Alte Menschen erziehen wollen?
Ich habe schon häufiger die Erfahrung gemacht, dass mich die Ansichten oder Äußerungen von einigen älteren Personen etwas schockierten. Während man bei Fremden durchaus weghören oder -gehen kann, ist es beim persönlichen Umfeld schwieriger. Doch wie geht man damit um?
Selbst bei meiner eigenen Großmutter gibt es immer wieder Ansichten, die ich nicht teile und Äußerungen, die ich so in der Form auch nicht hören möchte. Dabei meint sie es nicht einmal unbedingt böse, manchmal sind es Vorurteile, über Jahrzehnte festgefahrene Meinungen oder einfach Unwissenheit. Aber letztens in der Fußgängerzone war ich kurz davor auszuflippen. Dem einem Kind "müsste man mal den Arsch hauen", das nächste Kind ist hässlich (es war vermutlich sogar ein behindertes Kind), Paare passen nicht zueinander, Männer mit langen gehen gar nicht, Frauen mit bunten auch nicht (das ich selbst mal blau-grüne Haare hatte schien ihr kurzzeitig entfallen zu sein, oder sie verdrängt es) und obwohl ich seit einem Jahrzehnt Vegetarier bin, vergisst sie das immer wieder und wenn ich ihr dann abermals erkläre, dass ich kein Fleisch esse und Wurst auch dazu gehört, dann fragt sie mich doch glatt, ob ich bei den Nazis bin oder in einer Sekte (keine Ahnung, woher dieser Zusammenhang kommt).
Es geht also nicht mal darum, dass ich mich schäme oder so, aber so manche Äußerungen gehen mir doch sehr auf die Nerven. Aber ich kann doch niemanden der mehr als doppelt so alt ist wie ich erziehen wollen? In der aktuellen Neon-Ausgabe stieß ich dazu auch auf eine Aussage von Jan Delay:
Meine Oma sagt manchmal das Wort "Neger". Ich zucke dann zusammen. Aber du kannst einer 80-Jährigen nicht erklären, dass das nicht geht. Sie ist damit aufgewachsen.
Ein Wort, dass ich auch von meiner Oma schon mal hörte. Ich muss sagen, ich habe schon mal versucht ihr zu erklären, dass das so nicht heißt, ebenso wie manch andere Begriffe. Ich musste jedoch erkennen, dass so etwas wirklich nicht klappt. Doch was ist die Alternative? Und wie geht ihr mit kritischen Aussagen älterer Menschen um?
Ich verstehe sehr gut was du meinst, aber wenn das mit dem Reden miteinander wirklich funktionieren soll, gehört sehr sehr viel Fingerspitzengefühl von der jüngeren Person, sowie eine Portion Offenheit vom älteren Menschen dazu. Ein gutes, ungespanntes Verhältnis zueinander und der richtige Ton, der wie so oft die Musik macht, tragen den Rest bei.
In den von dir angesprochenen Situationen würde ich auch "vorsichtig dagegenreden", aber eben so wie oben schon erklärt, weil ansonsten ist alles was du bekommst gegenseitiges Unverständnis und eine Verhärtung der Meinungsfronten. Unter den von mir oben beschriebenen Umständen und Vorkehrungen wirst du hervorragende Ergebnisse erzielen - zumindest war das bei mir immer so.
Ein anderer Fall ist aber der - und auch das habe ich leider oft gesehen - dass ein älterer Mensch irgendwelche völlig harmlosen Meinungen oder Gewohnheiten hat, eben Dinge die er oder sie immer schon so gemacht hat. Da mag es dann zwar sicher beispielsweise Effizienteres geben oder etwas was mehr der Zeit und der Moderne entspricht, und dann kommt ein jüngerer Zeitgenosse, nimmt den Anderen sprichwörtlich oder sogar buchstäblich bei der Hand und fängt an ihm "die Welt wie sie heutzutage funktioniert" zu erklären. Sowas ist fürchterlich, unnötig, zeugt von mangelndem Verständnis und Einfühlungsvermögen und einer ungesunden Portion Präpotenz. Natürlich, anbieten kann man es, reden kann man - überfahren darf man niemanden!
Alte Menschen "erziehen" zu wollen ist völlig sinnlos. Ab einem gewissen Alter sind Menschen einfach nicht mehr so gut darin, sich veränderten Umgebungen und Gepflogenheiten anzupassen, und heutzutage ist es einfach so, dass unser Leben sich in rasantem Tempo ändert. Und zwar bei weitem nicht nur technisch, mit neuen Geräten und so, sondern eben auch kulturell. Viele gesellschaftliche Ansichten und Sprachgewohnheiten ändern sich wahnsinnig schnell, teilweise ist es sogar so, dass ich bei Leuten, die nur fünf bis zehn Jahre älter oder jünger sind als ich, das Gefühl habe, sie würden einer völlig anderen Generation angehören. Das macht das Gehirn eines älteren Menschen nicht auf Dauer mit.
Die "political correctness" ist ein klassisches Beispiel, also wie man bestimmte Menschengruppen bezeichnen soll, und was gerade als Beleidigung gilt. Dabei sind diese Unterscheidungen wohlgemerkt winzig, teilweise sogar reine Wortklauberei, so dass ich mir gut vorstellen kann, dass jemand ab einem gewissen Alter einfach nicht mehr durchsteigt.
Der sprachliche Umgang mit Behinderungen ist zum Beispiel so eine Sache. Früher hätte man die Betroffenen einfach als "Behinderte" bezeichnet - wohlgemerkt, ohne irgendeine bösartige Konnotation dahinter! Dann ging man irgendwann in den Achtzigern dazu über, statt von "Behinderten" von "Menschen mit Behinderung" zu sprechen, angeblich um den Menschen in den Vordergrund zu stellen und nicht seine Defizite. Leute als "Behinderte" zu bezeichnen galt ab sofort als ganz böse diskriminierend und abwertend. Inzwischen darf man als politisch korrekter Mensch aber nicht einmal mehr von "Menschen mit Behinderung" sprechen, sondern bestenfalls von "Menschen mit besonderem Förderbedarf" oder "Menschen, die im Alltag Einschränkungen erfahren". Und eventuell sind auch diese Begriffe bereits völlig veraltet und gelten als diskriminierend, warum auch immer. In dem Fall entschuldige ich mich ganz herzlich. Wer soll da auf dem Laufenden bleiben?
Das andere typische Beispiel sind unsere "Menschen mit Migrationshintergrund", falls dieser Begriff noch aktuell sein sollte, oder wie auch immer man diese Gruppe unserer Mitmenschen heutzutage auch bezeichnen mag. Früher konnte man diese Leute noch als "Ausländer" benennen, ohne dass sich irgendjemand (inklusive der betreffenden Personen) etwas Böses dabei dachte. Heutzutage gilt man de facto als Neonazi, wenn einem der Begriff versehentlich noch herausrutschen sollte. Mit dem Begriff "Neger" ist es ähnlich: früher war das eine allgemeine, nicht wertende Bezeichnung für sehr stark pigmentierte Mitmenschen, es leitet sich ja auch einfach vom lateinischen Wort "niger" (schwarz) ab, war also ursprünglich keine Beleidigung. Inzwischen darf man es aber natürlich nicht mehr verwenden.
Also wie sollen Omi und Opi da auf dem Laufenden bleiben, wenn die "Sprachmode" sich alle paar Jahre grundlegend ändert? Ich würde davon ausgehen, dass das völlig unmöglich sein dürfte. Mal abgesehen davon, dass ich die ganze politisch korrekte Sprache in ihrer Gesamtheit inzwischen für ziemlich lächerlich halte. So lange bestimmte Menschengruppen negativ angesehen werden, wird früher oder später jeder beliebige Begriff für diese Menschen als Beleidigung angesehen werden. Es müsste sich die Grundhaltung der Leute ändern und nicht bloß die Sprache.
Da sollte man aber eher bei den jungen Leuten ansetzen als bei den alten. Ab einem bestimmten Alter sind Ansichten und Weltanschauungen nun einmal unerschütterlich festgesetzt. Dass dann die Weltanschauung eines Rentners eben ganz erheblich von den Ansichten einer jüngeren Person abweicht, damit muss man eben leben. Man kann ja versuchen, den älteren Leuten schonend beizubringen, dass man bestimmte Wörter heutzutage einfach nicht mehr sagt, allerdings sind die Erfolgsaussichten ziemlich klein, und man sollte auch nicht allzu schockiert sein, wenn es nicht klappt, und dann eben doch mal ein unpassender Begriff herausrutscht. Dafür können alte Leute nichts.
Man kann doch, ohne alte Leute erziehen zu wollen, seine Einstellung zu einem Thema deutlich machen. Wenn man es in der richtigen Art und Weise sagt und es nicht rechthaberisch erscheint, gibt es doch keinen Grund, es nicht zu tun. Alte Leute kann man nicht belehren, weil diese eine viel größere Lebenserfahrung haben und ihr Lehrgeld wahrscheinlich schon oft bezahlt haben. Trotzdem kann man doch seine Sicht der Dinge erläutern, aber auch zuhören, wenn die Alten ihre Sicht darlegen. Ich halte das nicht für eine Belehrung, sondern für einen fruchtbaren Austausch. Auch alte Leute ändern manchmal ihre Meinung. Wenn der eigene Enkel plötzlich zum Punk wird, sehen Omas und Opas diese Leute auch plötzlich mit anderen Augen.
Deine Großmutter wirst du nicht erziehen können, das kann man sich sparen. Aber Menschen in dem Alter, die nicht mehr im Berufsleben stehen oder jemals waren, haben die ganze schnelle Aufeinanderfolge von Änderungen, wie sie heute üblich sind, nicht in dem Maße mitbekommen wie du. Es ist kein böser Wille, wenn sie anders reagieren, weil sie es eben nicht anders kennengelernt haben.
Vielleicht lässt es sich ab und zu machen, dass du mit Erklärungen in einer Situation, die deine Oma mit für dich unverständlichen Worten kommentiert, ihr zuvor kommst und ihr sagst, was wie und warum so ist. Vielleicht akzeptiert sie das, wenn du es ihr vorsichtig und einfühlsam erklärst. Es ist ja nicht so, dass sie mit Absicht Dinge sagt, die nicht gesagt werden sollten. Wenn du langsam und mit viel Geduld vorgehst, wird sie sich etwas zurückhalten.
Alte Menschen noch mal komplett erziehen zu wollen macht keinen Sinn. Man muss sich eben vor Augen führen, dass alte Menschen oft sehr festgefahren sind in ihrer Meinung, auch schon viel erlebt haben und teilweise auch wirklich Gehirnwäsche mit politischen Systemen mitgemacht haben.
Ein Beispiel aus meiner Verwandtschaft, ist meine Oma. Ihr wurde als Kind von allen möglichen Leuten erzählt, dass es sich nicht gehört in der Öffentlichkeit und auch sonst schwul zu sein und das zu zeigen. Irgendwann meinte sie dann mal, dass man als Schwuler nicht so auf der Straße küssen sollte, obwohl sie nichts gegen Schwule hat. Ich habe dann mit ihr darüber geredet, dass es heute schon machbar ist und dann habe ich eben gefragt, wie das früher so war. Sie hat nach dem Gespräch sogar zugegeben, dass das sicherlich an den damaligen Einstellungen lag, bei dem was sie gesagt hat und sie ja auch nichts gegen Schwule hat.
Man kann durchaus mit alten Menschen reden, aber man muss es auf einer guten Ebene miteinander machen. Meiner Oma kann ich so etwas sagen, sie ist ein offener Mensch und ihr kann ich auch mal meine Meinung sagen, aber so ist eben nicht jeder und deswegen muss man immer Respekt haben und auch verstehen, dass alte Menschen nicht immer etwas annehmen.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich finde, dass man ältere Menschen genauso kritisieren kann und darf, wie junge Menschen. Sicherlich muss man manchmal etwas rücksichtsvoller gegenüber älteren Menschen sein, wobei man auf keinen Fall alles einfach so hin nehmen muss. Stattdessen kann man ältere Menschen auf jeden Fall auch kritisieren, wenn es gute Gründe dafür gibt. Nur weil jemand älter ist, muss das nicht automatisch heißen, dass diese Person deshalb immer Recht hat und alles sagen kann, was sie möchte, ohne dass man etwas dagegen sagen kann. Stattdessen kann man da ruhig auch seine Meinung sagen und ich finde, dass man da nicht aufs Alter achten sollte. Wenn Kritik berechtigt ist, dann sollte man sie auch äußern, egal wie alt nun jemand ist.
Oftmals sind ältere Menschen ja auch der felsenfesten Überzeugung, sie hätten wesentlich mehr Lebenserfahrung, als jüngere Menschen, nur weil sie eben älter seien. Jedoch finde ich das albern und ich finde, dass man Lebenserfahrung nicht am Alter festmachen kann. Stattdessen bin ich sogar der Meinung, dass sehr viele junge Menschen wesentlich mehr Lebenserfahrung aufweisen können, als so manche Rentner. Immerhin ist es doch heutzutage normal, dass man viel reist, viel unternimmt und sich die Welt anschaut, wenn man jung ist. Früher hingegen war man doch die meiste Zeit zu Hause. Von daher finde ich durchaus, dass auch jüngere Menschen sehr viel Lebenserfahrung haben können und dann spricht natürlich nichts dagegen, diese auch anzuwenden.
Nur weil jemand alt ist, kann er sich deshalb noch lange nicht alles erlauben und das Alter ist doch keine Ausrede, um sich daneben benehmen zu können. Außerdem haben junge Menschen doch meistens sogar mehr Lebenserfahrung, weshalb es ihnen doch auch zusteht, ältere Menschen auch zu kritisieren und das sollten sie auch tun, wenn es angebracht ist. Immerhin muss man sich von älteren Menschen nicht alles gefallen lassen und wenn man merkt, dass diese völlig falsche oder merkwürdige Ansichten haben, dann sollte man auch was sagen.
Ich denke, dass man nicht unbedingt auf einen Erfolg hoffen muss, wenn man ältere Menschen kritisiert und versucht, sie zu erziehen. Immerhin haben sie ihre Ansichten ja auch entsprechend lange, so dass es schwer sein wird, sie zu ändern. Trotzdem sollte man dann nicht einfach den Mund halten, wenn sie etwas sagen, was völlig daneben ist. Und wenn dann noch solche Sprüche kommen, wie dass man einem Kind eine Ohrfeige geben sollte, dann würde ich wohl auch laut werden. Solche Sprüche hat sich ein älterer Mensch nicht zu erlauben und ich würde da auch laut werden um die Person aufzuklären, dass das auch schon unter Körperverletzung fällt und völlig unangemessen ist.
Radikal erziehen kann man einen alten Menschen nur schlecht, da bestimmte Verfahrensmuster seit Jahrzehnten fest verankert sind und es daher häufig an Offenheit mangelt. Natürlich muss man auch einen älteren Menschen kritisieren können, man muss nur sehr behutsam vorgehen.
Wenn nochmal eine von dir beschriebene Situation auftaucht, dann nimm deine Oma beiseite und erkläre ihr in aller Ruhe den Zusammenhang, z.B. warum du Vegetarier bist, oder warum es ihr egal sein kann, wer seine Haare wie trägt. Vielleicht ist sie verständnisvoller als du denkst.
Man kann einen alten Menschen gar nicht erziehen und für mich ist es schon ein gravierender Unterschied, ob man eine Person regelrecht "erziehen" möchte oder ob man nur seine Meinung kund tut zu bestimmten Themen wie von mir aus Rassismus oder Homosexualität. Ich finde es völlig in Ordnung, wenn man seine Meinung sagt und andere Menschen mehr oder weniger dazu zwingt, sich auch mit völlig fremden Standpunkten und Meinungen auseinanderzusetzen. Das hat aber nach meinem Verständnis so gar nichts mit Erziehung zu tun. Erziehung wird bei Erwachsenen so gar nicht klappen, besonders nicht, wenn sie schon älter sind und damit unflexibler werden.
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