Frage nach der Herkunft manchmal unpassend?
Ein sehr beliebtes Small Talk Thema betrifft ja die Herkunft oder auch Heimat eines Individuums. Viele Menschen reagieren da eher offen, wenn es um das Thema angeht und geben auch bereitwillig Auskunft darüber. Ich kenne aber auch Menschen, die ihre Herkunft am liebsten verleugnen und ziemlich verschnupft reagieren, wenn man sie auf ihre "Andersartigkeit" anspricht. In welchen Momenten findet ihr persönlich die Frage nach der Herkunft einer Person unpassend und vielleicht sogar respektlos? Oder ist das für euch eine Frage, die eigentlich immer bei Small Talk geht?
Die Frage nach der Herkunft ist immer respektlos, wenn man sie nur aufgrund des Aussehens stellt. Ich habe eine dunkelhäutige erwachsene Nachhilfeschülerin, würde aber nie auf die Idee kommen, zu fragen, wo sie herkommt. Sie redet deutsch wie ich und sie hat mir einmal erzählt, dass sie ihre Ausbildung in Köln gemacht hat. Vielleicht ist sie adoptiert, als Kind als Flüchtling hergekommen, vielleicht wohnen ihre Eltern schon seit Generationen hier? Ich weiß es nicht.
Das alles geht mich nichts an und es wäre übergriffig zu fragen, "wo sie denn eigentlich herkommt". Ich fände es auch merkwürdig, wenn sie mich nach meinen Vorfahren fragen würde. Für mich ist sie eine Deutsche genau so wie ich eine bin, stolz auf Goethe, Einstein und Immanuel Kant, und beschämt wegen der Gräueltaten der Nazis. Sie hat genauso viel oder so wenig damit zu tun wie ich.
Etwas anderes ist es vielleicht, wenn jemand schlecht deutsch spricht. Wenn man diese Person kennt - und nur dann -, ist die Frage, wie lange sie denn schon in Deutschland ist, in meinen Augen nicht respektlos, sondern einfach nur interessiert. So wie ich auch in Bayern aufgrund meines Dialekts gefragt werde, woher ich ursprünglich komme.
Mir fällt eigentlich kein Zusammenhang ein, bei dem die Frage nach der ethnischen oder geografischen Herkunft nicht unpassend und unangemessen ist. Und das hat absolut nichts damit zu tun, dass die Leute ihre "Herkunft verleugnen". Mein Partner ist, wie schon öfter erwähnt, braun geraten, und wird quasi ständig darauf angesprochen, dass er "anders" ist. Deutscher durch und durch, nur eben genetisch bedingt braun geraten. Und wenn man sein ganzes Leben lang wieder und wieder und wieder nach der Herkunft gefragt wird, nervt es irgendwann tierisch.
Soviel Empathie sollte man eigentlich haben, dass man sich denken kann, dass farblich abweichende Mitbürger exakt diese Frage aus purem Überdruss nicht mehr hören können. Es ist auch nicht lustig, ständig auf die Hautfarbe oder den Akzent reduziert zu werden, als sei die Herkunft das Interessanteste an einer Person, wenn sie nicht weiß und/oder europäisch wirkt.
Dazu noch der "Sie können aber toll Deutsch "-Alltagsrassismus, der auch dazu führt, dass mein Freund und ich schon die Arschbacken zusammenkneifen, wenn es mal wieder heißt: Wo kommst Du wirklich her? (Aus Bayern.) oder "Du bist aber kein Deutscher?" (Doch.) Mittlerweile sollte es eigentlich keine derartige Sensation mehr sein, dass jemand braune Haut und schwarze Locken hat und sich dennoch als Deutscher identifiziert.
Natürlich ist die Frage nach der Herkunft unpassend. Denn hier wird lustig mit zweierlei Maß gemessen. Ein typisch westeuropäisch aussehender Mensch wird nie gefragt, woher er oder mindestens seine Vorfahren kommen. Die ganzen -owsky, offensichtlichen Franzosen und andere werden problemlos akzeptiert und als Deutsche angesehen.
Der Koslowsky, dessen Eltern offensichtlich aus Polen gekommen sind, wird nicht gefragt, in welchem polnischen Dorf seine Vorfahren gelebt haben. Das fragt man auch nicht die Frau Couturier mit den französischen Wurzeln oder die Familie Anderson, die irgendwann mal aus Schweden kam.
Wenn ich mal nach dem Ort gefragt werde, wo ich herkomme, dann wird das einfach hingenommen. Mich fragt niemand, ob ich zu den vielen Deutschen gehöre, die irgendwann mal von sonstwo kamen. Ich bin mit Vorfahren, die vor über hundert Jahren aus Ostpreußen und vor etwa 300 Jahren aus Frankreich kamen problemlos deutsch.
Wäre ich dunkelhäutig, würde garantiert so lange weiter genervt, bis wir in Afrika oder den USA angekommen wären. Und da kommt dann gleich der nächste Alltagsrassismus, denn wer direkt vom afrikanischen Kontinent kommt, der wird schief angeschaut, der Umweg über Amerika ist dagegen cool.
Ich habe diese Frage auch schon gestellt bekommen oder auch gestellt, denn manchmal stellt sich auch einfach heraus, dass man beispielsweise die gleiche Muttersprache hat oder eben aus dem gleichen Land kommt. Von daher würde ich nicht behaupten, dass diese Frage immer respektlos oder unangemessen ist. Es kommt darauf an, mit welchen Hintergedanken man solche Fragen stellt.
Manchmal finde ich die Frage auch schwierig und empfinde sie auch unangenehm. Immerhin möchte man nicht die ganze Lebensgeschichte vor fremden Menschen breittreten und sich auch nicht ewig erklären. Was will der andere Wissen? Welche Nationalität auf meinem Ausweisdokument steht, woher mein ausländischer Vater kam oder in welchem Land ich wohne?
Da finde ich die Frage "Was machst du hier denn so?" oder "Warum bist du hier und nicht in deinem Geburtsland" viel schlimmer. Ja, was mache ich denn wohl? Wahrscheinlich einfach nur leben und existieren, so wie jeder andere Mensch an jedem anderen Wohnort der Welt. Solche Fragen sind bestimmt nicht böse gemeint, aber eindeutig schlechter Small Talk.
Wenn ein ausländisch aussehender Mensch von sich sagt, dass er deutsch ist, dann soll man das auch so stehen lassen und nicht fragen, woher seine Eltern kommen oder was seine richtige Nationalität ist. In solchen Fällen finde ich das Nachbohren unangebracht und respektlos. Und das können auch Menschen ohne besonders viel Feingefühl und Taktgefühl wissen.
Wenn jemand nicht europäisch aussieht ist die Chance halt sehr groß, dass diese Person genau diese Frage schon gefühlte tausend mal beantworten musste. Stellt sich also die Frage, ob du es passend findest jemandem ein Thema aufzudrängen, wenn du davon ausgehen kannst, dass die Person auf dieses Thema absolut keinen Bock mehr hat.
Außerdem weiß man doch nicht, was für eine Geschichte der andere hat. Einiges, was mit Herkunft zu tun hat, ist einfach sehr privat, vielleicht auch sehr traumatisch. Hättest du Lust dich mit einer mehr oder weniger fremden Person im Small Talk über Krieg, Flucht oder Vergewaltigung der Mutter zu unterhalten? Was hat das mit "Herkunft verleugnen" zu tun wenn jemand der Meinung ist, dass dich das schlicht und einfach nichts angeht?
Ich denke, am nervigsten an der Fragerei dürfte der mitschwingende unterschwellige Gedanke sein, dass der Befragte irgendwie nicht hierher gehört. Wenn es wirklich reine, freundliche Neugier mit Verständnis wäre, wäre es vermutlich nicht so schlimm, solche Fragen gestellt zu bekommen. Aber ich befürchte, dass hinter den Fragen nach der Herkunft meistens insgeheim noch andere Gedanken stecken, wie z.B. "Wann gehst du eigentlich dorthin zurück, wo du herkommst?" oder "Ach ja, du kommst also von da, wo die meisten Leute ein wenig rückständig sind". Daher fühlen sich die meisten Befragten früher oder später vermutlich durch solche Fragen beeinträchtigt.
lascar hat geschrieben:Ich denke, am nervigsten an der Fragerei dürfte der mitschwingende unterschwellige Gedanke sein, dass der Befragte irgendwie nicht hierher gehört. Wenn es wirklich reine, freundliche Neugier mit Verständnis wäre, wäre es vermutlich nicht so schlimm, solche Fragen gestellt zu bekommen.
Selbst "freundliche Neugier mit Verständnis" rechtfertigt für mich nicht die Frage nach der Herkunft aufgrund des Aussehens. Erstens finde ich es reichlich herablassend, wenn weiße Bio-Deutsche oder -Europäer, glauben, besagten braun aussehenden Mitmenschen mit "Verständnis" entgegentreten zu müssen. Wofür sollen sie bei meinem Freund oder zahllosen anderen Leuten "Verständnis" haben? Dass die Oma einen GI gebumst hat oder dass auf zahllose andere Arten nicht-weißes Aussehen in den Stammbaum geschwappt ist?
Und auch freundliche Neugier ist Neugier und in den meisten Fällen übergriffig und unangemessen. Die allermeisten Leute sind plump und herablassend neugierig und halten sich nur für wunder wie "freundlich", wenn sie sich überhaupt trauen, mit dem "Schwarzen" zu sprechen.
Ich frage ja auch niemanden, der im Rollstuhl sitzt, wie er oder sie da hineingeraten ist, auch wenn ich noch so "neugierig" bin, ob es ein Schiunfall war, eine Krankheit oder ein Geburtsdefekt. Wie gesagt, es geht hier nicht darum, wie die Frage nach der ethnischen Herkunft "gemeint" ist oder ob die Leute, die diese Fragen durch ihr Äußeres ungewollt provozieren, etwas zu verbergen haben. Es nervt einfach, derart offensichtlich als Allererstes als "anders" gesehen zu werden und zweitens ist es auch diskriminierend, weil, wie schon erwähnt, die Leute mit polnischen, französischen oder dänischen Vorfahren nicht neugierig gefragt werden, wo sie denn herkommen.
Gerbera hat geschrieben:Selbst "freundliche Neugier mit Verständnis" rechtfertigt für mich nicht die Frage nach der Herkunft aufgrund des Aussehens. .
Ich dachte jetzt auch gar nicht an Fragen aufgrund des Aussehens, sondern an allgemeine Fragen nach der Herkunft, so wie man sich auch unter Deutschen bzw. Mitteleuropäern durchaus über die jeweilige Herkunft unterhält. "Ach, du kommst aus Thüringen? Woher denn genau? Interessant, da gibt es doch dieses tolle Schloss..." Wenn man auf diese Weise über die jeweilige Herkunftsregion spricht, finde ich es an sich nicht schlimm und könnte auch zwischen Menschen verschiedener Nationen smalltalkmäßig stattfinden, denke ich.
Hier bei uns im Team haben wir eine bunte interkulturelle Mischung, und die Leute unterhalten sich häufig und auch nicht ungern über ihre jeweiligen Herkunftsregionen und -länder, und wir erzählen uns gegenseitig Dinge aus unseren jeweiligen Regionen. Wenn jemand von sich aus Bereitschaft zeigt, darüber zu sprechen, kann das ja auch ein spannendes Thema sein.
Komisch, dass es hier überwiegend Biodeutsche sind, die solche Fragen als "natürlich" unpassend empfinden. Als ob diese wüssten, wie es sich anfühlt, nach der Herkunft gefragt zu werden. Ich wurde wegen meines Nachnamens jedenfalls schon häufig auf meine Herkunft angesprochen und da schwingt in den allerwenigsten Fällen ein abfälliger Ton mit und es gab mir bisher auch kaum jemand das Gefühl, ich gehöre hier nicht her. Das sind dann höchstens die bildungsfernen Schichten, aber mit sowas habe seit der Schulzeit nicht mehr viel zu tun.
Was Menschen ohne Migrationshintergrund einfach nicht in ihre beschränkten Schädel bekommen ist, dass man sich mit Migrationshintergrund auch selten zu 100% deutsch fühlt. Meistens hat man ja auch eine doppelte Staatsbürgerschaft, die bekommt man von einem Elternteil ja quasi automatisch"vererbt". Diese Behauptung, der Pass mache einen deutsch, kommt auch nur von Biodeutschen, die von den Empfindungen von Migrantenkindern einfach keinen Schimmer haben. Daher ist die Frage nach der Herkunft schon in Ordnung.
Als ich noch zur Schule ging, hatten wir im ganzen Jahrgang einen Dunkelhäutigen und da fragte ich auch aus Interesse, aus welchem Land sein Elternteil stammt. Der hat dann jedenfalls auch nicht beleidigt gewirkt . Die zweite Frage lautet dann meistens, ob man bilingual aufwächst und das scheinen die meisten auch eher interessant oder beeindruckend, aber sicher nicht negativ zu werten.
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