Um einen Obdachlosen trauern komisch finden?
Bei uns ist leider ein Obdachloser gestorben, den wir hier in meiner Gegend alle „relativ“ gut kannten. Ein Mann, der nie nach Alkohol roch, nie getrunken hat und stets freundlich war. Er hat eben auch nie bewusst nach Geld gefragt, sondern lieber nach einer günstigen Cola, einem Kaffee oder einem Brötchen.
Erstaunlicherweise waren alle Menschen da immer sehr freundlich und er durfte sich auch in meiner nähe wöchentlich einmal duschen. Nun ist unser obdachloser Freund verstorben, offenbar ganz natürlich. Doch das hat bei uns eine Welle an Traurigkeit ausgelöst, indem die Leute dort Blumen, Gedenkkerzen etc. aufgestellt haben
Viele Leute waren regelrecht entsetzt und das verärgert aber gleichzeitig auch einige. Denn man fragt sich, wieso man dann nicht versucht habe, den Mann kennenzulernen, ihm zu helfen und seine Geschichte näher zu hinterfragen. Andere sind der Meinung, mal eben ein Brötchen kaufen für das „eigene Gewissen“ und dann weiter gehen, und jetzt betroffen tun, sei schon komisch.
Das ist der O-Ton, der sich auch breit macht und nicht meine Auffassung. Ich möchte daher mal von Euch wissen, ob Ihr das ähnlich sehen würdet oder ob es nachvollziehbar ist, dass man ein wenig Anteilnahme zeigt oder findet Ihr es gar heuchlerisch, wie bei uns der O-Ton derzeit umgeht?
Ich finde es vollkommen normal, dass man hier auch eine gewisse Trauer empfindet. Bei uns in gab es auch mal einen Obdachlosen, den ich jeden Tag gesehen habe und dem ich auch ab und zu etwas ausgegeben habe. Es war ein älterer Mann, der sichtlich krank war und irgendwann verstarb er dann. Auf Nachfrage wo er denn wäre habe ich es dann auch von seinen Freunden erfahren. Da war ich schon etwas geschockt, einfach weil man den Menschen jeden Tag gesehen hat und er wirklich freundlich war und nicht wirklich etwas dafür konnte dass er irgendwann mal auf der Straße gelandet ist.
Vielleicht ist es aber auch bei einigen Leuten so, dass sich dann ein gewisses schlechtes Gewissen einstellt und sie dann der Meinung sind trauern zu müssen oder ihre Traurigkeit zu zeigen, obwohl das vielleicht gar nicht so empfunden wird. Ich finde es richtig, wenn man echt trauert, weil der Mensch jemand war, den man jeden Tag gesehen hat. Falsche Trauer finde ich nicht gut.
Unverständlich finde ich nur die Gedanken, man hätte mehr tun müssen. Wobei, so unverständlich ist es auch wieder nicht, es ist bis zu einem gewissen Grad normal, ein- und dieselbe Situation unter verschiedenen Gesichtspunkten anders zu beurteilen. Das typische "hätte man mal". Anderen Leuten daraus einen Vorwurf zu machen und zu sagen, wer jetzt trauert, aber vorher nicht aktiv geholfen hat, sei ein Heuchler, halte ich für falsch.
Was hätte denn die Büroangestellte oder der Dachdecker machen können, um einem Obdachlosen wirksam helfen zu können? In den meisten Städten, vor allem wenn sie Mittel- oder Großstädte sind, gibt es Anlaufstellen für Wohnungslose, die in der Regel in der Szene auch hinlänglich bekannt sind. Wer sagt außerdem, dass der Mann ein Interesse daran gehabt hätte, seine Lebensgeschichte auszubreiten, nur weil ihm jemand ein Brötchen spendiert hat? Man hat sich ja mit dieser Geste noch keine Rechte als Hobby-Sozialarbeiter erkauft.
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