Sich selbst anders wahrnehmen, als es andere tun?

Ich denke, dass ich mich mittlerweile ganz gut selbst einschätzen kann - sowohl was mein Können und meinen Charakter, aber auch was mein Äußeres angeht. Wenn andere mir ein Feedback geben oder mir ihre Meinung mitteilen, kann ich diese meistens ganz gut nachvollziehen und sehe das oft auch ähnlich oder gleich.

Noch vor einigen Jahren fiel mir das allerdings sehr schwer, da ich noch ziemlich unsicher und auch längst nicht so selbstbewusst war, wie jetzt. Da habe ich mich auch immer anders wahrgenommen, als andere es getan haben. Nehmt ihr euch anders war, als andere euch wahrnehmen? Inwieweit unterscheidet sich das voneinander?

Mir fällt das auch immer wieder auf. Ich habe anscheinend auch eine andere Selbstwahrnehmung. Oft empfinde ich mich in Kleidung doch irgendwie unförmig und andere sehen das dann anders. Wenn ich mich auf Fotos sehe, finde ich mich oft schlanker, als wenn ich vor dem Spiegel stehe. Dennoch bin ich ein eher unsicherer Mensch. Mich stört das selbst auch oft, aber ich habe das schon immer mehr oder weniger so empfunden. Mein Umfeld kommt auch damit zurecht. Ich bin auch recht selbstkritisch, was vielleicht auch noch dazu beiträgt.

Ich glaube, dass bei den meisten Menschen Selbst- und Fremdwahrnehmung weit auseinanderklaffen, und dass wir es einfach nicht merken, weil wir ja schließlich nur von der Selbstwahrnehmung ausgehen und letzten Endes gar nicht beurteilen können, wie uns die Umwelt wirklich wahrnimmt. Ganz davon abgesehen, dass unsere Mitmenschen uns natürlich auch je nach ihrer eigenen Wahrnehmung unterschiedlich sehen.

Beispielsweise halte ich mich gerne für wortgewandt und sarkastisch, jemand anders findet mich vielleicht vorlaut und besserwisserisch, und wieder eine andere Person hält das, was ich mir als "trockenen Humor" einrede, für aufgesetzt und nervtötend. Wer hat denn nun recht? Auch bei der physischen Selbstwahrnehmung ist mir aufgefallen, dass es bei mir stark von der Tagesform abhängt, ob ich mich für total verbaut und ungelungen halte, oder mir doch denke: Gar nicht so schlecht für dein Alter! Und das hat natürlich gar nichts damit zu tun, wie mich irgendein Gegenüber im Alltag oder ein Familienmitglied wahrnimmt, welches mich sein ganzes Leben lang kennt.

Von daher halte ich es für ganz normal, dass man sich selber anders wahrnimmt, als man auf andere wirkt, und dass man auch gar nicht so genau einschätzen kann, ob und inwieweit Selbst- und Fremdbild auseinanderklaffen. Viele von uns (ich zum Beispiel) halten sich bestimmt für ein klein bisschen charmanter, witziger, klüger oder interessanter, als wir in den Augen unserer Umwelt eigentlich sind, was ja auch zu einem gewissen Selbstbewusstsein dazugehört. Wenn wir uns tatsächlich als die todlangweiligen Durchschnittsmenschen ohne einen Funken Originalität ansehen würden, die wir streng objektiv betrachtet vermutlich sind, wäre das schon arg deprimierend.

Ich bezweifle, dass es überhaupt möglich ist Menschen objektiv wahrzunehmen. Einfaches Beispiel - Attraktivität. Die Dinge, die dich in den Augen deines Partners zu einer schönen Frau machen führen bei einem anderen Mann dazu, dass du in der Kategorie "überhaupt nicht mein Typ" landest. Aber es ist ja nicht so, dass einer von beiden damit recht und der andere dann automatisch unrecht hat.

Wenn du aber von anderen Menschen nur subjektiv wahrgenommen werden kannst führt das doch zwangsläufig dazu, dass sich deine Selbstwahrnehmung von der Fremdwahrnehmung unterscheidet. Weil es DIE Fremdwahrnehmung ja gar nicht gibt.

Mir ist es aber diese Woche passiert, dass mich jemand mal wieder extrem viel jünger eingeschätzt hat und das verwirrt mich immer etwas. Ich selber kann das Alter von Menschen immer schlecht schätzen und weiß natürlich wie alt ich bin und wie ich halt nun mal aussehe und gehe davon aus, dass das schon irgendwie zusammen passt. Tut es für andere aber anscheinend öfters mal nicht.

Cloudy24 hat geschrieben:Ich bezweifle, dass es überhaupt möglich ist Menschen objektiv wahrzunehmen.

Es ist doch ganz normal, dass man eine andere Selbstwahrnehmung hat, als einen fremde Personen wahrnehmen. Das beginnt ja schon beim Äußeren. Selbst vor dem Spiegel fühle ich mich jung und schlank und kaum verändert. Aber wenn ich mich dann auf einer Fotografie sehe, ist die Wahrnehmung eine völlig andere als die vor dem Spiegel. Das ist erwiesen und allgemein bekannt. Auch die charakterliche Wahrnehmung fremder Menschen der eigenen Person gegenüber ist eine andere als die eigene. Meistens ist sie sogar eher positiver.

Stehe ich zum Beispiel vor einer Menschenansammlung und trage denen etwas vor, nehmen die mich gefasst und selbstbewusst wahr. Im eigenen Innern kann das ganz anders aussehen. Aber die Menschen lauschen dem Gesprochenen, das Innere interessiert sie gar nicht. Also wenn wir uns schon äußerlich ganz anders wahrnehmen, als es fremde Menschen tun, ist es doch ganz schlüssig, wenn die eigene innere Wahrnehmung eine andere ist, als die anderer Personen. So geht es uns mit denen ja auch. Die nehmen sich doch auch ganz anders wahr, als wir das tun.