Als depressiver Mensch anderen positive Gefühle vermitteln?

vom 07.12.2017, 14:50 Uhr

Eine Freundin von mir leidet an Depressionen und kämpft sich gerade wieder aus einer schweren Phase. Sie wirkt nach Außen gar nicht depressiv, sondern immer sehr fröhlich und ausgelassen. Aber wenn man sie etwas kennt, weiß man auch, wie es hinter dieser Fassade aussieht. Sie hat aber ein wirkliches Händchen dafür, anderen Menschen positive Gedanken und Gefühle zu vermitteln. So kann sie wirklich gut motivieren und jemandem Mut machen. Vielleicht liegt es an ihrer Therapie und den Fortschritten, die sie dort macht.

Allerdings finden das nun andere schon etwas komisch. Denn sie ist oftmals selbst sehr negativ eingestellt und sieht eben vieles Schwarz. Sie können da nicht nachvollziehen, dass solch eine Person, die nicht gerade vor positiver Energie strotzt, anderen solche positiven Gefühle vermitteln kann.

Findet ihr es auch ungewöhnlich, dass ein Mensch der an Depressionen leidet, anderen positive Gefühle und Gedanken vermitteln kann? Meint ihr, dass dies doch widersprüchlich sein müsste? Oder denkt ihr, dass jemand der Depressiv ist, durchaus ein guter Coach im positiven Denken sein kann?

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



Mir erschließt sich nicht, was das mit einer Therapie und irgendwelchen Fortschritten zu tun haben soll: Das ist einfach Selbstschutz, sonst nichts. Wenn man depressiv ist und man zeigt offen negative Gedanken und Gefühle, bekommt man meist von den Mitmenschen aus der Umgebung eins drauf und wird dafür kritisiert, dass man alles so negativ sieht. Dadurch fühlt man sich als Depressiver noch schlechter und die Symptomatik verschlimmert sich und es entsteht eine Abwärtsspirale. Also ist man nach außen hin Optimist und Motivations-Couch und lässt es sich nicht anmerken, wie es einem im Inneren geht. Das hilft ungemein, da die Kritik in der Regel ausbleibt, wenn die Menschen nicht wissen, dass man depressiv ist.

Wenn man dann noch sieht, dass man andere zu positiven Gedanken und Einstellungen verhelfen kann und diese sich besser fühlen, mildert das die negativen Gedanken etwas ab und man wertet sich selbst auf. Hinzu kommt, dass man sich vorübergehend von seinen deprimierenden Gedanken ablenken kann, was auch gut tut. Das hat in meinen Augen nicht wirklich was mit unlogischen Zusammenhängen zu tun. Das ist doch total nachvollziehbar finde ich. Wer diese Logik nicht sieht, hat die Mechanismen einer Depression nicht wirklich verstanden.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge


Wieso sollte es ungewöhnlich sein wenn ein depressiver Mensch anderen ein positives Gefühl vermittelt bzw jemanden anderen motiviert. Depressionen sind eine Krankheit und kein Gemütszustand. Nicht jeder der depressiv ist ist automatisch immer traurig oder schlecht gelaunt. Menschen mit Depressionen haben genauso wie alle anderen Menschen auch gute und schlechte Tage, und schlimme und tolle Momente. Und somit können Sie durchaus auch andere motivieren oder ihnen ein gutes Gefühl geben.

Außerdem trägt man ja nicht immer seine Gefühle nach außen. Das mag man nicht wirklich mit dem oben genannten Thema vergleichen können aber als Beispiel kann man ja Eltern nennen: Auch wenn man als Mama oder Papa mal einen schlechten Tag hat, gestresst oder vielleicht sogar traurig ist, man gespaßt sein Kind ja trotzdem und bringt es zum Lachen usw. Man kann seine Gefühle, wenn es sein muss und über einen begrenzten Zeitraum, durchaus auch verbergen.

» Anijenije » Beiträge: 2730 » Talkpoints: 53,02 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Es gibt beide Seiten. Einerseits gibt es depressive Menschen, die immer lächeln und positive Gefühle vermitteln und sich auf diese Art selbst schützen. Depressionen sind in der Gesellschaft immer noch teilweise verpönt und als Depressiver hat man es nicht leicht, wenn man immer die gleichen Sprüche hört, dass man zum Beispiel alles nicht so düster sehen soll.

Ich habe ja selbst die Diagnose "Depressive Phase" auf dem Papier stehen und ich muss aber gestehen, dass bei mir positive Gefühle nicht nur reiner Selbstschutz sind. Ich habe es scheinbar irgendwo gelernt und diese positiven Gefühle vermittele ich meistens an sich sehr gerne und freiwillig und nicht um von mir abzulenken. Es ist sogar teilweise meine Art.

» Wibbeldribbel » Beiträge: 12585 » Talkpoints: 9,82 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



Auf die eine einzig allgemein gültige Erklärung würde ich mich jetzt nicht festlegen wollen. Ansätze gäbe es meiner Meinung nach einige. Einige wurden schon genannt, vor allem der, dass das eine eben die Krankheit ist oder sein kann und das andere das eigentliche Ich darstellt. Man kann vom Wesen her fröhlich, stark, selbstbewusst sein und trotzdem eine Depression bekommen. Das ist dann aber wie schon gesagt wurde nicht der Charakter, auch wenn es sich so anfühlt oder für andere so wirken mag.

Manchmal kann es auch sein, dass Menschen versuchen anderen positive Gefühle zu vermitteln und ihnen zu helfen, weil sie sich das eigentlich für sich selbst gerne wünschen würden. Leute mit einem ausgeprägten Helfersyndrom haben oft selbst Defizite. Und dann kann es auch an der Art liegen, wie man aufgewachsen ist. Wenn ein enges Familienmitglied, oft die Mutter, selbst bedürftig ist oder war und unter Trauma oder Depressionen leidet, dann spüren Kinder das in der Regel sehr deutlich und versuchen mit allen Mitteln die Bezugsperson zu stabilisieren, um selbst zu überleben.

Dann werden Kompetenzen zu früh entwickelt und man gibt etwas, was man selbst noch nicht ausreichend bekommen hat. Man ist Fleisch ohne Skelett, hat selbst nicht genug Halt bekommen und wird als Heranwachsender Angstpatient oder depressiv oder selbst traumatisiert, weil da ein dickes Loch ist. Die Fähigkeit für andere da zu sein, ist aber noch etabliert.

» Verbena » Beiträge: 4940 » Talkpoints: 1,49 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


Die Betroffene erzählt aber jedem das sie eben Depressionen hat und geht damit sehr offen um. Sie meint, dass sie damit die besten Erfahrungen gemacht hätte und dennoch ist sie bei anderen immer eher positiv. Sie ist oft so gut gelaunt, dass man es schon als überdreht bezeichnen könnte. Das finde ich doch etwas besorgniserregend und mache mir da Gedanken um sie.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge


Depressive haben ja nicht immer nur schlechte Phasen und sicherlich kann man auch gut motivieren, wenn man sich jeden Tag motivieren muss am Leben zu bleiben. Mein Onkel hatte schwere Depressionen und er hat bis zum Schluss immer nach einer Aufgabe gesucht um anderen Menschen auch etwas zurückgeben zu können.

Tatsächlich war er da auch immer sehr beliebt und konnte den Leuten helfen, aber das ist eben nur eine Seite und die andere Seite ist, dass er dann davon oft so fertig war, dass er sich stundenlang auf dem Sofa ausruhen musste. Geholfen hat es ihm aber schon etwas auch andere glücklich machen zu können. Es ist aber nicht jeder Krankheitsverlauf gleich, nicht jeder Depressive kann anderen Leuten positive Gefühle vermitteln, nicht jeder kann überhaupt irgendetwas erreichen.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Manche Leute sind eben auch gute Schauspieler, gerade wenn sie wissen, dass Freunde und Bekannte sich früher oder später abwenden, wenn man nur niedergeschlagen ist und sich zurückzieht oder schlicht nicht die Energie für Sozialkontakte aufbringt. Langfristig sind psychische Krankheiten oft auch mit dem sozialen Aus verbunden.

Von daher kann ich schon verstehen, dass sich viele Betroffene schlicht verstellen und so tun, als seien sie immer gut gelaunt und bester Dinge. Man sieht hier ja auch anschaulich, dass es funktioniert, weil ganz offensichtlich nicht jeder kapiert, dass man auch so tun kann, als ob und in Wirklichkeit alles andere als gut gelaunt und fröhlich ist.

Und entsprechend kann ich auch nachvollziehen, dass gerade Leute, denen es psychisch schlecht geht, alles daran setzen, dass es ihnen Nahestehenden gut geht. Schließlich sind sie mit den dunklen Seiten der menschlichen Existenz nur zu vertraut und wollen logischerweise nicht, dass es ihren Freunden und ihrer Familie ähnlich schlecht geht wie ihnen selbst. Bei vielen Betroffenen führen Krankheiten zu größerer Empathie. Wenn es einem selber schon schlecht geht, müssen die anderen ja nicht auch noch leiden.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


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