Minimalismus nur auf Zeit leben?
Im Zuge des Minimalismus-Hype las ich mal irgendwo den Satz, dieser Lebensstil wäre sowieso nur einer auf Zeit. Nicht, weil er eine Modeerscheinung sei, sondern weil das Leben auf kleinstem Fuß nicht auf Dauer sein kann. Als Beispiel wurden zum Beispiel eigene Kinder erwähnt, die einfach mehr Sachen als nur ein Köfferchen brauchen. Da ich keine habe, kann ich nicht beurteilen, ob dem wirklich so ist, denke aber, dass es wohl so sein wird.
Als Änderung des Lebensstils könnte ich mir vorstellen, dass nicht jeder auf Dauer mit Minimalismus glücklich wird und mancher nur auf einen Zug aufgesprungen ist, der nicht der seine gewesen ist. Angeblich gibt es ja Menschen, die großräumig aussortierten, um dann doch wieder das Äquivalent dessen anzuhäufen, was sie einmal weggaben, weil sie erkannten, mit zu wenig nicht glücklich werden zu können. Auch eine neue Partnerschaft kann ich mir als Hindernis vorstellen, wenn man mit jemandem zusammenzieht, der am anderen Ende des Spektrums lebt und eine völlig unterschiedliche Sicht auf Gemütlichkeit hat. Auch hier muss man sich anpassen, wenn man unter einem Dach leben will und Abstriche machen.
Könnt ihr euch noch andere Konstellationen vorstellen, wo jemand nur für einige Zeit sehr minimalistisch lebt? Oder ist es schwer denkbar, aus freien Stücken von diesem einmal angenommen Lebensstil wieder loszukommen?
Diese ganz extremen Ausprägungen - kein fester Wohnsitz, leben aus dem Koffern - werden glaube ich die wenigsten auf Dauer durchziehen. Aber es geht beim Minimalismus ja nicht darum nur eine bestimmte Anzahl an Dingen zu besitzen, auch wenn manch einer den Anschein erweckt.
Es geht um bewussten Konsum und darum nur das zu besitzen, was man auch nutzt. Warum sollte das nicht auf Dauer funktionieren? Wenn du nur zwanzig Kleidungsstücke regelmäßig nutzt hast du zwanzig, wenn du fünfzig nutzt hast du eben fünfzig.
Minimalismus mit Kindern bedeutet auch nicht, dass die Kinder kein Spielzeug haben dürfe. Die Eltern schauen nur regelmäßig zusammen mit den Kindern das Spielzeug durch und sortieren die Sachen aus, mit denen die Kinder nicht mehr spielen. Viele legen wahrscheinlich auch mehr Wert darauf mit den Kindern Erlebnisse zu teilen anstatt sie mit materiellen Dingen zu überhäufen.
Wenn man Minimalismus als Trend sieht und einfach als Trend mitmacht und sein Verhältnis zu Konsum und Materialismus nicht klärt kann ich mir aber schon vorstellen, dass man das nicht auf Dauer mitmacht. Wenn man zum Beispiel "Shopping" als Hobby betrachtet muss man ja einen anderen Weg finden um seine Freizeit zu gestalten und einen anderen Weg um die Bedürfnisse zu stillen, die bisher durch den ständigen Konsum abgedeckt wurden. Das erfordert Arbeit und Selbstreflektion.
So ungewöhnlich oder gar verwerflich finde ich es nicht, wenn jemand im Lauf seines Lebens seinen Lebensstil anpasst, wenn sich die Umstände ändern. Es ist eben nur so, dass es nur die extremen Typen Aufmerksamkeit bekommen und dadurch die ganzen Vorurteile gefestigt werden, dass "alle" Minimalisten in kahlen, weißgekalkten Räumen vegetieren, oder "alle" Vegetarier extreme Öko-Terroristen darstellt. Ganz normale Leute, die vielleicht ein bisschen bewusster konsumieren, nicht jeden Mist essen oder ihren Kindern nicht unbegrenzt Plastikmüll hinterherschmeißen, schaffen es wohl kaum ins Licht der Öffentlichkeit.
Wenn man also die Extremisten mit ihren 50 persönlichen Gegenständen herausrechnet, wüsste ich aber nicht, wieso ausgerechnet Minimalismus so schwer umzusetzen ist. Vorausgesetzt, man will. Wer keinen Bock darauf hat, auch mal zu verzichten oder "Shopping" als Therapie-Ersatz für andere unerfüllte Bedürfnisse pflegt, sieht den Sinn darin natürlich nicht, nur zu kaufen, was man braucht, auch wenn es der Umwelt und der Gesellschaft eher gut tut. Und jede Form von "alternativem" Lebensstil wird eben kritisch beäugt, gerade wenn Kinder im Spiel sind. Es kann ja nicht angehen, dass dem Kapitalismus zu viele zukünftige Jünger vorenthalten werden.
Ich kann mir schon vorstellen, dass es einigen Leuten gelingt, dauerhaft minimalistisch zu leben. Ich denke, dass es da einfach auf die innere Einstellung ankommt und wie wichtig das Thema einem selbst ist und wie viel Zufriedenheit Minimalismus einem wirklich bringt. Einer Person, bei der das die Lebenseinstellung ist, wird wohl kein Partner zusagen, der komplett gegenteilig lebt. Von daher könnte sich eine Beziehung wohl nicht wirklich auf den Minimalismus auswirken.
Anders ist es, wenn das nicht unbedingt eine Lebenseinstellung ist, sondern man das eher als Experiment sieht und das einfach mal so für sich ausprobiert. Da ist es dann sicher eher so, dass sich die Lebensumstände mit der Zeit einfach ändern und man aus dem Grund irgendwann mal wieder deutlich mehr Sachen hat, als eigentlich nötig wären.
Gerade dann, wenn man Kinder hat oder einen neuen Partner kennenlernt oder vielleicht auch in eine größere Wohnung zieht, ist das bestimmt durchaus bei vielen so. Das ist ja aber auch nicht schlimm. Minimalismus sollte schließlich kein Wettbewerb sein, sondern eine Einstellung, die einen glücklich macht. Solange das der Fall ist, ist ja alles in Ordnung.
Es ist ja auch eine Frage, wie stark man das letztendlich durchsetzt. Zieht man von Ort zu Ort und lebt von dem was man findet oder was einem gegen Arbeit gegeben wird, nur mit einem Zelt, dann wird man das nicht ewig durchziehen können, denn spätestens wenn man alt und gebrechlich wird ist dieses Leben dann nicht mehr drin. Wenn man allerdings nur darauf schaut nicht 20 Mal dasselbe Shirt zu haben, dann ist das durchaus ein Lebensstil, den man dauerhaft haben kann und das finde ich dann auch durchaus realistisch.
Es macht durchaus Sinn sich seines Konsums bewusst zu sein und auch mit Kindern nicht alles zu kaufen, was diese mal toll finden. Kinder können tatsächlich auch in der Natur sehr schön spielen und Dinge entdecken und brauchen kein absolut zugeschüttetes Zimmer voller Spielsachen. Man sollte auch da durchaus mal nachdenken, was man alles anschafft und was die Kinder wirklich wollen und brauchen. Vor allem kann es sehr befreiend sein, wenn man sich auch mal von Dingen trennt, die man nicht mehr benutzt.
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