Ist der Begriff bildungsfern präzise oder eher lächerlich?

vom 08.03.2013, 18:29 Uhr

Ich höre immer öfter in den Medien, den Begriff der bildungsfernen Schichten. Früher hätte man sicher gesagt, Leute, die einfach nichts lernen wollen. Heutzutage findet man gerne Begriffe, die vielleicht diese bildungsfernen Schichten selber gar nicht verstehen, um jegliche Diskriminierung zu vermeiden.

Findet Ihr den Terminus bildungsfern adäquat oder ist er nur eine schleimige Umschreibung für Leute, die man privat ganz anders bezeichnet? Muss man den immer anwenden, um politisch korrekt zu sein oder gingen auch Alternativausdrücke?

» celles » Beiträge: 8677 » Talkpoints: 4,08 » Auszeichnung für 8000 Beiträge



Ich finde den Ausdruck "bildungsfern" vor allem amüsant. Man kann es nun mal weder schönreden noch wegerklären, dass Schulbildung und eine halbwegs qualifizierte Ausbildung bei manchen Menschen und ihren Familien auf dem Radar weit hinter anderen Werten wie - ja, was eigentlich? - aufscheint. Und auch wenn Schubladendenken nicht besonders nett, ist, braucht man wohl auch für das "Gegenteil von Akademiker" einen schön klingenden Begriff.

Bildungsferne muss natürlich nicht immer die Schuld des Einzelnen sein und nicht jeder kommt mit dem auch nicht wirklich supertollen deutschen Schulsystem auch zurecht. Eine Minderheit hat wohl auch schlicht keinen Bock auf Bildung und schaut lieber fern.

Ich selbst verwende den Ausdruck "bildungsfern" eher mit einem Augenzwinkern, und auch deswegen, weil mir keine Alternative einfällt, die keine Beleidigung darstellt. Sollen die Zeitungen lieber schreiben "strohdumm"? "Minimale Schulbildung und oft noch stolz darauf"?

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


Ich denke auch, dass es auch andere Bergriffe gebe, als bildungsfern. In Afghanistan waren die Mädchen auch lange in der bildungsfernen Situation und konnten nichts dafür. Sie waren auch nicht strohdumm. In unseren Breiten, wo theoretisch Schulpflicht herrscht und manche nicht einmal Lesen oder Schreiben können, könnte man vielleicht noch den Begriff bildungsresistent hinzufügen. Jeder weiß eigentlich, wie der Begriff interpretiert wird und somit wird er fast ironisch. Auch Bildungsferne sind oftmals Stolz auf ihren Zustand und ich bezeichne die privat immer als unschuldige Arbeitslose.

» celles » Beiträge: 8677 » Talkpoints: 4,08 » Auszeichnung für 8000 Beiträge



Wir haben erst heute im Deutsch-Unterricht über verschiedene rhetorische Mittel in politischen Reden gesprochen und dabei ist tatsächlich auch der Begriff „bildungsfern“ gefallen. Unser Lehrer meinte, dass es ein Euphemismus sei, also ein Wort, dass etwas beschönigt, was eigentlich gar nicht so schön ist. Ein anderes Beispiel für einen Euphemismus, der den meisten von uns im Alltag wahrscheinlich gar nicht mehr auffällt, ist der Begriff „Umweltverschmutzung“. Was eigentlich damit gemeint ist, ist ja „Umweltzerstörung“, denn das Wort „Verschmutzung“ erweckt bei uns den Eindruck, dass man es ja auch einfach den Schmutz der Umwelt weg putzen könnte, obwohl das, wie wir alle wissen, ganz und gar nicht der Fall ist.

Was man mit „bildungsfern“ letztendlich meint ist doch, um es mal nicht politisch korrekt auszudrücken, jemand dummes. Wobei „dumm“ jetzt vielleicht auch nicht der richtige Ausdruck ist, denn womöglich sind die so genannten „bildungsfernen“ Menschen ja durchaus kluge Köpfe, denen aber einfach die nötige Bildung fehlt. Ein Alternativbegriff, der trotzdem noch politisch korrekt ist, fällt mir jetzt spontan auch nicht ein. Aber ich finde zum Beispiel das Wort „ungebildet“ jetzt auch nicht unverschämt oder ähnliches. Es drückt eben nur noch etwas direkter aus, was man denn eigentlich sagen will. Und das ist an sich ja auch keine schlechte Sache, wenn man über etwas reden will, dann soll man die Sache doch einfach so nennen, wie es auch wirklich ist. Ich halte nichts sonderlich viel davon, wenn man etwas schönredet, dass eigentlich nicht so schön ist.

Daher benutze ich den Begriff „bildungsfern“ in meinem Alltag auch überhaupt nicht. Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern, dass ich den Begriff jemals benutzt habe. Wenn ich von den „Bildungsfernen“ rede, dann spreche ich meistens von „Ungebildeten“. Ich finde den Begriff wirklich nicht schlimm, es ist ja nicht beleidigend oder ähnliches.

» *sophie » Beiträge: 3506 » Talkpoints: 1,38 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Was ist Bildung? Ist damit "Information" gemeint, die man im Kopf hat und mit welcher man mit anderen zusammenarbeitet? Hier kann es bis zur Universitätsebene gehen. Ist jemand "dumm" wenn er nur einen Hauptschulabschluss hat? Wahrscheinlich kann er dann einfach nicht auf einer abstrakteren Eben mit anderen kommunizieren. Und jemand, der keinen Schulabschluss hat, hat nun mal keine "Informationen" im Kopf, bzw. kann nur auf der "untersten Ebene" agieren.

Dieses Verhalten wird innerhalb der Familie, des sozialen Umfeldes, in welchem derjenige lebt, "weitergegeben" und es besteht für die Person keine Notwendigkeit sich zu bilden, weil er sieht, dass er, so wie seine Eltern, Geld vom Staat bekommt. Er kommt an Essen, an etwas Kleidung und eine Wohnung. Viele dieser Kinder fühlen sich durch dieses Milieu "anders" als ihre "vorgebildeten" Mitschüler.

Insofern erscheint mir der Begriff "bildungsfern" schon richtig. Es ist einfach die Entfernung vom Habitus des "Lernens" der "Information" oder des Interesses an dem, was es in der Welt so alles gibt.

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» esprit*87 » Beiträge: 456 » Talkpoints: 1,38 » Auszeichnung für 100 Beiträge


"Bildungsfernes Elternhaus" und "bildungsnahes Elternhaus" waren schon vor 10 Jahren die Lieblingsbegriffe meines damaligen Deutschlehrers. Damit wollte er wohl ausdrücken, dass es vom Bildungsstand der Eltern abhängt, ob ein Schüler über eine gute Allgemeinbildung verfügt oder nicht. Wenn ein Schüler eine Frage nicht beantworten konnte und er dann sagte "Wenn man aus einem bildungsnahen Elternhaus kommt, dann weiß man das", dann war das natürlich irgendwo auch nicht weniger beleidigend, als wenn er ganz direkt gesagt hätte "Deine Eltern sind dumm".

Ich finde den Begriff schon ein wenig schleimig, aber von der Sorte gibt es noch weit mehr. Wenn nun ein Politiker eine Rede hält, kann er ja auch schlecht von den "Dummen" sprechen. Man könnte vielleicht "minimal Gebildete" sagen, aber "bildungsfern" trifft es da doch irgendwie besser.

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» Jessy_86 » Beiträge: 5456 » Talkpoints: 0,18 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Dieser Begriff „bildungsfern“ soll eine besser klingende Umschreibung der früher viel genannten Begriffe „untere Schicht, unteres Milieu und ungebildet“ sein. Der schlimmste Begriff von allen „asozial“ wurde eben auch abgelöst durch bildungsfern.

Vielleicht kommt der neue Begriff bei allen, die es betrifft, besser an. Doch diejenigen werden nicht einmal verstehen, was damit gesagt wird. Ändern wird man dadurch überhaupt nichts. Egal, was noch alles für tolle, gut gemeinte Wörter erfunden werden. Ich finde es überflüssig und albern.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge



Ich denke, dass dieses Wort nur ein bisschen netter ausgedrückt ist um die Wahrheit nicht ganz so hart zu präsentieren wie sie eigentlich ist. Schließlich kann man ja schlecht in der Öffentlichkeit sagen, dass die Leute, sie ja so "bildungsfern" sind, eigentlich dumm sind. Wenn man das machen würde, dann würde es wohl sehr viele Beschwerden bei den verschiedenen Sendern geben. Deshalb haben sich die Medien eben ein Wort ausgedacht, dass das eigentliche Wort "dumm" durch etwas nicht so "gemein" klingendes ersetzt wird.

» Hufeisen » Beiträge: 6056 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 6000 Beiträge


Ich verstehe unter dem Begriff Bildungsfene eine geringe formale Bildung. Nur weil jemand zu wenig formal gebildet ist, heißt das ja nicht, dass diese Person wirklich dumm ist. Es gibt auch andere Gründe, warum keine höheren Abschlüsse erreicht worden sind.

Ich kenne auch Frauen, die keine Ausbildung abgeschlossen haben in ihrem Leben, weil sie Migrantinnen sind und sich in erster Linie um ihre Kinder gekümmert haben, weil diese noch so jung waren. Da gibt es eben äußere Umstände, die diese Bildungsferne begünstigt haben, wenn ich diesen Begriff aber verwende meine ich das nicht im diskriminierenden Sinne.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge


Bildungsfern ist doch nur wieder ein Wort, um eine präzise Darstellung einer traurigen Situation zu beschönigen. Erst neulich habe ich in den Nachrichten gesehen, dass manche Leute in Deutschland das Lesen verlernt haben, weil sie einfach in ihrem Beruf nichts mehr lesen müssen. Das müssen ja ganz außergewöhnliche Berufe sein und ich frage mich auch, was diese funktionellen Analphabeten daran hindert, in der Freizeit etwas zu lesen. Anscheinend lesen diese Menschen nicht einmal etwas auf ihren omnipräsenten Smartphones, sondern gucken sich wohl laufend nur "lustige" Videos an. :pray:

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