Sollten in Deutschland anonyme Bewerbungen Standard werden?
Bezüglich Gleichstellungsgesetzes (AGG) kam schon öfter die Thematik der Diskriminierung auf. Gerade in den USA und Großbritannien sind anonyme Bewerbungen heutzutage schon an der Tagesordnung. Anonym bedeutet in dem Fall, dass der Name, Alter, Geschlecht, Familienstand und Nationalität einfach weggelassen werden. Auch das Bewerbungsfoto fehlt.
Hintergrund dessen ist die Überlegung, dass die fachliche Qualifikation eines Bewerbers im Fokus stehen soll. Zu Unrecht wurde hochqualifizierten Bewerbern schon ein Job verwehrt. Nicht immer erfolgt dies bewusst, oft geschieht diese Beeinflussung unbewusst.
Die Bewerbung erfolgt deshalb über ein Standardverfahren und erst nach Einladung zum Vorstellungsgespräch erhält die Personalabteilung Infos zur Person.
In Deutschland ist diese Bewerbungsart noch nicht wirklich verbreitet. Erste Tests in einem Pilotprojekt zeigten jedoch, dass weibliche Bewerber und Bewerber mit Migrationshintergrund tatsächlich davon profitierten könnten. Was haltet ihr von anonymisierten Bewerbungsverfahren? Worin seht ihr die Schwierigkeiten?
Ich halte davon nicht all zuviel. Mag ja sein, dass manche Personengruppen von solch einem Bewerbungsverfahren profitieren würden, aber wenn ich mich mal in die Lage eines Arbeitgebers hineinversetze, dann möchte ich doch gern wissen, wer sich bei mir bewirbt. Und wenn dann das Alter, Geschlecht und auch die Nationalität ausgeblendet werden sollen, das würde ich als nicht so gut empfinden. Denn wenn man als Unternehmen 500 Bewerbungen bekommt, dann müsste man ja auch alle 500 zum Bewerbungsgespräch einladen, weil man gar nicht vorselektieren könnte.
Wegen mir gerne. Wie es die Unternehmen handhaben, kann mir ja so und so egal sein, da ich mein ganzes Berufsleben auf der BewerberInnen-Seite zubringen werde. Ob ich jetzt deswegen herausgefiltert werde, weil sowieso nur die ersten 20 Bewerber berücksichtigt werden oder weil jemand anders geschickter lügen kann als ich treudoofes Frauenzimmer, macht für mich sowieso keinen Unterschied.
Und generell bin ich natürlich gegen Diskriminierung aufgrund des Äußeren, des Alters, Geschlechts oder der ethnischen Herkunft, und derlei Praktiken öffnet die aktuelle Bewerbungspraxis natürlich Tür und Tor. Wenn man nur auf die Qualifikationen und die allgemeine Gestaltung der Bewerbung schaut, entsteht automatisch mehr Chancengleichheit, als wenn man die Frauen unter 40, die Mohammeds oder von mir aus die bebrillten Glatzköpfe ohne jeden Aufwand aussortieren kann.
Und ehe ein Unternehmen "500 Bewerbungsgespräche" hält, um per Augenschein einen attraktiven männlichen, blonden Single um die 30 zu erhaschen, stellt man vielleicht doch ausnahmsweise mal jemanden aufgrund der Qualifikation ein, damit es schneller geht.
diskutant hat geschrieben:Denn wenn man als Unternehmen 500 Bewerbungen bekommt, dann müsste man ja auch alle 500 zum Bewerbungsgespräch einladen, weil man gar nicht vorselektieren könnte.
Das stimmt meiner Meinung nicht so ganz, denn die anonyme Bewerbung enthält ja immer noch Auskunft über die berufliche Qualifikation. Da kann man ja dann immer noch von den 500 Bewerbungen den Teil heraussortieren der fachlich nicht passt.
Ziel ist es ja, dass man einfach die Optik und bestimmte Kriterien die Vorurteile schaffen wie Alter, Mütter, ausländische Mitbürger etc. außer Acht lässt und sich auf das fachliche Know-How konzentriert. Konkret gesagt, dass eine 3-fache Mutter mitte 40, mit gleicher Qualifikation wie ein 33-jähriger männlicher Adonis, die selbe Chance hat den Job zu bekommen.
Ein Problem sehe ich dabei nur z.B. auch in der Vorlage von Arbeitszeugnissen. Die müssten dann ja alle geschwärzt werden um die Anonymität zu garantieren.
Ich bin immer gegen Diskriminierung und für den Blick über den Tellerrand und die oberflächliche Fassade hinaus, aber ich bin mir nicht so sicher, ob die anonyme Bewerbung da das geeignete Mittel ist. Sicherlich schützt sie ein Stück weit davor, dass Bewerber wegen Vorurteilen, optischen Aspekten oder dem Geschlecht aussortiert werden, bevor sie die Chance zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch erhalten, aber spätestens dann legen sie ja ihre Identität offen.
Ein Arbeitgeber, der frauen- oder ausländerfeindlich ist, keine Angestellten über 50 einstellen will oder von entstellenden Narben abgeschreckt wird, würde dem Anwärter also spätestens beim Bewerbungsgespräch vermutlich eine Absage erteilen. Ich glaube zumindest nicht, dass sich solche tiefwurzelnden diskriminierenden Denkmuster plötzlich in Luft auflösen, nur weil die Vita auf dem Papier zuvor überzeugend klang.
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