Warum ist die Tafel bei vielen ein Tabuthema?
Deutschlandweit werden jeden Tag tausende Tonnen Lebensmittel vernichtet, obwohl sie noch eigentlich noch genießbar sind und gleichzeitig so viele Menschen denen es Grundnahrungsmitteln fehlt. Aus diesem Grund wurde die Tafel gegründet. Es gibt inzwischen über 940 Tafeln mit mehr als 2.000 Ausgabestellen in ganz Deutschland.
Die deutschen Tafeln unterstützen regelmäßig ca. 1,6 Millionen bedürftige Personen, davon 30 Prozent Kinder und Jugendliche, 26 Prozent Senioren und 44 Prozent im durchschnittlichen Erwachsenenalter. Die ehrenamtlichen Helfer sammeln die einwandfreien Lebensmittel ein, die sonst im Müll landen würden. Sobald Personen einen Berechtigungsschein haben, werden diese dann kostenlos oder zu einem minimalen Betrag an sozial schwache Mitbürger verteilt.
Meiner Meinung nach ist das eine super Sache, die zwei Fliegen mit einer Klatsche schlägt. Dennoch trauen sich viele Menschen aus Scham oder anderen Beweggründen nicht einmal dort hin. Andere gehen zwar hin, aber können nicht öffentlich mit Freunden und Familie darüber sprechen. Im Grunde tun sie doch aber etwas Gutes für unsere Gesellschaft, da sie indirekt sogar als Lebensmittelretter fungieren. Woran liegt es eurer Meinung nach, dass der Gang zur Tafel für viele so beschämend ist und grundsätzlich als Tabuthema totgeschwiegen wird?
Ich denke die Antwort darauf ist ziemlich einfach. Selbstwertgefühl. Denn nichts nagt mehr an einem Menschen, als sich eingestehen zu müssen, dass man vielleicht weniger Wert sein könnte als andere Menschen. Leider ist es in unserer Gesellschaft immer noch sehr weit verbreitet, dass man an dem gemessen wird, was man hat und nicht an dem was man vielleicht schon durchgemacht hat. Das finde ich alles sehr beschämend. Einen Obdachlosen in der Fußgängerzone, fragt man ja schließlich auch nicht, wie er da gelandet ist. Sicherlich gibt es einige die selbst Schuld sind, weil sie meinen, sich gegen alles Mögliche stellen zu müssen, aber es gibt auch genug Schicksale, die eben in diese Situation hineingerutscht sind. Es gibt genug Familien, wo der Vater plötzlich verstorben ist und die Familie damit sozial abrutscht, weil das Haupteinkommen dann auf einmal fehlt, die Rechnungen aber weiter bezahlt werden müssen, und und und.
Ich denke schon, dass es oft der Stolz ist, den die Meschen dann noch haben, der sie davon abhält zur Tafel zu gehen. Was die Nachhaltigkeit angeht, bin ich da auch absolut der Meinung, dass es auf jeden Fall eine gute Sache ist um Lebensmittel, die entweder abgelaufen sind oder kurz davor sind abzulaufen, nicht direkt in den Müll zu werfen. Und den bedürftigen Menschen, die es nutzen, hilft es ja schließlich auch. Ich finde auch, dass das alles noch viel mehr gefördert werden sollte und auch der Staat sollte sich da mit einklinken. Es stellt sich dann ja auch die Frage, warum ist das bei vielen Menschen inzwischen so? Es betrifft ja nicht nur Arbeitslose oder Menschen, die auf Grund einer Erkrankung oder anderen Gründen in die Sozialhilfe abgerutscht sind. Es betrifft ja auch schon Menschen, die zwar arbeiten gehen, aber eben durch den geringen Lohn und den hohen Lebenshaltungskosten, eben auf solche Institutionen wie die Tafel angewiesen sind. Aber das liegt eben alles daran, dass in diesem Land vieles in Schieflage geraten ist und die Auswirkungen machen sich immer mehr bemerkbar.
Man muss einfach anerkennen, dass alles immer teurer wird. Grade wenn man mal umrechnet, auch wenn man das nicht mehr tun soll, was man früher in DM-Zeiten mit dem Geld alles tun konnte und sieht was man heute dafür bekommt, dann ist das schon gefühlt ein großer Unterschied. Man hat einfach das Gefühl, dass man eben nicht mehr so viel bekommt, für das Geld was man verdient. Die Lebenshaltungskosten werden eben immer höher, aber die Löhne steigen leider nicht im selben Umfang. Ich denke, dass es in Zukunft immer mehr Bedürftige Menschen geben wird, aber dann wird auch die Scham nicht mehr so groß sein, sich bei der Tafel die eine oder andere Hilfe zu holen.
Vielen Leuten wird es einfach peinlich sein auf Lebensmittelspenden angewiesen zu sein, wobei das natürlich gar nichts ist wofür man sich schämen muss. Es ist gut, dass es das gibt und ebenso gut das es genutzt wird und dennoch fühlt man sich vielleicht minderwertig, nicht dazugehörig oder was auch immer, wenn man seine Nahrung von der Tafel bezieht. Vielleicht haben viele auch Angst vor den Vorurteilen, die es immer noch deswegen gibt und dass man dann anders gesehen werden würde. Ich meine, wenn im Umfeld alle normal verdienen und man selber dann wenig oder gar nichts verdient, dann möchte man dieses Mitleid vielleicht auch nicht erleben.
Es ist aber auch sicherlich ein Thema, was man natürlicher werden lassen muss, man muss mehr aufklären und es zu einer normalen Sache erklären. Viele Leute wissen ja gar nicht was da stattfindet und was da so passiert. Da ist Aufklärung schon wichtig um keine Vorurteile entstehen zu lassen und deswegen würde ich auch einen offenen Umgang mit dem Thema auch von betroffenen Menschen bevorzugen, auch wenn das nicht leicht fällt.
Mal ganz ehrlich: Wer gibt schon gerne zu, aus unterschiedlichen Gründen und oft trotz jahrelanger vergeblicher Anstrengung nicht genügend Geld zusammenkratzen zu können, um sich auf gut Deutsch gesagt genügend zu Fressen leisten zu können? Das mit den "Lebensmittelrettern" mag schon stimmen, aber es macht doch einen gewaltigen Unterschied, ob man sich freiwillig damit begnügt, was andere nicht mehr wollen (egal, ob es noch "einwandfrei" ist oder "gerade so noch genießbar") oder ob man gezwungen ist, sich aus Resten noch etwas zusammenzusuchen.
Ich selber finde die diversen Aktionen, die Lebensmittel vor der Vernichtung bewahren, auch sinnvoll, vom "Fairteiler" über irgendwelche Gruppen auf Facebook, die sich gegenseitig die Zucchini zuschanzen. Aber dabei handelt es sich doch wohl eher um Lifestyle-Entscheidungen, wenn man so will. Sprich, die Leute finden es schick und mit ihrem Lebensentwurf vereinbar und geben das gesparte Geld dann für CO2-neutrale Reisen aus oder was auch immer.
Aber nicht jeder befindet sich in dieser privilegierten Lage, und so wie sich die einen als Helden und Gutmenschen feiern, weil sie freiwillig deformierte Karotten essen, so fühlen sich andere vielleicht als Müllschlucker der Nation, weil man ihnen vermittelt, dass sie noch dankbar sein sollen, als Resteverwerter der Mehrheit, die sich an Markenprodukten und importierten Super Foods delektiert, wenigstens einen Dienst zu erweisen. Ich finde diese Einstellung daher schon mehr als weltfremd und befremdlich.
Wir haben uns darüber gerade vor Kurzem unterhalten, weil die Situation schon irgendwie paradox ist. Bei uns gibt es diverse Initiativen zur "Rettung" von Lebensmitteln und da reden die Leute sehr gerne drüber. Es ist niemandem peinlich, dass er Walnüsse gegen Tomaten getauscht hat oder günstig Äpfel mit Macken gekauft hat. Man erzählt sich auch immer wieder mal, was man über die "too good to go" App so interessantes ergattert hat.
Aber es scheint ein großer Unterschied zu sein ob man auf solche Angebote angewiesen ist weil man kein Geld für einen normalen Einkauf übrig hat, oder ob man sich bewusst gegen den schicken Kürbis im Supermarkt entscheidet und sich ein paar mit Macken gegen eine kleine Spende vom Bauern abholt weil man etwas gegen Lebensmittelverschwendung tun will.
In anderen Bereichen ist das ja nicht anders. Wenn ich sage, dass ich X, Y und Z nicht mehr kaufe, weil ich Minimalistin bin und herausgefunden habe, dass ich diese Sachen eigentlich nicht brauche und, dass mich weniger Besitz und weniger Konsum glücklicher machen ist das ein Lifestyle, über den massenweise Bücher geschrieben werden. Der erstrebenswert ist. Aber wenn ich sage, dass ich mir diese Dinge tatsächlich nicht leisten kann, ist das unangenehm. Vor allem wenn es sich dabei um völlig alltägliche Dinge handelt, die "man" einfach hat.
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