, was es wollte. Aber es ist besser geworden. Bei kleineren Entscheidungen kann ich mittlerweile gut durchsetzen was ich denn möchte. Bei großen Entscheidungen ist es noch schwierig, manchmal klappt es wunderbar.
Wenn ich meinen Job nicht mag, ich würde ihn weitermachen, weil ich mir nicht zutraue, etwas anderes zu tun. Dadurch kann man jedoch unglücklich werden und in Depressionen verfallen. So geht es mir aktuell. Ich weiß genau was ich möchte, aber ich traue mich einfach nicht, es einfach durchzusetzen. Und das ist teilweise ein echtes Problem. Da kommt das kleine Kind durch.
Aber man kann daran arbeiten. Es sind kleine Schritte, aber man kann daran arbeiten. So verändere ich zur Zeit meine Freizeitgestaltung sukzessive und den Rest gehe ich dann auch so nach und nach an. Ich habe vor Kurzem auch das erste Mal offen gesagt, in welche Richtung ich mich orientieren will. Nach 14 Jahren. Muss man sich mal vorstellen, nach 14 Jahren bekommt sie die Backen auf und sagt, was sie möchte.
Ich stimme Gerbera zu. Irgendwann hat man scheinbar ein Alter erreicht, in dem einem die Hemmungen fallen und man klar formulieren kann, was man möchte. Ich habe es auch bei mir bemerkt, es hat sich im Laufe der Jahre etwas verändert. Ich werde oft nicht wirklich ernst genommen, aber ich sage schon deutlicher, wenn ich etwas nicht möchte oder gar möchte. Und es betrifft manchmal eher wichtigere Dinge als das Anschauen eines speziellen Filmes.
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