Ehepaar will sich wegen des Ansehens nicht scheiden lassen

vom 09.03.2015, 12:00 Uhr

Eine ganze Zeit lang haben wir in einem Dorf nahe Sachsen-Anhalt gelebt und dort war alles etwas strenger. Die Damen und Herren kannten sich alle untereinander und waren auf ihr Ansehen bedacht. Im Grunde kannte jeder jeden und wusste alles über jeden. Das stank mir schon als Kind, weil wenn man etwas böses getan hat, wurde direkt mit dem Finger auf einen gezeigt, was irgendwie so ekelhaft war. Denn jeder Mensch, vor allem Kinder, macht Fehler und das wollte dort wohl niemand akzeptieren.

Es gab in diesem Örtchen ein Ehepaar, welches viele Probleme hatte. Sie haben sich immer zu gestritten, manchmal kamen Handgreiflichkeiten dazu und auch im Allgemeinen passte es augenscheinlich nicht mehr. Beide Parteien sind anderswo heimlich fremdgegangen und trieben es ganz schön bunt. Damals hab ich es als Kind jedoch nicht verstanden, als meine Eltern meinten, dass die beiden sich herumtreiben würden. Heute weiß ich, was gemeint war.

Statt sich zu trennen, sehen beide keinen Sinn darin, weil sie in ihrem Dörfchen das Ansehen verlieren würden. Beide sind gut situiert, was die finanzielle Lage anbelangt und in dem Dorf leben viele Katholiken, strenge Katholiken, für die eine Scheidung grausame Sünde wäre. Deswegen lässt sich das Paar nicht scheiden, sondern haut sich fast täglich die Köpfe ein.

Ich tue mich immer schwer, wenn Glauben und Ansehen eine Rolle bei meinem eigenen Glück spielen sollen. Deswegen bin ich meist etwas irritiert, dass Menschen dies über ihr eigenes Glück, Leben und Wohlbefinden stellen.

Nun frage ich mich wirklich, ob das Ansehen wirklich eine Begründung ist, dass man sich nicht scheiden lässt? Kann dies wirklich so intensiv auf das eigene Verhalten Einfluss haben, dass man lieber unglücklich ist? Vor allem ist der katholische Glauben des Dorfes wirklich so heftig dafür verantwortlich, dass man sich selber schon nur für den Gedanken an einer Scheidung als Sünder bezeichnet?

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



In meinem Umfeld gibt es das öfters. Dort würde die Karriere bei einem katholischen Arbeitgeber deutlich leiden. Also bleiben einige Paare notgedrungen zusammen. Da gibt es dann so "lustige" Konstellationen, in denen der Ehemann mit der neuen Partnerin im Erdgeschoss des Hauses wohnt und unter dem Dach die Gattin mit oder ohne Partner.

Oder die Ehefrau hat das Erdgeschoss behalten, weil sie den Garten pflegt und so mehr Platz für die gemeinsamen Kinder da ist und der Mann lebt oben. So selten ist so ein Verhalten also ganz bestimmt nicht. Denn wenn der Wusch nach einer völligen Trennung so riesig wäre, dann würden er oder sie sich eben einen anderen Job suchen. Als Arzt ist man in der heutigen Zeit sicherlich nicht mehr an einen kirchlichen Träger gebunden.

In der ehemaligen Siedlung meiner Eltern dagegen blieb man durchaus wegen der Nachbarn zusammen. Da wurde dann gestritten bis zum geht nicht mehr, beide Partner sahen immer aus. als hätten sie in eine Zitrone gebissen. Aber an eine Trennung war nicht zu denken.

Und dann gibt es in meinem Umfeld auch noch die Ehen, die klassische Versorgerehen bestand haben. Man geht normal miteinander um und seine Bedürfnisse nach Nähe und Partnerschaft regelt einer oder beide Beteiligten diskret.Keines dieser Lebensmodelle könnte ich mir vorstellen.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Das hat nicht nur was mit dem katholischen Glauben zu tun. Ich kenne viele Paare, die auf dem Land leben und auf Biegen und Brechen nach Außen hin den Schein wahren. Das habe ich in der eigenen Verwandtschaft schon mehrmals. Auch als ich damals die ersten Andeutungen bei meiner ehemaligen Schwiegermutter gemacht habe, dass die Ehe mit ihrem Sohn wohl keinen Sinn mehr macht, habe ich ähnliche Antworten bekommen.

Das macht man nicht und so weiter und so fort. Dass man sich dabei in diesem Ort schon über sie lustig gemacht hat, weil es bekannt war, wie die Ehe meiner Schwiegereltern war und sie nach dem Tod ihres Mannes um so offensichtlicher etwas darstellen wollte, als gewesen ist, weiß sie bis heute nicht.

Sicherlich war es bei der Generation meiner Großeltern noch so, dass es eine Schande war, wenn man den Mann verlassen hat oder von ihm verlassen wurde. Aber das hatte eben damals auch noch finanzielle Gründe, weil man oft genug von ihm abhängig war. Aber spätestens bei der Generation meiner Eltern ist das nicht mehr so gewesen. Die Frauen wurden eigenständiger, gingen arbeiten und verdienten ihr eigenes Geld.

Dazu wurden auch die Gesetze entsprechend geändert, dass bei einer Scheidung keine Schulfrage mehr zu klären war. Was es auch wesentlich einfacher machte eine Ehe aufzulösen. Immerhin gab es da mal Gesetze, die grundsätzlich der Ehefrau die Schuld zusprachen und damit der Mann alle Rechte hatte ihr auch die Kinder zu nehmen. Unter den Aspekten kann man schon verstehen, wenn man sich als Frau dann nicht trennt.

Aber leider gibt es eben auch heute noch genug Leute, die lieber ihr vermeintlich tolles Ansehen in der Gemeinschaft pflegen. Und das obwohl dort eigentlich auch jeder weiß, was wirklich hinter der Fassade passiert. Nur das sehen die Betroffenen dann auch eben auch nicht oder wollen es nicht sehen.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Gerade in kleinen Orten und Dörfern, wo jeder jeden kennt, ist das so ein Problem, dass man den Schein wahren möchte und darum bleibt dieses Ehepaar wohl zusammen und tut nach außen so, als ob alles in Ordnung wäre. Das Problem dabei ist, dass so sicher auch alle anderen mitbekommen, dass eben nicht alles in Ordnung ist und dass die beiden miteinander nicht wirklich klarkommen. Aber allem Anschein nach ist das dem Ehepaar noch lieber als das Gerede und die Probleme nach einer Scheidung.

Ich finde es traurig, wenn man sich so von außen bestimmen lässt, aber wenn man in dem Dorf bleiben möchte kann ich mir vorstellen, dass es nach einer Scheidung richtig schwer für die beiden werden würde. Aber trotzdem sollte man doch an das eigene Leben und das eigene Glück denken, das im Vordergrund stehen sollte und nicht das, was andere über einen denken.

» Barbara Ann » Beiträge: 28945 » Talkpoints: 58,57 » Auszeichnung für 28000 Beiträge



Ich persönlich finde es auch sehr traurig, dass man sich aufgrund eines Ansehens, welches ich jederzeit anders erlangen kann, nicht scheiden lassen möchte. Vor allem, dass der Druck von außen so hoch ist, dass man wirklich die Angst davor hat, alles verlieren zu können. Für mich ist das wirklich nicht machbar, denn ich ziehe mein persönliches Glück in allen Lebenslagen vor.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge


Für mich persönlich käme das nie in Frage, mit jemandem zusammen zu bleiben und sich nicht zu trennen, weil man Angst davor hat, was andere Menschen denken könnten. Wenn ich mich wirklich trennen wollte, würde ich das durchziehen egal was Nachbarn, Freunde, Familie oder sogar Arbeitgeber denken.

Dann wird eben der Arbeitgeber gewechselt und wer aus dem privaten Umfeld meine Beweggründe nicht nachvollziehen oder akzeptieren kann, wird eben knallhart ausselektiert und das Thema ist erledigt. Denkt aber eben nicht jeder so und ich habe Menschen nie wirklich verstanden, die so viel wert darauf legen, was andere von ihnen denken könnten und ich glaube das werde ich auch nie verstehen können. Dafür bin ich viel zu anders gestrickt.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge


Ich kenne das persönlich nicht und ich komme auch vom Land, aber hier kann jeder machen, was er will. Es wurde zwar auch in der Jugendgemeinde, in der ich früher war, manchmal negativ über Leute geredet, die geschieden sind, aber das war nur abstrakt und ich habe nie mitbekommen, dass jemand, der wirklich geschieden war, in irgendeiner Form ausgegrenzt wurde. Es wurde in der Jugendgemeinde auch negativ über Alkohol geredet und trotzdem hatten wir ab und zu mal einen sitzen.

Hier lebt sogar ein schwules Paar und betreibt eine Gaststätte. Und ich kenne einen anderen Homosexuellen, der mit seinem Partner in einer kleinen katholischen Gemeinde wohnt und die sind fest eingebunden in das Dorfgeschehen, da gibt es keine Probleme. Daher könnte ich jetzt nicht behaupten, dass eine religiöse Prägung einer Gemeinde nun zwangsläufig mit Intoleranz einhergeht.

Vielleicht denken das manche nur, dass es ganz schlecht ankommen würde, wenn sie sich beispielsweise scheiden lassen und sie fürchten sich vor eventuellen Reaktionen, aber wenn sie es dennoch tun würden, würde das in der Realität vielleicht gar nicht die gefürchteten Konsequenzen haben.

Ansonsten, wenn sich jemand nun nicht trennen will, obwohl die Beziehung nicht mehr passt, dann muss das ja nicht immer schlecht sein. Die Ehe ist ja leider auch mit gewissen Regelungen verbunden und wenn man sich scheiden lässt und einer aus dem gemeinsamen Haus auszieht, dann muss der andere, der das Haus behält, denjenigen ausbezahlen oder man muss Unterhalt bezahlen und all solche Sachen. Gut möglich, dass man dann auf die Trennung verzichtet, weil man sich das nicht leisten kann und wenn man sich gut versteht, nur halt nichts Partnerschaftliches mehr läuft, dann finde ich das gar nicht so schlimm, wenn dann eben jeder wen anderes hat, aber man lebt noch wie in einer WG zusammen.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Ich kannte auch ein Paar, bei denen es so war, dass sie unterschiedliche Etagen im Haus bewohnten. Da weiß man nun nicht, ob sie eigentlich noch zusammen waren oder nicht. Ich denke aber, dass es vielleicht auch einfach bequemer so war.

Ich finde es schon schlimm, wenn man sich nicht trennen oder scheiden lassen will, weil einem so wichtig ist, was andere von einem denken. Ich kann mir das nicht so recht vorstellen und würde dann doch lieber Gerede in Kauf nehmen, als immer unglücklich in der Beziehung zu sein und vielleicht sogar häusliche Gewalt zu ertragen, aber es war wohl von Handgreiflichkeiten die Rede. Man könnte ja auch umziehen und dann sollen sich doch die anderen Menschen das Maul zerreißen.

Aber wenn es so eine strenggläubige Gemeinde ist, ist es vielleicht auch schwer und man sieht es als Sünde. Das mag auch ein bisschen eine Erziehungssache sein. Aber heute ist es doch keine Schande mehr, wenn man sich eben trennt.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge


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