Immer sauber sein - falls der Arzt kommt

vom 10.11.2018, 15:37 Uhr

Das hat mir meine Oma originellerweise auch immer wieder eingeschärft. Socken und Unterwäsche müssen tadellos sein - "falls dir etwas passiert, Kind!" Ich habe dann immer die Augen gerollt, da ich als Kind selbstverständlich davon ausgegangen bin, dass mir nie etwas passiert und außerdem der Meinung war, dass es den Notarzt, der mich vom Bürgersteig kratzen müsste, a) nichts angeht und b) völlig egal ist, ob ich gerade gammlige Liebestöter anhabe oder ob meine Socke ein Loch hat.

Ich denke, dass es hier vielleicht auch darum ging, dass vor allem "frau" in der Öffentlichkeit immer einen ordentlichen Eindruck machen sollte, weil "was sollen die Leute denken!". Diese Einstellung hat sich erst später ins relative Gegenteil verkehrt, und die ältere Generation hat eben wie alle versucht, das weiterzugeben, was sie verinnerlicht hatte.

Und ich kann mir auch vorstellen, dass es in der Jugend meiner Oma noch keinen Rettungswagen gab, der angesaust gekommen ist und dich ins Krankenhaus verbracht hat, sondern dass eher der Hausarzt dich im heimischen Schlafzimmer versorgt hat, nachdem dich die Nachbarn aufgesammelt hatten. Da ist es natürlich interessanter, ob man einen ordentlichen Unterrock anhat als bei irgendwelchen anonymen Sanitätern.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Gerbera, die Steinzeit liegt näher als man denkt. Die Nummer 112 als einheitliche Rettungsnummer gibt es erst seit 1973, Davor musste man gefälligst die Nummer der örtlichen Feuerwehr kennen und natürlich auch noch ein Telefon auftreiben. Das hatte ja nun auch nicht jeder, und Telefonzellen standen auch nicht an jeder Ecke.

Und wenn dann der Krankenwagen angebraust kam, dann war das Ding sozusagen baugleich mit einem Leichenwagen. Da war kein Arzt dabei und beim Patienten mitfahren konnte sowieso niemand. Unser modernes Rettungssystem verdanken wir den Eltern von Björn Steiger. Der damals Achtjährige wurde auf dem Nachhauseweg angefahren und es dauerte über eine Stunde, bis der Rettungsdienst eintraf, obwohl Polizei und Feuerwehr mehrfach gerufen worden sind.

Björn Steiger verstarb auf der Fahrt ins Krankenhaus, weil einerseits zu viel Zeit vergangen ist, bis Hilfe da war. Andererseits konnte eben während der Fahrt weder versorgt noch reanimiert werden. Die Eltern gründeten daraufhin die Björn-Steiger-Stiftung und sorgten erst für einen funktionierenden Notruf und andererseits statteten sie über die Stiftung immer mehr Kommunen mit brauchbaren Rettungswagen aus. Selbst da war "sauber sein" noch wichtig, denn die meisten Aktionen fanden auf offener Straße statt.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Aha, danke für die Aufklärung! :top: Mir fehlt es hier an Fachwissen, weswegen ich nur munter spekuliert habe. Aber ich stelle mir, wenn ich an die Mahnung meiner Oma denke, eben ein Szenario aus ihrer Jugend vor. Auf dem Dorfe, jeder kennt jeden, und wenn man mit dem Fahrrad im Graben landet, ist es innerhalb von Minuten Dorfgespräch, weil sich sonst kaum etwas ereignet.

Und die Helfer sind auch nicht irgendwelche Rettungskräfte, die gerade Schicht haben, sondern die Nachbarin, die dann eine Woche später auf "Krankenbesuch kommt" und spitze Bemerkungen ablässt, dass sie sich ja nie mit abgerissener Spitze am Unterrock auf die Straße trauen würde. Das nennt man bekanntlich soziale Kontrolle, und die ist gerade auf dem Land heute noch immens stark.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



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