Schlechtes Gewissen, wenn man jemanden nicht besucht?
Manchmal ist es ja durchaus so, dass man jemanden nicht besuchen kann oder die Umstände dafür sprechen, dass man einen Besuch nicht abstattet. Das kann der Fall sein, wenn jemand im Krankenhaus liegt oder auch einfacher Besuch zum Geburtstag oder ähnliches. Sicherlich kann es immer sein, dass man einfach verhindert ist, weil man arbeiten muss, sich nicht gut fühlt oder einfach vielleicht auch damit verbundene Strapazen nicht auf sich nehmen möchte.
Habt ihr schon ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn ihr jemanden nicht besucht habt? Wann war das der Fall? Oder meint ihr, dass etwas falsch läuft, wenn man deswegen ein schlechtes Gewissen hat? Seht ihr das nicht so dramatisch und streng?
Meiner Ansicht nach muss man extrem gelangweilt und extrem unsicher sein, wenn man wegen so einem Mist gleich ein schlechtes Gewissen bekommt. Mich kann niemand zu etwas zwingen, wozu ich zeitlich oder warum auch immer nicht in der Lage bin und mir tun Menschen Leid, die so unsicher sind, dass sie sich in dieser Hinsicht manipulieren lassen.
Ich habe meine Eltern die vergangenen zwei Jahre sehr selten besucht. Ich kann die Besuche wohl an einer Hand abzählen, auch wenn meine Eltern gar nicht so extrem weit weg wohnen. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln sind es etwa drei Stunden. Das kann man durchaus an einem Wochenende angehen, allerdings war das eben selten der Fall, so dass ich schon ein schlechtes Gewissen diesbezüglich hatte und habe. Aber für einen Tag lohnt sich ein Besuch natürlich nicht.
Allerdings bin ich unter der Woche extrem durch die Arbeit angespannt und oft erst spät am Abend überhaupt zu Hause. Das Wochenende nutze ich dann, um den Haushalt zu machen oder etwas mit meinen Freunden oder meinem Partner zu unternehmen. Ich muss sagen, dass mir das einfach wichtiger war, als zu meinen Eltern zu fahren. Mir war das zu anstrengend, ich habe mich lieber anderen Sachen gewidmet und außerdem empfand ich es bei meinen Eltern immer sehr negativ und langweilig, weil ich da keine Freunde habe, meine Eltern in einem Dorf leben und selbst nichts unternehmen und ich auch dort nie etwas machen kann.
Ich wusste, dass meine Mutter diesbezüglich sehr traurig war, so dass ich sie nun wieder öfter besuche. Immerhin hat sie auch sonst niemanden, der sie besucht, so dass sie sehr einsam ist. Von daher habe ich mir nun vorgenommen, wieder öfter hinzufahren. Es ist schon anstrengend, aber ich freue mich ja auch, wenn meine Mutter sich freut.
Ja ich hatte schon mal ein schlechtes Gewissen, genauer gesagt schon mehrmals aus diversen Gründen. Bei beiden Situationen waren es Vorfälle, bei denen ich gerne dabei gewesen wäre aber nicht konnte.
Beim ersten Fall hat die Patentante meiner Tochter geheiratet. Leider ist unsere vereinbarte Fahrgemeinschaft wegen Krankheit kurzfristig weggefallen und wir hätten mit öffentlichen Verkehrsmitteln hinfahren müssen. Das hat für uns finanziell nicht geklappt, zumal wir dann auch dort übernachten hätten müssen. So spät wäre nämlich nichts mehr zurück nach Hause gefahren. Also mussten wir auch absagen.
Beim zweiten Fall lag mein Papa im Krankenhaus. Wir hatten vor ihn am Wochenende zu besuchen, weil wir unter der Woche einfach zu viel Stress mit Job und anderen Terminen hatten. Er ist dann am Freitag verstorben und er war nicht mehr so richtig anwesend, als wir dann am Freitag ins Krankenhaus gerast sind. Ich hatte sehr lange ein schlechtes Gewissen, dass ich mir die 1-2 Stunden Zeit nicht doch genommen habe, aber es war nicht deutlich vorhersehbar dass er verstirbt. Zumindest nicht so schnell, denn er hatte Lungenkrebs. Ich hatte jedenfalls lange dran zu knabbern, weil ich ihm die Chance nicht gegeben hab, sich von meiner Tochter und mir vernünftig zu verabschieden.
Das hängt bei mir stark vom Einzelfall ab. Beispielsweise habe und hatte ich ältere Verwandte, die gesundheitsbedingt nicht mehr so viel unter die Leute gekommen sind und für die es wirklich eine schöne Abwechslung war, Besuch zu bekommen. Bei denen habe ich mich schon immer bemüht, regelmäßig vorbeizuschauen und auch mal einen weniger wichtigen Termin sausen zu lassen.
Anders sieht es bei Leuten aus, die voller Kraft mitten im Leben stehen und nicht im Extremfall wochenlang davon zehren müssen, dass sich mal jemand mit ihnen unterhält. Wenn ich Gast Nr. 139 auf einer überkandidelten Hochzeit sein muss, in der Weltgeschichte herumgondeln und Unkosten auf mich nehmen, habe ich definitiv kein schlechtes Gewissen, wenn etwas "dazwischenkommt". Wenn jemand im Krankenhaus liegt und sonst kaum jemanden hat, der vorbeischaut, setze ich dagegen schon alle Hebel in Bewegung, um einen Besuch zu arrangieren.
Meine Prioritäten sind also klar, was meine Freizeit angeht: Zuerst komme nach wie vor ich, weil ich niemandem etwas nütze, wenn ich krank werde oder ausflippe, weil ich zu wenig Zeit für mich habe. Dann kommt die Blutsverwandschaft 75 plus, die nicht mehr so viel Ansprache und Abwechslung hat, und wenn dann noch Energie übrig ist, der Rest. Und wenn ich körperlich nicht fit bin, fällt auch Uropas Hundertster flach, weil Gesundheit vorgeht. Dieses Arrangement kann ich mit meinem Gewissen sehr gut vereinbaren.
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