Mindestlohngesetz eher problematisch für Berufserfahrungen?
Zu meinen Studienzeiten ist damals noch das Mindestlohngesetz eingeführt worden und schon damals habe ich mitbekommen wie problematisch das war. Denn viele Arbeitgeber fühlten sich davon abgeschreckt und wollten Praktikanten erst aufnehmen, wenn eindeutige Beweise in Form von Auszügen aus der Prüfungsordnung und Studienordnung vorgelegt werden konnten. So wollte man verhindern, dass man eben den Mindestlohn bei freiwilligen Praktika zahlen musste. Man wollte unbedingt Pflichtpraktikanten haben.
Wenn ich mich so umhöre, stelle ich fest, dass sich die Zustände nicht verbessert haben. Ich höre immer wieder Klagen und Beschwerden, dass dieses Mindestlohngesetz eher verhindern würde, dass man erste Berufserfahrungen in Form von freiwilligen Praktika sammeln könnte. So hätte man es schwerer, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Wie ist euer persönlicher Eindruck? Hat das Mindestlohngesetz eurer Ansicht nach die Situation verbessert? Ist es eurer Ansicht nach leichter oder schwerer geworden, ein (freiwilliges) Praktikum zu bekommen? Hängt das möglicherweise auch von der Branche ab?
Ich empfinde es als Unsitte, dass Absolventen bitte Berufserfahrung in Form von Praktika vorweisen sollen und dafür bitte nichts verdienen sollen. Vor der Generation Praktikum war es jedem Arbeitgeber klar, dass ein Absolvent ein oder zwei Jahre Ausbildung im Betrieb benötigt und hat den dafür vernünftig bezahlt. Deshalb finde ich es gar nicht schlimm, dass diese Ausbeutung wieder ausstirbt.
Ich halte es auch für Ausbeutung, wenn man bei Praktika voraussetzt, dass die Leute entweder von Luft und Liebe leben/hungern, oder von ihren Eltern durchgefüttert werden oder neben dem Praktikum noch einen Job haben sollten, damit sie ihre Ausgaben bestreiten können. Aber halt - Praktikum und Nebenjob ist ja auch nicht gern gesehen, weil man ja schließlich im Praktikum volles Engagement zeigen soll. Je nach Level und Branche kann ja mindestens der Jobeinstieg davon abhängen.
Und auf der anderen Seite wird dann wieder über Fachkräftemangel gejammert, wenn gute und interessierte Leute abspringen und sich, wenn immer möglich, Branchen und Berufsfelder suchen, wo man nicht schon von Anfang an bis aufs Blut ausgenutzt wird. Mittlerweile können sich nämlich viele Leute zwischen unterschiedlichen Berufssparten entscheiden und müssen nicht mehr das nehmen, was die ganze Familie macht oder wo man gerade noch so eine freie Stelle findet.
Außerdem wäre es ja inhärent unfair, den Mindestlohn für Praktikanten abzuschaffen, weil diese ja auch essen und in die Arbeit fahren müssen, und ebenso, wenn der Mindestlohn generell gekippt wird und die Sklavenarbeit noch mehr als bisher wieder boomt.
Ich kenne auch noch die Zeit, wo man sich beim Praktikum voll reingehängt hat und sehr engagiert war, weil man auf eine Festanstellung hoffte, und dann nach Ende des doch recht langen Praktikums über mehrere Monate plötzlich an die Luft gesetzt wurde, damit ein neuer Praktikant weiter umsonst dort arbeitet. So haben viele Firmen es gnadenlos ausgenutzt und haben über Jahre hinweg sehr gut qualifizierte Leute umsonst für sich arbeiten lassen, wobei die auch noch sehr motiviert waren und sich reingehängt haben.
Die ganzen Erwartungen sollten mal lieber etwas heruntergeschraubt werden. Es kann nicht sein, dass die Betriebe inzwischen verlangen, dass man Abitur hat, ein abgeschlossenes Studium, am besten noch 20 Jahre Berufserfahrung, aber nicht älter als 25 Jahre alt ist. Und um Berufserfahrungen zu bekommen, muss eben erst mal gearbeitet werden. Irgendwer muss also die Berufseinsteiger auch beschäftigen.
Nur weil es sich um einen Berufseinsteiger handelt, also jemanden, der diesen Beruf schon erfolgreich gelernt hat, kann es nicht sein, dass derjenige umsonst arbeiten soll! Aber irgendwie ist das gesamte System marode, da muss mal richtig aufgeräumt werden. Im Gegensatz dazu kann es auch nicht sein, dass ein voll ausgebildeter Berufseinsteiger manchmal nix kann, etwa nur theoretisches Wissen hat, aber nicht fähig ist, es umzusetzen.
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