Offen über psychische Erkrankung reden oder lieber nicht?
Eine Freundin hat eine psychische Krankheit oder vielleicht auch sogar mehrere. Sie verschweigt dies in der Öffentlichkeit aber eigentlich, auch gerade, was ihr Umfeld betrifft, möchte sie eben nicht, dass alles und jeder Bescheid darüber weiß. Sie hat mal gesagt, dass sie selbst schlechte Erfahrungen damit gemacht hat, wenn sie offen davon erzählt hat. Sie wurde dann wohl irgendwie ausgegrenzt und komisch angeschaut und ähnliches.
Nun hat sie aber eine Frau kennen gelernt, die ganz offen überall erzählt, dass sie eine psychische Erkrankung hat. Meine Freundin hat sie dann mal darauf angesprochen und diese meinte, dass sie selbst eben die Erfahrung gemacht hätte, dass es ihr damit besser geht, wenn andere Menschen über sie Bescheid wüssten. Gerade, damit auch Missverständnissen vorgebeugt werden kann, wenn es ihr mal schlecht geht und sie dann einfach nicht kann. Ich kann diese Denkweise durchaus nachvollziehen, aber ich verstehe auch meine Freundin, dass sie solch eine Erkrankung eben nicht an die große Glocke hängen möchte.
Was meint ihr, sollte man psychische Krankheiten durchaus offen erzählen und darüber reden oder sollte man da lieber nichts sagen und nur ein paar Menschen davon erzählen, denen man absolut vertraut? Meint ihr, dass es da sinnvoller ist, offen zu sein? Welche Erfahrungen habt ihr da schon gemacht? Und habt ihr vielleicht einen von beiden Wegen bereut?
Das ist durchaus eine schwierige Frage, und ich glaube, dass man immer individuell abwägen muss, was und wieviel man gegenüber welchen Menschen aus seinem Privatleben preisgeben möchte - nicht nur in Bezug auf Erkrankungen, sondern auch generell.
Auch ich habe schon negative Erfahrungen gemacht, nachdem ich Menschen von privaten Details aus meinem Leben erzählt habe. Mir wurde völlige Verschwiegenheit versichert, und am Ende wusste es dann doch die Familie, der erweiterte Freundeskreis und der Briefträger desjenigen, dem ich davon berichtet hatte. In anderen Fällen habe ich einfach bemerkt, dass der Kontakt zu der jeweiligen anderen Person nach der Offenlegung einiger Details distanzierter und komischer geworden ist, und dass ich das Gefühl hatte, mein Gegenüber nicht mehr richtig einschätzen und ihm nicht mehr absolut vertrauen zu können. Solche Erlebnisse sind schmerzhaft und machen vorsichtig.
Andererseits kenne ich auch das Gegenteil. Oft habe ich durch ein offenes und ehrliches Verhalten auch in unangenehmen Situationen eine unheimlich tolle Unterstützung von anderen erfahren. Sogar Leute, mit denen ich gar nicht so eng in Kontakt war, haben mir dann Hilfe, Unterstützung oder einfach ein offenes Ohr angeboten und mich immer wieder nach meinem Wohlbefinden gefragt. Das fand ich wirklich sehr nett und erleichternd. Außerdem belastet das Totschweigen von Angelegenheiten, die einen eigentlich sehr beschäftigen, immer die Beziehung zu anderen, und auf Dauer kann es dadurch zu Auseinandersetzungen kommen, die durch einen offeneren Umgang hätten vermieden werden können.
Ich denke, dass psychische Erkrankungen zwar oft noch ein Tabu-Thema sind, durch intensive aktuelle Forschung und breite Aufklärung der Öffentlichkeit aber immer mehr ent-tabuisiert werden, was ich auch sehr positiv finde. Dadurch werden Vorurteile abgebaut und Betroffenen fällt es leichter, sich wieder in einen normalen Alltag einzufügen. Damit das möglich ist, ist ein Stück Offenheit von Seiten der Erkrankten schon die Voraussetzung. Aber dennoch würde ich sehr gut aufpassen, wem ich was erzähle.
Ich glaube dass es auch einfach darauf ankommt was man hat. Wenn man beispielsweise Angst vor Menschengruppen hat, dann sollte man so etwas schon erwähnen. Es ist sicherlich von der Erkrankung abhängig zu machen, auch von dem Verhältnis zueinander. Mit meinem besten Freund würde ich auf jeden Fall alles besprechen, mit meiner Familie nicht.
Auch weiß man ja nicht bei jeder Person ob es weitererzählt wird oder nicht. Man muss den Menschen schon vertrauen können und selbst dann hat man keine Garantie. Mit allen Menschen kann man nicht offen über alle Probleme reden.
Bei den oben genannten Beispielen kann es sich nur um Menschen handeln, die gar nicht arbeiten und die ganze Zeit zu Hause sitzen. Denn es wäre extrem dumm, wenn man so etwas an die große Glocke hängt, dass alle Kollegen und auch der Chef davon wissen. Gerade im Berufsleben kann das nur von Nachteil sein.
Seit dem Regime-Change habe ich eine Chefin, die dich knallhart ausselektieren würde, wenn bekannt wäre, dass du eben psychisch krank bist. Sie legt größten Wert auf Effizienz und dass jeder flexibel einsetzbar ist. Sobald du weniger leistungsfähig, weil du eine Krankheit oder Behinderung hast (oder dich einfach nur weigerst), bist du weg vom Fenster. Aus diesem Grund musste eine Kollegin gehen, die von Geburt an behindert war, aber immer perfekte Arbeit geleistet hat.
Bevor hier jemand aufschreit von wegen Behinderte und Kündigungsschutz: bei uns werden bis auf einige wenige Ausnahmen alle befristet eingestellt. Wenn man also jemanden loswerden will, wartet man einfach das Ende des Arbeitsvertrags ab und verlängert ihn nur nicht.
Ich persönlich stehe zu meiner psychischen Erkrankung und ich bin kein Mäuschen, welches den ganzen Tag zu Hause sitzt. Ich gehe arbeiten, mein Chef und auch meine Kollegen wissen Bescheid, weil ich einfach Verhaltensweisen an den Tag legen kann, die mit der Erkrankung zusammenhängen. Das mindert meine Effizienz zumindest nicht, es kann halt nur sein, dass ich mal sensibler reagiere.
Jedoch muss man selektieren, was man erzählt. Ich habe mir Details erspart. Die Kollegen wissen, dass ich Panikattacken haben kann und wie sie reagieren sollen. Ist nämlich doof, wenn man mitten in der Arbeit erstarrt und vorübergehend nichts mehr geht. Das wird akzeptiert und hilft mir auch bei der Überwindung der Problematik. Es ist nämlich schon sehr viel besser geworden und es wird immer besser zu bewältigen. Daher nenne ich manche Informationen, aber grobe Details gibt es nicht.
Wibbeldribbel hat geschrieben:Jedoch muss man selektieren, was man erzählt. Ich habe mir Details erspart.
Wo ist das bitteschön "offen" wenn du gefühlt 90 Prozent der gesundheitsrelevanten Infos weg lässt was deinen Chef und die Kollegen angeht? Da ist es leicht arbeiten zu gehen und Verständnis und Toleranz zu bekommen und am Arbeitsplatz nicht benachteiligt und stigmatisiert zu werden. Ich denke nicht, dass du denselben Effekt beobachten würdest, wenn dein Chef über alles Bescheid wüsste und du wirklich alles an die große Glocke hängen würdest.
Das kann man nicht so pauschal beantworten. Es hängt von der Art der Erkrankung ab, den Personen, mit denen man darüber redet oder nicht und natürlich auch von der eigenen Persönlichkeit. Engen, vertrauenswürdigen Personen wird man es wohl erzählen, weil sie es wahrscheinlich eh merken, dass man in manchen Situationen Probleme hat, sich vielleicht lange zurückzieht oder vielleicht an und zu in einer Klinik ist.
Am Arbeitsplatz ist es eine sehr individuelle Entscheidung. In habe meist in großen Unternehmen gearbeitet, die sehr auf ihre Mitarbeiter geachtet haben. Ich habe einen Kollegen gehabt, der sporadisch wegen einer psychischen Erkrankung gefehlt hat. So ganz konkret wusste ich nicht, was er hatte, aber sein Chef sehr wohl. Er hatte keinerlei Nachteile. Auch Alkoholiker wurden nicht entlassen, sondern unterstützt, falls das bekannt war.
Wie gesagt, man kann nicht allgemein sagen, was besser ist. Das muss jeder in Einzelfall für sich abwägen. Eine Arbeitsstelle, in der einzig und alleine Effizienz herrscht und wenig Mitmenschlichkeit würde ich, falls möglich, kündigen.
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