Haben Mediziner den Doktortitel gar nicht verdient?
Ich habe vor kurzem in einem Forum gelesen, in dem es um die Dissertation von Ursula von der Leyen ging, die Plagiatsjäger wohl im Visier haben sollen. In dem Forum haben User auch über den Sinn einer Dissertation bei Medizinern diskutiert und irgendein User meinte dann, dass Ärzte den Titel "Doktor" nach dem Verfassen einer Dissertation gar nicht verdient hätten.
Denn die Dissertation aus der Medizin sei mit knapp 70 Seiten gar nicht mit anderen Dissertationen zu vergleichen. Allein in den Naturwissenschaften würde so eine Dissertation schon locker bis zu 300 Seiten betragen, wobei der Umfang einer medizinischen Dissertation eher mit dem Umfang einer Diplom- oder Masterarbeit zu vergleichen wäre. Es wurde dann vorgeschlagen, den Medizinern den Titel "Diplom" zu verleihen, wenn sie eine Dissertation verfasst hätten, weil man so eine Doktorarbeit wie in der Medizin gar nicht Ernst nehmen könne.
Was meint ihr dazu? Haben die Mediziner den Doktortitel tatsächlich nicht verdient und sollte man die Ansprüche an deren Dissertation an die Dissertationen anderer Fachrichtungen anpassen, um Gleichheit zu schaffen?
Kann man nicht einfach Fachrichtung Fachrichtung sein lassen? Was für den einen gilt, das sieht beim anderen ganz anders aus. Als Mediziner ist es schon schwierig genug einen Doktorvater zu finden. Der verbittet sich dann meist Arbeiten, die länger als 100 Seiten sind. Was soll ein Mediziner also tun, wenn promovieren möchte?
Denn Medizinern ein Diplom zu verleihen, das ist ja völlig irre. Dann blickt niemand mehr durch. Schließlich praktizieren ganz viele Diplom-Mediziner aus der ehemaligen DRR noch heute. Deren Abschluss käme dann unter die Räder. Zumal das Diplom in Zeiten von Bachelor und Master dich irgendwie auch wenig zeitgemäß ist.
Die Doktorarbeit eines Mediziners entspricht in etwa dem Arbeitsaufwand und dem Umfang einer Bachelorarbeit. Das ist noch nicht mal ganz korrekt, denn ich kenne auch viele Bachelorarbeiten mit 100 und mehr Seiten, wohin gegen Mediziner ihre Doktorarbeit schon auf 60-70 Seiten präsentieren können. Und für die Bachelorarbeit investieren viele Leute auch mehr als 3 Monate Zeit.
Ich denke daher schon, dass die Mediziner den Doktortitel in keiner Art und Weise verdienen. Es ist einfach nicht gerechtfertigt ihnen für eine solche laue Arbeit einen Doktortitel zu geben. Ich finde es daher besser, wenn man den Medizinern den Doktortitel einfach umsonst gibt, so wie das in vielen Ländern der Fall ist. Wenn dort jemand sein Medizinstudium abschließt, dann ist er einfach ein Doktor und fertig.
Alles andere ist meiner Meinung nach nicht fair. Ich verstehe daher den Trubel um die Doktorarbeit von Ursula von der Leyen derzeit nicht. Jeder weiß doch, was man bei einer Doktorarbeit eines Mediziners erwarten kann, warum also diese Empörung und Überraschung?
Meine Masterarbeit an meiner jetzigen Uni muss 80 Seiten betragen, also tatsächlich etwas mehr als die Dissertationen von einigen Medizinern. Wirklich schlimm oder ungerecht finde ich das aber nicht. Die Anforderungen, was die Abschlussarbeit oder Dissertation angeht, unterscheiden sich doch ohnehin in jedem Studienang. Da gibt es keine allgemeingültigen Anforderungen, da das eben nicht nur von Studiengang zu Studiengang unterschiedlich ist, sondern auch noch von Uni zu Uni.
Man hat ja die Möglichkeit, sich selbst für einen Studiengang oder für eine Uni zu entscheiden und ist sich daher von Anfang an bewusst, welche Anforderungen da auf einen zukommen. Wenn man sich nun extrem ungerecht behandelt fühlen sollte, weil Mediziner es so gut haben, sollte man eben Medizin studieren.
Ich denke, dass Medizin an sich wirklich sehr anspruchsvoll ist. Die Zulassungsbeschränkungen sind da ja schon unglaublich streng, wobei das Studium an sich sicher sehr anspruchsvoll ist. Ich denke, dass dass eine kurze Dissertation im Anbetracht dessen dann gar nicht so schlimm ist, weil sich das ausgleicht. Dennoch wäre ich natürlich froh, wenn meine Dissertation weniger Seiten betragen würde, als meine Masterarbeit. Das wäre dann ja eigentlich ein Klacks.
Die Mediziner legen allerdings vorher viel mehr Prüfungen ab, als Studierende anderer Fachrichtungen. Wer Gleichheit möchte, der sollte dann auch 12 Semester Regelstudienzeit haben und keinen Bachelor plus die Prüfungen, oder?
Ich finde es total unsinnig Fachrichtungen zu vergleichen, die man überhaupt nicht vergleichen kann. Eurer Argumentation, dass die Dissertation in der Medizin ja so einfach wäre, steht nämlich die Tatsache gegenüber, dass man im eigentlichen Studium ziemlich viel lernen muss.
Da wäre es dann ja eigentlich auch "fair" wenn die Master Abschlüsse in anderen Fächern herab gestuft werden, weil man als Medizinstudent ja wesentlich mehr Arbeit in sein Studium stecken muss als manch anderer Student, der nebenher noch arbeiten kann und in den Semesterferien tatsächlich Ferien hat.
Ich verstehe außerdem nie wirklich, warum so viele Leute so fixiert sind auf die Länge einer Arbeit. Die Länge sagt total wenig über die Qualität aus. Ich musste im Studium wirklich lernen zu schwafeln um auf die erforderliche Seitenzahl zu kommen, wenn es nach mir gegangen wäre hätte ich den gleichen Inhalt mit wesentlich weniger Text rüber bringen können.
Prinzessin_90 hat geschrieben: Die Anforderungen, was die Abschlussarbeit oder Dissertation angeht, unterscheiden sich doch ohnehin in jedem Studienang. Da gibt es keine allgemeingültigen Anforderungen, da das eben nicht nur von Studiengang zu Studiengang unterschiedlich ist, sondern auch noch von Uni zu Uni
Da magst du Recht haben. Ich finde aber, dass ein Aspekt total außer Acht gelassen wird und das ist eben, wie "behütet" die Medizinstudierenden inzwischen werden. Medizinstudierende lernen während des gesamten Studiums kein wissenschaftliches Arbeiten und daher sind die allermeisten komplett überfordert, wenn sie plötzlich eine Dissertation schreiben sollen/ wollen. Das führt dann dazu, dass diese dann von dem Doktorvater und dessen Mitarbeitern total in Watte gepackt werden und vieles abgenommen wird.
Ich weiß wovon ich spreche, weil ich das oft genug selbst miterlebt habe als ich noch studiert habe. Da übernehmen die Mitarbeiter quasi alles, also von der Konzeption und Durchführung der Methodik über die Auswertung und Datenbereinigung. Die Medizinstudierenden bekommen sogar einen eigenen Statistiker an die Seite gestellt, der die Daten dann entsprechend aufbereitet, dass die nur noch schreiben müssen.
Selbst bei der Literaturrecherche und beim Schreiben bekommen die extrem viel Hilfe. Ich kenne keinen anderen Doktoranden, der da so viel Hilfe bei bekommen hat. Ich kenne viele Mediziner, die der Ansicht sind, dass die Medizinstudenten zu sehr verwöhnt werden und dass man ihnen zu sehr den Hintern nachtragen würde. Das sagen Mediziner wohl bemerkt! Ich kenne nicht mal Bachelors, die so viel Hilfe bei ihrer Abschlussarbeit bekommen haben. Da läuft eher die Device: sieh zu wie du selbst klar kommst. Der Prof gibt vielleicht mal einen Tipp, aber sonst muss man alles alleine machen in anderen Fächern.
Ich finde schon, dass den Medizinern der Doktortitel mehr oder weniger hinterher geworfen wird. Mein Exfreund sowie eine gute Freundin von mir haben Medizin studiert und meinen selber, dass der Aufwand für eine Dissertation wohl eher mit einer Masterarbeit zu vergleichen ist. Mein Ex meinte wortwörtlich, es gäbe wohl kein anderes Fach, in dem es so einfach sei, einen Doktortitel zu bekommen.
Und wenn ich sehe, wie wenig Zeit die beiden in ihre Doktorarbeit reingesteckt haben verglichen mit dem, was ich für einen Doktor leisten müsste, finde ich den Titel auch lächerlich. Überhaupt lernen Mediziner doch gar kein wissenschaftliches Arbeiten und alleine dadurch kann die Qualität nicht stimmen. Trotzdem will ich keinem Mediziner den Doktortitel missgönnen. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass sie im Rest des Studiums dafür wesentlich mehr ackern müssen als die meisten anderen Studenten und so gleicht es sich doch irgendwie aus.
Täubchen hat geschrieben:Ich finde aber, dass ein Aspekt total außer Acht gelassen wird und das ist eben, wie "behütet" die Medizinstudierenden inzwischen werden. Medizinstudierende lernen während des gesamten Studiums kein wissenschaftliches Arbeiten und daher sind die allermeisten komplett überfordert, wenn sie plötzlich eine Dissertation schreiben sollen/ wollen. Das führt dann dazu, dass diese dann von dem Doktorvater und dessen Mitarbeitern total in Watte gepackt werden und vieles abgenommen wird.
Ach wie einfach ist doch das Leben, wenn man einfach alles verallgemeinert. Ich kenne genug Doktorarbeiten von Mediziner, die so gut wie keine Hilfe hatten, genauso wie ich Arbeiten kenne, die so abliefen wie du es beschreibst. Ist deswegen die eine Arbeit jetzt wirklich mehr Wert als die andere? Genauso lässt du auch außer Acht, dass der Großteil der medizinischen Doktorarbeiten komplett neben dem Studium oder der Arbeit erstellt werden und nur wenige dafür extra Forschungssemester einlegen oder als wissenschaftliche Mitarbeiter arbeiten.
Am Ende ist es doch recht einfach. Wer einen Doktortitel nach den geltenden Vorschriften seiner Universität erlangt, der hat ihn auch verdient. Ob das jetzt der ein oder andere gut findet oder nicht. Es stellt ja auch niemand die Frage nach dem Sinn vieler Doktortitel und/oder Doktorarbeiten, egal welcher Fachrichtung. Kaum ein Arzt ist ein besserer Arzt, weil er einen Doktortitel hat. Genauso gibt es ja auch Länder, da gibt es den Doktortitel automatisch mit Abschluss des Studiums. Die müssten dann ja noch weniger Wert sein. Führen wir dann jetzt Doktortitel verschiedener Klassen ein?
Und bevor jetzt irgendwer meint, ich wäre parteiisch. Ich habe keinen Doktortitel, weil die Betreuung als ich es mal versucht habe, doch recht überschaubar war und ich mir die Zeit neben der Arbeit dann doch nicht mehr ans Bein binden wollte. Zumal eben der Nutzen des Titels in meinem Fall nicht viel mehr als ein längeres Namensschild gewesen wäre. Und ich fürchte eher das Problem vieler vermeintlich geklauten Promotionen dürfte eben in der Motivation des längeren Namensschildes liegen und weniger in der Motivation echter wissenschaftlicher Arbeit.
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