Vertragen Menschen aus reichen Ländern immer weniger Stress?

vom 05.09.2018, 05:54 Uhr

Ich las neulich ein Interview, in dem es hieß, dass die Menschen der reichen Industrieländer sich immer mehr gestresst fühlen würden und Stress auch immer schlechter verkraften würden. Da ich noch nie in einem Schwellenland oder in der dritten Welt gewesen bin, habe ich kaum richtige Vergleichsmöglichkeiten.

Meint ihr, dass an dieser These etwas dran ist? Meint ihr, dass die Menschen aus Industrieländern tatsächlich immer weniger Stress verkraften können oder habt ihr da eher andere Beobachtungen und Erfahrungen machen können? Wenn die These stimmt: woran liegt das?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Für mich ist diese Aussage viel zu pauschal. Es gibt genug Menschen in "reichen Ländern", deren Hauptstress darin besteht, dass die Putzfrau zu spät gekommen ist, und wenn man diese Leute fragt, ist ihr Leben natürlich stressig und anstrengend, weil sie keinen Vergleich haben. Umgekehrt weiß ich auch nicht, ob man es als "Stress" bezeichnen kann, wenn eine Bäuerin im ländlichen Nigeria wegen Dürre ihre Hirseernte verliert und von ihren sieben Kindern vier verhungern, bis die Hilfslieferungen der UN bei ihr im Dorf ankommen. So sieht die Lebenswirklichkeit für mehr Leute aus, als wir uns eingestehen wollen.

Meiner Meinung nach wird mit dieser Sorte Vergleiche vor allem Armut oder generell das Leben in einfacheren Verhältnissen als der europäischen Mittelschicht romantisiert. Viele Menschen hierzulande haben wohl immer noch die völlig realitätsferne Vorstellung, dass Stress und Hektik eins der größten Probleme der Menschheit sind, weil sie keine größeren Probleme kennen und sie stellen sich als Gegenentwurf eine ländliche Idylle vor, die es so auch nicht gibt.

Es stimmt schon, als Viehhirtin im Senegal sitzt dir kein Chef im Nacken und es ist auch völlig egal, ob du die Ziegen um halb fünf oder halb sechs Uhr morgens auf die Weide treibst. Aber dass diese Ziegen dein ganzer Lebensunterhalt sind, wird bei solchen Traumvorstellungen natürlich nicht berücksichtigt.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


Ich kann mir schon vorstellen, dass die These stimmt. Es gibt beruflichen Stress, aber auch Stress in der Freizeit. Die Menschen nehmen sich immer weniger Zeit für sich selbst und für Ruhezeiten. Wenn man sich hinlegt schaut man noch aufs Handy und wenn man morgens vom Handywecker geweckt wird, sieht man schon die 10 neuen Nachrichten. Unterbewusst bereitet sowas eben auch Stress.

Man muss/möchte den Leuten antworten und abends beim Einschlafen weiß man schon das über die Nacht Leute schreiben und hat das im Hinterkopf. Man „muss“ heute nicht nur seinen Alltag bewältigen, arbeiten, putzen, kochen sondern man muss sich auch darstellen. Man „muss“ ein Foto auf Instagram posten, man „muss“ ein schönes Profilbild haben, man „muss“ das neuste Produkt aus der Limitieren Edition haben, usw.

Dazu kommt diese mediale Dauerbeschallung. Überall laufen Fernseher und Musik. Man ist immer erreichbar schriftlich und telefonisch (für wichtige und unwichtige Dinge), man konsumiert Nachrichten/Eilnachrichten beim gang zwischen Supermarkt und Bankautomat. Die Welt ist „hektisch“ und man wird dauerbeschallt mit Geräuschen und Informationen.

Stress bereiten auch die Mitmenschen durch Meinungen, durch Status- und Prestigesymbole und als Folge eben auch durch Mobbing. Viele, vielleicht auch alle, wollen irgendwo dazu gehören und mithalten können. Was nicht heißt das alle das Gleiche wollen! Nicht jeder will das neuste und teuerste aber ich denke jeder hatte schon mal die Situation das er sich fragt wie jemand anderes wohl dies oder das findet. Jeder möchte auch alles gerne machen. Nach der Arbeit noch einen Freund treffen, aber auch noch die Lieblingsserie schauen und lecker Essen und und und…

Einfach mal ein Buch lesen und das Handy dabei aus machen ist für viele nicht denkbar. Oder in die Badewanne legen ohne dabei ein elektronisches Gerät mitzunehmen und irgendwas Mediales zu konsumieren. Ich finde unsere Probleme sind oftmals marginal. Und auch die Dinge, die wir erwarten oder die uns aufregen. Geduldig ist heute kaum noch jemand, dass Paket mit der neuen Hose muss morgen da sein und der Bekannte muss innerhalb von 5 Min. über Whatsapp antworten.

» Maysen » Beiträge: 475 » Talkpoints: 55,37 » Auszeichnung für 100 Beiträge



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