Darf die DITIB für den Sieg in Afrin beten?
Juri1877 hat geschrieben: Man sieht immer deutlicher, dass hier statt Religion, Politik gemacht wird.
Du scheinst als Kulturwissenschaftler ein Experte in deinem Fachgebiet zu sein und wöchentlich eine Moschee zu besuchen. Und auch scheinst du ein Bild über rund 2800 Moscheen gemacht zu haben. Wie gefährlich Schubladendenken ist, brauche ich hier nicht zu erläutern. Und gleich von Verboten zu sprechen, ruft bei mir auch gefährliche Assoziationen hervor. Wieso lieber nicht von Konsequenzen und klaren Regeln reden?
Es wäre schön, wenn auch konkrete Vorschläge für solche Konsequenzen kommen würden. Bisher gab es nie welche. Inzwischen denken immer mehr in Deutschland, dass Erdogans Fünfte Kolonne hier am Werk ist. Man hat die Beispiele von Mesut Özil und Mustafa Erkan gesehen. Wie viel öfters findet so etwas unterhalb der Medienebene statt? Und wer ist dafür verantwortlich? DITIB und Integration sind eben doch Gegensätze.
Nuance87 hat geschrieben:Was hat das mit dem Thread zu tun? Und glaubst du wirklich, dass die Türkei dort Christen verfolgen wird? Im Gegenteil, die Türkei wird der Garant für ein friedliches Zusammenleben in der Region sein. Siehe Afrin und Al-Bab.
Ganz einfach, es ist eine Antwort auf deine Aussagen. Sollte das mit dem Thread nichts zu tun haben, gehen auch deine Antworten am Thema vorbei. Du stellst die Türkei als ultratoleranten Staat dar, der im Nahen Osten der neue Heilsbringer sein wird. Ich wage das zu bezweifeln und sehe insbesondere in der türkischen Innenpolitik nur wenig Toleranz gegenüber Andersdenkenden.
Und natürlich würde ich Militärpuschisten nicht mit Blumen belohnen. Aber glaubst du ernsthaft, dass die hunderttausenden Suspendierten und unzählig Verhafteten nach dem Putsch wirklich alle putschen wollten? Für eine so hohe Zahl war der ganze Putsch doch ziemlich dilettantisch organisiert. Hier wurde doch ziemlich sicher Politik in der Hinsicht gemacht, dass man diesen Putsch nutze um politische Gegner auszuschalten. Vor diesem Hintergrund sehe ich eben wenig Hoffnung darin, dass die Türkei hier aus reiner Nächstenliebe und ohne Hintergedanken eine Sicherheitszone errichtet.
Vielmehr dürfte doch auch der Gedanke an eine Renaissance eines osmanischen Reiches nicht ganz von der Hand zu weisen sein. Und dafür beten zu lassen, mag ich jetzt nicht. Aber grundsätzlich kann ich ja keinem so richtig verbieten, wofür er in seiner Moschee betet, solange es nicht gegen unsere Verfassung verstößt.
Klehmchen hat geschrieben:Du stellst die Türkei als ultratoleranten Staat dar, der im Nahen Osten der neue Heilsbringer sein wird. Ich wage das zu bezweifeln und sehe insbesondere in der türkischen Innenpolitik nur wenig Toleranz gegenüber Andersdenkenden...Aber glaubst du ernsthaft, dass die hunderttausenden Suspendierten und unzählig Verhafteten nach dem Putsch wirklich alle putschen wollten?
Die momentane türkische Innenpolitik ist alles andere als ideal und das muss sich auch ändern. Das kritisieren auch viele Menschen in der Türkei. Für das Unheil in Syrien sind ausnahmslos alle Länder und Gruppierungen verantwortlich die aktiv und passiv dort agieren. Der Militärputsch und die kriminelle Untergrundorganisation von Gülen sind Themen für sich. Darüber könnte ich jetzt ein Buch schreiben. Wir reden hier von einer Gruppe, die einige Jahrzehnte den Staat (Judikative, Exekutive, Militär etc.) unterwandert hat. Sie haben Schlüsselpositionen eingenommen und Aufnahmeprüfungen für das Militär und die Polizeiakademie ihren Mitgliedern übergeben. Hier die Anzahl der Schüler zwischen 2004 und 2016, die die Matheprüfung bestanden haben: 2000: 30, 2001: 35, 2002: 60, 2003: 52, 2004: 234, 2005: 168, 2006: 491, 2007: 274, 2008: 191, 2009: 150, 2010: 1214, 2011: 642, 2012: 717, 2013: 262, 2014: 2, 2015: 0, 2016: 4. Ende 2013 hat der Staat angefangen die kriminelle Organisation aus dem Staatsapparat zu entziehen.
Vor dem Putsch ging man davon aus, dass 60-75% der Judikative und Exekutive von ihnen besetzt waren. Deshalb ist die Zahl über 100.000 nicht unrealistisch. Am Putsch selbst waren natürlich auch nicht 100.000 beteiligt. Und es gibt Gründe wieso der Putsch „dilettantisch“ durchgeführt wurde. Wobei man als Demokrat natürlich glücklich darüber ist, dass der Putsch, der 250 Zivilsten das Leben gekostet hat, nicht erfolgreich durchgeführt werden konnte. Es wurden rund 126.000 (aus dem Innenministerium 42.000, Bildungsministerium 34.000, Verteidigungsministerium 13.000, Justizministerium 7.000; 17.000 Soldaten, 33.000 Polizeibeamte) Beamte aus ihren Berufen suspendiert. Das macht 3% der Gesamtbeamtenanzahl der Türkei. Nicht alle von ihnen wurden verhaftet. Sind alle Suspendierten und Verhafteten Gülen-Anhänger? Nein, natürlich nicht, es wurden sehr viele unschuldige Menschen zu Unrecht suspendiert und verhaftet. Deshalb gibt es auch viel Kritik von der Bevölkerung und kein Vertrauen an den Rechtsstaat.
Die Sicherheitszone hat nichts mit dem Putsch zu tun. Militärische Operationen haben auch nichts mit dem Putsch zu tun. Die Türkei führt nicht zum ersten Mal militärische Operationen außerhalb ihrer Grenzen durch. Seit Anfängen der 1990er wurden verschiedene Operationen in Irak und Syrien durchgeführt. Syrien und Türkei haben vor 20 Jahren ein Abkommen (Adana-Abkommen) unterzeichnet, das der Türkei erlaubt, außerhalb seiner Grenze militärische Operationen gegen die Terrororganisation PKK durchzuführen. Sollen die Türken weitere 40.000 Terroropfer zulassen?
Zurück zum Gebet und zum eigentlich Thema. Es gibt Gebete und es gibt Gebete. Militaristische Gebete müssen meiner Meinung nicht sein. Aber sich mit den Soldaten zu solidarisieren sollte erlaubt sein und das ist das mindeste. Das türkische Militär hat einen anderen Stellenwert in der Türkei als in Deutschland. Eine Neo-Osmanische Atmosphäre erkenne ich nicht, denn die Türken haben ihre osmanische Vergangenheit und Identität nie verleugnet. Ich muss leider ausholen beim Schreiben und viele Hintergrundinformationen schreiben, weil viele keine Ahnung über die Türkei haben, oft leider desinformiert sind und trotzdem einen auf Experten tun.
Nuance87 hat geschrieben:Sind alle Suspendierten und Verhafteten Gülen-Anhänger? Nein, natürlich nicht, es wurden sehr viele unschuldige Menschen zu Unrecht suspendiert und verhaftet.
Und genau das hat dann eben doch wieder sehr viel mit diesem Thema zu tun. Denn es zeigt eben doch unter welcher Prämisse Erdogan Politik betreibt. Unabhängig von der Bewertung der Gülenbewegung kann man wohl kaum davon ausgehen, dass ein Politiker die tausende Menschen nach vermuteter Zugehörigkeit zu einer Organisation suspendiert oder verhaftet, für Toleranz steht.
Auch darf man nicht vergessen, dass unter der Prämisse die Gülenbewegung hätte seit Jahrzehnten den türkischen Staat unterwandert, dass dann auch Erdogan das geduldet und gefördert hat. Bis vor knapp 10 Jahren war er noch eng verbunden mit Gülen.
Schlussendlich will ich nur sagen, dass ich nicht glaube, dass die derzeitigen Regierung in der Türkei, in Syrien oder auch in Russland dafür sorgen werden, dass wir in Nordsyrien Zustände erleben werden, die dem entsprechen, was sich die meisten Menschen in Europa und demokratischen und freiheitlichen Regierungsformen vorstellen. Ich weiß auch nicht, ob das mit einem Kurdistan in der Region anders wäre, keine Frage.
Nur muss man eben schon erst einmal klar feststellen, dass kriegerische Aktionen in anderen Ländern, insbesondere in dem Ausmaß wie es jetzt die Türkei in Nordsyrien durchführt ein klarer Angriffskrieg sind. Wir bezeichnen ja die Aktionen der USA und ihrer Verbündeter in Afghanistan oder dem Irak ja auch nicht als Errichten von Sicherheitszonen, sondern als Krieg. Und beide hatten und haben auch in Europa genügend Kritiker. Das fällt einem sicherlich als neutraler Beobachter viel einfacher zu schreiben als zum Beispiel einem Türken.
Klehmchen hat geschrieben:Und genau das hat dann eben doch wieder sehr viel mit diesem Thema zu tun.
Nein, es hat immer noch nichts mit dem Thema zu tun. Innenpolitik ist was anderes, Außenpolitik ist was anderes, Terrorbekämpfung (im Inland und Ausland) ist was anderes. Dafür gibt es auch diese Unterscheidungen. Wenn man alles in einen Topf wirft erzeugt man ein verzerrtes Bild der Realität, das niemand weiterbringt. Wie will man dann z.B. die Polizeigewalt in Katalonien in Bezug auf spanische Außenpolitik beurteilen? Dass Erdogan mit Gülen kooperiert hat leugnet auch niemand. Er gibt selbst zu, dass er naiv gewesen ist und deren Masche abgekauft hat.
Kritiker gab es, Ja. Im Gegensatz zur Türkei hat aber bei den Amerikanern, während der Irak- und Afghanistan-Kriege, kein EU und NATO-Land über Sanktionen gegen den USA gesprochen. Als verschiedene Länder, geführt von Frankreich im Namen eines Kreuzzuges Libyen angegriffen haben, hat kein Land von Sanktionen gesprochen. Als französische Truppen Syrien angegriffen und in Syrien eingedrungen sind, hat kein Land von Sanktionen gesprochen. Und natürlich hat jeder Mensch aus verschiedenen Ländern verschiedene Blickwinkel zu verschiedenen Themen. Als Mitteleuropäer, der in Wohlstand lebt, selten Armut erlebt und nicht 30 Jahre permanent von Terror betroffen ist, hat man leicht zu reden.
Es ist doch klasse, wenn man im perfekten Deutsch die Vorzüge der Politik Erdogans erklärt bekommt. So sollte Integration auch laufen. Vor 30 Jahren sollten die Gastarbeiter noch alle später gehen und dann war die Rede von der Integration. Das Gespräch zeigt auch, dass bestimmte Personen keinerlei konkrete Maßnahmen gegen eine Unterwanderung von außen treffen wollen. Wahrscheinlich muss Erdogan seinen Landsleuten erst den Dexit schmackhaft machen.
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