Durch weniger Arbeitszeit mehr soziale Konflikte?
Es wird ja schon seit einer Weile darüber diskutiert, ob es sinnvoll wäre eine Wochenarbeitszeit von 28 Stunden einzuführen. Die IG-Metall setzt sich zumindest dafür ein. Eine Bekannte von mir behauptet, dass dies doch gar nicht gut gehen könne, wenn die Menschen weniger Arbeitszeit hätten. Denn je weniger Arbeit sie hätten, desto mehr soziale Konflikte würden wegen der Unzufriedenheit entstehen. Sie hat es so dargestellt, als würde man nur zu Hause rumhocken, wenn man weniger Zeit auf Arbeit verbringen würde. Aber nur weil man weniger Wochenstunden hat, langweilt man sich doch nicht zwangsläufig.
Meint ihr, dass meine Bekannte mit ihrer Aussage recht haben könnte? Kommt es durch weniger Wochenarbeitszeit zu mehr sozialen Konflikten? Hängt das nicht eher vom Mensch selbst ab und wie er gestrickt ist, ob ihn das eher belastet oder zufriedener macht? Hängt das vielleicht sogar vom Job selbst ab?
Ich finde die Einstellung deiner Bekannten ehrlich gesagt sehr schade, denn irgendwie sagt das auch aus, dass die mit anderen Menschen nicht so gut auskommt und keine richtigen Freunde hat. Natürlich ist es nicht so, dass man sich langweilend zu Hause sitzen muss, wobei man auch bedenken muss, dass man dann weniger Geld hat und schon etwas weniger machen kann, aber das heißt ja nicht, dass man immer nur streiten muss oder es nur Konflikte zu den Mitmenschen geben kann.
Die Tante von meinem Partner war zwei Wochen arbeitslos gewesen, da die Firma, in welcher sie beschäftigt war, pleite gegangen ist. Sie war wirklich unausstehlich gewesen und hatte zu viel Energie gehabt, sie ist beispielsweise bei fast jeder Person unangekündigt aufgekreuzt. Sie ist durch mehrere Bundesländer gefahren und hat jeden besucht.
Natürlich hat sie dann auch Sachen gesehen, die ihr nicht so gefallen haben und dann hat sie rumgenörgelt. Teilweise wurde sie auch richtig zickig, nervig und aufdringlich. Mehrmals am Tag wurde ihre Familie angerufen und wenn man den Hörer nicht abgenommen hat, folgten daraufhin noch zehn weitere Anrufe. Teilweise kam sie auch vorbei und wollte die Wohnungen oder Häuser von anderen Leuten putzen.
Ich finde es schade, wenn man mit sich nichts anzufangen weiß. Deswegen kann ich mir schon vorstellen, dass einige Leute durch eine niedrigere Arbeitszeit eher zu Konflikten geneigt sind. Mittlerweile arbeitet die Tante von meinem Partner wieder viel und auch zu unregelmäßigen Tageszeiten, so dass sie abends auch mal ganz brav wie ein Kätzchen einschläft und nicht zur Raubkatze mutiert.
Bei anderen Leuten wird es wahrscheinlich durch eine geringere Arbeitszeit auch seltener zu Konflikten kommen. Weil man sich nicht stundenlang mit dem Job herumärgern muss, den man sowieso nicht mag und die Kinder sich freuen, dass man mehr Zeit mit ihnen verbringen kann. Außerdem kann dadurch auch Stress ausfallen, so dass man seine Laune nicht an anderen Menschen auslassen kann, da man eben gut gelaunt ist.
Sicher kann es bei manchen Menschen so sein, dass sie durch weniger Zeit, die sie bei der Arbeit verbringen, unausgeglichener sind, weil sie nur daheim sitzen und nichts zu tun haben. Aber ich würde mal sagen, dass das doch nicht der Hauptteil der Beschäftigten ist.
In der Regel hat man doch auch Hobbys und die Arbeit ist nicht alles im Leben. Darum würde ich eigentlich sogar sagen, dass man doch zufriedener ist, wenn man auch mal für die Hobbys Zeit findet und eben nicht das Gefühl hat, dass diese wegen der Arbeit dauernd zu kurz kommen.
Wenn man keine Hobbys hat und wirklich nur zu Hause rum sitzt, wenn man nicht bei der Arbeit ist, dann finde ich das schon irgendwie traurig und bei deiner Bekannten scheint das ja so zu sein, wenn sie es so darstellt, dass die Leute dadurch unausgeglichener werden.
Ich kann das also so nicht bestätigen und auch wenn ich noch nicht wirklich daran glaube, dass es dazu kommt, dass diese kurze Arbeitszeit eingeführt wird, würde ich nicht davon ausgehen, dass mehr soziale Konflikte die Folge sind, weil ich eben nicht glaube, dass die meisten Menschen dann die Freizeit, die sie mehr haben, nur daheim absitzen.
Es mag ja Menschen geben, die außer Arbeiten, Essen, Fernsehen und Schlafen nichts im Leben kennen, und die dann verständlicherweise nervös werden, wenn sie ihre Lebenszeit auf einmal zu einem größeren Teil frei gestalten können als gewohnt und nicht nur als Befehlsempfänger im Hamsterrad wirbeln dürfen. Aber dass daraus tatsächlich sozialer Brennstoff entsteht, glaube ich nicht. Die Gesellschaft als Ganze wird es verkraften können, wenn ein kleiner Prozentsatz bei reduzierter Arbeitszeit anfängt, ihre Umwelt zu nerven.
Ich selber glaube eher, dass die Gesellschaft von reduzierten oder zumindest flexiblen Arbeitszeiten für große Teile der Bevölkerung nur profitieren kann, solange die Löhne und Gehälter nicht ebenfalls um ein Drittel schrumpfen. Beispielsweise gibt es sicher viele Leute, die sich gern ehrenamtlich engagieren würden und nur keine Zeit dafür haben, weil sie 40 und mehr Wochenstunden arbeiten müssen. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie würde dadurch prinzipiell erleichtert, was Konflikte aller Art eher entschärft, von der Gesundheit der Bevölkerung ganz zu schweigen.
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