Per Weiterbildung oder Umschulung aus dem Beruf fliehen?
Bei vielen Menschen, die eine Weiterbildung oder eine Umschulung anstreben, höre ich das Argument, dass sie keine Lust mehr auf ihren Beruf haben und deshalb etwas Anderes machen wollen.
Wie ist das bei Euch? Wart ihr immer mit eurer Berufswahl zufrieden oder habt ihr eure Weiterbildung oder Umschulung, egal ob realisiert oder nur geplant, als eine Art Flucht aus eurem ursprünglich erlernten Beruf empfunden?
Ich bin mit meiner Berufswahl eigentlich recht zufrieden. Ich habe außerdem den Vorteil, dass ich mit meiner Ausbildung einen sehr breiten Bereich an möglichen Berufen ausüben kann und so gar nicht so sehr auf meinen aktuellen Beruf festgenagelt bin. Genau genommen ist es sogar ganz normal, dass man mit meiner Ausbildung nicht sein ganzes Leben den gleichen Beruf ausübt.
Ich bräuchte also keine Umschulung, wenn ich nicht mehr zufrieden wäre. Natürlich könnte ich jetzt nicht in einen völlig anderen Bereich wechseln. Allerdings sind meine Möglichkeiten so groß, dass das gar nicht nötig wäre.
Ich war mit meinem Job unzufrieden und habe die Weiterbildung die ich neben dem Beruf gemacht habe auch als Fluchtmöglichkeit aus diesem gesehen. In der ersten Linie war ich wegen den Arbeitsmodalitäten unzufrieden wie auch der mangelnden Perspektiven und Aufstiegschancen. Daher habe ich neben dem Beruf studiert und den Absprung geschafft und mache nun etwas komplett anderes.
Der erste gelernte Beruf war auch so Fachspezifisch, dass ich damit auch nirgendwo anders hätte arbeiten gehen können mangels Ausbildung und Erfahrung. Das ist das Problem bei bestimmten Ausbildungen und somit braucht man dann eine Umschulung oder muss sich entsprechend in anderen Bereichen weiterbilden, damit man den Absprung schaffen kann.
Inzwischen arbeite ich in etwas komplett anderem und hat weder mit der Ausbildung noch mit dem Studium direkt zu tun. Indirekt helfen mir allerdings beide berufliche Erfahrungen bei meinem jetzigen Job enorm weiter, und somit habe ich zwar einen Umweg genommen bin aber zufrieden mit dem was ich mache, da einfach alles passt.
Ich würde ehrlich gesagt gar nicht einsehen, warum ich in einem Beruf bleiben sollte, der mich total unglücklich und unzufrieden macht und den ich eher als Käfig ansehe und nicht als Mittel zur Selbstverwirklichung. Da würde ich auch dazu neigen, mir schnell eine Fluchtmöglichkeit zu suchen, sofern sich die Gelegenheit ergibt und man eben genau weiß, in welche Richtung es hinterher gehen soll. Wenn man noch darüber nachdenkt und sich noch nicht sicher ist, wohin es gehen soll, sollte man in Ruhe darüber nachdenken, um zu vermeiden, dass man in eine Richtung vorprescht, die man hinterher bereut.
Da ich in zwei Richtungen ausgebildet bin habe ich hier ein großes Wahlspektrum. Doch könnte ich mir vorstellen eine Auszeit von meinem Beruf zu nehmen und eine Bildungskarenz zu machen, um mich auf einen bestimmten Bereich genauer zu spezialisieren.
Manchmal denke ich mir jedoch auch, dass eine radikale Änderung doch für die persönliche Weiterentwicklung gut wäre. Ich würde es nicht fliehen bezeichnen. Sondern wie ein Kleidungsstück, dass einem zu eng wird oder einfach abgetragen muss manchmal was Neues her. Hier kann man dann entweder das altbewährte aufgepeppt wählen, oder seinen Stil ändern und neue Seiten an sich zu entdecken.
Eine Ausbildung oder Umschulung ist immer mit Aufwand verbunden und teilweise erfordert es Mut seine gewohnten Bahnen zu verlassen. Deshalb ist es glaube ich keine Flucht sich Umzuschulen. Sondern eher der Wille etwas zu verändern.
Mir leuchtet es nicht ein, wieso es so negativ dargestellt wird, aus einem Beruf zu "fliehen". Einerseits soll man sich quasi lebenslänglich fortbilden und sich selber an allen Fronten optimieren, aber andererseits dann doch in dem Job festhängen, in den man nach Studium oder Lehre mehr oder weniger zufällig gestolpert ist, weil man ja den Leuten etwas schuldet, die einen eingestellt haben? Die Zeiten sind lange vorbei.
Natürlich gibt es auch heute noch konservative Branchen und Unternehmen, bei denen sich gleich die Augenbrauen heben, wenn man in den letzten 10 Jahren mehr als einmal die Stelle gewechselt hat, Babypausen und Abteilungsumstrukturierungen eingerechnet. Aber im Großen und Ganzen ist es schon lange eher normal bzw. es wird sogar erwartet, dass die Berufslaufbahn eine gewisse Entwicklung nachzeichnet und nicht nur davon zeugt, dass sich jemand jahrzehntelang ängstlich an seinem Schreibtisch festgeklammert hat.
Von daher sehe ich kein Problem darin, wenn jemand mit seinem aktuellen Job nicht mehr zufrieden ist und sich daher umorientiert. Manche machen sich selbstständig, andere studieren oder machen noch eine Ausbildung parallel und im Idealfall springt dabei ein besser bezahlter oder interessanterer Job heraus oder man hat zumindest ein stressfreieres Leben. Dafür "fliehe" ich doch gerne, bevor ich mir einen Burnout einfange, nur weil ich mich nicht traue, neu anzufangen.
Noch vor relativ kurzer Zeit galt es in meinem sozialen Umfeld als negativ, den Beruf wechseln zu wollen. Da kam man rasch in den Ruf, wankelmütig, unbeständig oder unzuverlässig zu sein. Sogar bei meinem Arbeitgeber bin ich mal in den Ruf eines voreiligen Aufgabenwechslers geraten, obwohl ich aufgrund einer vom Chef angeordneten Umorganisation neue Themen zugeteilt bekommen hatte. Trotzdem haben mir manche diesen Aufgabenwechsel in Form von Unzuverlässigkeit vorgeworfen.
Ich weiß noch gut, dass die übliche Denkweise in meiner Jugendzeit war, dass ein Berufswahl eine lebenslange Entscheidung sei, an die man bis zur Rente gebunden ist. Ja, sogar das Wechseln des Arbeitgebers innerhalb desselben Aufgabenspektrums wurde schon misstrauisch beäugt. Als ich damals in Aussicht stellen wollte, meinen Job bzw. sogar meinen Beruf wechseln zu wollen, sind größere Teile meiner Familie und meines sozialen Umfelds in regelrechte Panik verfallen, und man hat mich händeringend angefleht, solchen Unsinn zu lassen...
Da hat sich schon ein deutliches Umdenken entwickelt, worüber ich sehr froh bin. Denn dieses Gebundensein an einen immergleichen Beruf hat in meiner Wahrnehmung auch etwas sehr Einengendes und wirkt fast ein wenig wie eine Gefangenschaft.
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