Angst vor Erster Hilfe - woran liegt das?

vom 23.09.2019, 21:16 Uhr

Immer wieder liest man davon, dass Menschen Hilfe brauchen und eigentlich genug Menschen in unmittelbarer Nähe sind und trotzdem trauen sich letztendlich nur wenige Menschen auch zu helfen. Ich war sehr lange aktives Mitglied bei der Wasserwacht und habe solche Situationen leider auch des Öfteren live miterleben müssen.

Das fängt teilweise schon bei "harmlosen" Situationen an, bei denen der Verletzte einfach nur eine kleine Wundversorgung bräuchte. Viel dramatischer ist es jedoch, wenn Personen ernsthaft in Lebensgefahr schweben und trotzdem keiner hilft.

Ich unterstelle jetzt dabei einfach mal, dass viele Menschen zwar gerne helfen wollen würden, aber die Angst etwas Falsch zu machen dann dominiert. Der Großteil der Bürger macht vermutlich maximal 1-2 im Leben einen Kurs. Viele oft nur mit 18 Jahren, weil es für den Führerschein erforderlich ist. Vereinzelte Personen engagieren sich vielleicht noch beruflich in Erster Hilfe (Beruflicher Erst-Helfer).

Ich persönlich bin der Meinung man sollte Erste Hilfe bereits fest in Kindergärten und Schulen (z.B. dem Bio-Unterricht) integrieren. Natürlich dem Alter entsprechend. Zum Anderen sollte man auch den Erwachsenen Kurse verstärkt ans Herz legen bzw. diese Kurse kostenlos anbieten. Worin seht ihr die Gründe für mangelnde Erste Hilfe und die damit verbundene Angst? Was würdet ihr ändern?

» EngelmitHerz » Beiträge: 3943 » Talkpoints: 17,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Ich glaube man muss den Leuten klar machen, dass sie in der Situation nicht alleine sind, keine Verantwortung übernehmen müssen und nicht belangt werden können. Meine Erfahrung ist jedenfalls, dass man über die Notrufnummer nicht nur den Notfall melden kann sondern die Situation mit jemandem besprechen kann und gesagt bekommt, was man tun soll. Und, dass die so lange in der Leitung bleiben bis der Rettungswagen kommt.

Aber es gibt ja auch Leute, die mit offenen Wunden nicht so gut klar kommen. Die würden zwar eine bewusstlose Person versorgen können aber wenn die irgendwo blutet wären sie raus. Da wird es schwieriger, aber diesen Leuten könnte man auf jeden Fall beibringen wie man eine Situation richtig einschätzt und einen Notruf korrekt absetzt.

Außerdem wichtig bei Notfällen im öffentlichen Raum ist ja das Ansprechen von Passanten, weil man ja nicht alles vom Sichern der Unfallstelle bis zur Erstversorgung zur gleichen Zeit machen kann. Das kann man sicher auch lernen wenn man nicht zu den Leuten gehört, die offen auf andere zugehen können.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Der "Zuschauereffekt" ist ja mittlerweile gut erforscht. Jeder denkt sich, dass jemand anders die Initiative ergreifen soll, und am Ende traut sich gar niemand. Menschen sind eben Herdentiere, und oft hat man einfach nur Angst, sich zu blamieren oder geht automatisch davon aus, dass die anderen schon ihren Grund haben werden, nur blöd zu schauen und nichts zu tun. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass man sehr wohl als Ersthelfender "allein" ist, weil alle anderen denken: Super, Situation im Griff, und das Weite suchen. Oder das Filmen anfangen. Gründe gäbe es hier also genug.

Ich selber habe auch nur einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht, der zudem schon Jahre her ist und wäre daher wie viele andere Normalbürger von einem Notfall auch technisch wie emotional überfordert. Ich neige in Stress-Situationen generell zum Erstarren und habe auch einfach nicht die Erfahrung im Umgang damit, wenn jemand blutend auf dem Boden liegt. Medizinisches Fachpersonal kann darüber gern den Kopf schütteln, ich habe eine Hemmschwelle gegenüber Körperflüssigkeiten und auch nie Aidshandschuhe dabei. Außerdem könnte man ja alles noch schlimmer machen oder jemand Kompetenteren im Weg stehen. Natürlich sind das alles keine rationalen Gedanken, aber wer verhält sich gerade in Notsituationen schon immer rational?

» Gerbera » Beiträge: 11335 » Talkpoints: 53,75 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Wenn man in der Masse steht ist es als Einzelner schwer aktiv zu werden, weil man denkt, dass jeder andere der Gruppe auch etwas tun kann. Ich denke, dass oft die Überwindung einfach groß ist, weil man Angst hat etwas falsch machen zu können. Vor allem wird man doch viel zu wenig tatsächlich auf so etwas vorbereitet. Wann macht man denn schon mal einen Erste Hilfe Kurs? Sicherlich die meisten Leute nur für den Führerschein und dann versucht man sich in so einer Situation krampfhaft daran zu erinnern, es fällt einem nicht ein, irgendeine App kann man sich nun auch nicht mehr herunterladen und das macht Angst zu handeln.

Ich bin mittlerweile auch eher ein Typ Mensch, der schnell reagiert und dann hilft. Ich hatte ein paar Situationen, in denen ich schon geholfen habe. Bei den ersten beiden Malen war ich auch eher unter Schock stehend, obwohl nicht wirklich etwas richtig Schlimmes passiert war, aber ich war schon geschockt darüber. Da hat dann mein Mann zuerst gehandelt und auch richtig gehandelt. Beim darauffolgenden Mal ging es aber auch schon von mir aus.

Letztendlich kommt es wohl auch ein bisschen darauf an, ob man schon mal etwas erlebt hat in der Richtung und wie man vom Charakter her ist. Ich habe auch schon erlebt, dass Leute sich noch darüber aufregen dass man im Weg sitzt, wenn jemand, der vorher auf den Bordstein geknallt ist und Bluter ist dort vor sich hin blutend sitzt, betreut von ein paar Ersthelfern. Das geht natürlich gar nicht und letztendlich einen Krankenwagen rufen sollte jeder können, egal wie sehr unter Schock und da bekommt man dann ja auch helfende Worte, damit man weiß was zu tun ist.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Im Grunde liest man aus euren Beiträgen heraus, dass eurer Meinung nach der Gedanke "Schön , ein anderer machts" bzw. "Soll lieber jemand anders machen, ich kann das eh nicht" oft im Vordergrund steht.

Schade finde ich persönlich, dass viele Angst davor haben, etwas falsch zu machen. Abgesehen von Maßnahmen nach der Einnahme von Giften, Reinigungsmitteln etc. (z.B. durch Gabe von Wasser etc.) kann man in vielen Fällen eigentlich nicht wirklich was Falsch machen. Oft hilft einem ja auch schon die innere Intuition. Eine Person die friert zu wärmen z.B., eine Person die blutet zu verbinden usw..

Und wie mein Ausbilder immer gesagt hat, ein Mensch der in Lebensgefahr schwebt kann gar nicht toter als tot werden. Wenn man bei Wiederbelebungsmaßnahmen ein paar Rippen bricht dann ist das halt so, hauptsache das Herz schlägt wieder.

» EngelmitHerz » Beiträge: 3943 » Talkpoints: 17,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


EngelmitHerz hat geschrieben:Wenn man bei Wiederbelebungsmaßnahmen ein paar Rippen bricht dann ist das halt so, hauptsache das Herz schlägt wieder.

Und es ist wirklich so gar nicht nachvollziehbar, dass ein Durchschnittsmensch ohne Nahkampferfahrung wirklich Angst davor haben könnte, einem Mitmenschen, egal ob tot oder halbtot, den Brustkorb einzudrücken? Komplett mit Knacksen und dem Gefühl, dass sich Knochenfragmente unter der Haut verschieben?

Ich muss auch sagen, dass ich es nicht als "Erste Hilfe" ansehe, ein Pflaster zu holen, wenn sich jemand geschnitten hat, oder eine Decke oder von mir aus ein Glas Wasser, wenn der Kreislauf abkackt. Ich setze mich auch daneben, rede gut zu und rufe den Krankenwagen. Das ist für mich ganz normal menschliches Verhalten, und da habe ich auch keine "Angst" davor. Kein komplettes Arschloch zu sein habe ich mir durchaus auf die Fahnen geschrieben.

Ich denke da eher beispielsweise an Unfallopfer mit blutigem Schaum vor dem Mund. Soll ich da reinpusten? Hilft das wirklich? Außerdem überträgt Blut alle möglichen Krankheiten, und wie gesagt, ich habe keine Gummihandschuhe am Mann. Hole ich mir am Ende Hepatitis oder Tuberkulose, weil ich die Krankengeschichte der Person, mit deren Blut ich in Kontakt komme, nicht kenne? Oder keine schöne ordentliche Schnittwunde, sondern ein offener Knochenbruch, bei dem mich Splitter angrinsen? Wie verbindet man denn so was? Schürfwunden würde ich schon auch noch hinbekommen.

Nicht jede Unfallsituation sieht aus wie im Vorabend-TV, mit jemandem, der verdattert, aber ansprechbar auf dem Gehsteig sitzt und ein bisschen verbeult ist. Wenn es wirklich hart auf hart kommt, kann ich verstehen, dass Normalmenschen das Herz in die Hose rutscht. Natürlich sollte man trotzdem versuchen zu helfen, aber "einfach ein paar Rippen brechen und das Herz schlägt wieder", entspricht eben auch nicht der Realität.

» Gerbera » Beiträge: 11335 » Talkpoints: 53,75 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


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