Was haltet ihr von der "10.000-Stunden-Regel"?

vom 15.07.2018, 20:24 Uhr

Im Jahr 1993 hat ein Forscherteam aus Psychologen eine Studie an Studenten an der Musikhochschule in Berlin durchgeführt, die Geige lernen wollten. Die Untersuchungen zeigten, dass die Kandidaten, die im Schnitt 10.000 Stunden geübt hatten, am erfolgreichsten waren. Seit dem gibt es diese Regel, mit der man ungefähr sagen kann, wie lange man eine neue Fähigkeit üben muss, um sie zu beherrschen.

Kennt ihr diese Regel? Was haltet ihr davon, ist sie euer Empfinden nach realistisch? Denkt ihr, diese kann auf alle Fertigkeiten angewandt werden? Was sind eure Erfahrungen, was könnt ihr richtig gut und wie lange musstet ihr schätzungsweise dafür üben?

» Viktoria_ » Beiträge: 398 » Talkpoints: 32,44 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich halte von solchen Prognosen nicht wirklich viel. Ich denke dabei immer an das Studium und dass da auch ein gewisser Workload angegeben worden ist und wenn man dann X Stunden für den Stoff aufgewendet hat, dann hat man die Bestnote erhalten. Sogar da haben sich diese Schätzwerte als Unsinn heraus gestellt, denn jeder Mensch hat ein anderes Tempo, eine andere Auffassungsgabe. Das kann man nicht pauschalisieren.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge


Erstmal müsste man überlegen, was "beherrschen" ist. Ich habe im Leben noch keine 10.000 Stunden mit Nähen verbracht, aber ich "beherrsche" es insofern, dass ich dafür sorgen kann, dass Sachen sinnvoll zusammenhalten und in Ordnung aussehen. Genauso habe ich nicht annähernd so viel Zeit mit Reiten verbracht, kann mich aber in Schritt, Trab und Galopp oben halten und das Tier unter Kontrolle halten. Eine S-Dressur würde ich dagegen im Leben nicht hinbekommen.

Dann ist die Frage, was für eine Fähigkeit und was für eine Person. Ich wage nämlich zu behaupten, dass manche Sachen leichter zu beherrschen sind als andere, und dann haben natürlich verschiedene Menschen es leichter, bestimmte Sachen zu erlernen, als andere. Arabisch kommt mir tendenziell schwieriger vor als Brustschwimmen, während ich persönlich im Programmieren schneller Fortschritte mache, als ich das damals in der Schule im Chemieunterricht getan habe.

Und es ist die Frage, wie man denn übt und wer einem das beibringt. Mit einem miserablen Lehrer wird man länger brauchen als mit einem guten, und auch da kommt es wieder auf die Person an, denn nicht jeder Lehrer passt zu jeder Person.

Insgesamt mögen die 10.000 Stunden also vielleicht ein durchschnittlicher Richtwert sein, der auf einiges passt, aber mit viel zu viel Spielraum, als dass man ihn sinnvoll anwenden könnte.

» Kalu-chan » Beiträge: 718 » Talkpoints: 11,85 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Ich habe von dieser Faustregel auch schon gehört, dass man davon ausgehen kann, als Könnerin zu gelten, wenn man 10 000 Stunden dafür aufgewendet hat, etwas zu üben. Anscheinend egal, was. Ich bin hier aus den bereits erwähnten Gründen auch skeptisch.

Beispielsweise bin ich mir sicher, dass ich auch nach 10 000 Stunden des Übens nicht halb so gut Geige spielen könnte wie einer der erwähnten Studierenden, weil ich nämlich stock-unmusikalisch bin. Die Tatsache, dass es auch auf individuelles Talent und körperliche und geistige Voraussetzungen ankommt, wird hier offensichtlich vernachlässigt, weil man pauschal von einer überdurchschnittlichen Begabung ausgeht. Ohne Talent und Interesse würde wohl kaum jemand Musik studieren.

Ich finde auch, dass es darauf ankommt, wie komplex und schwierig die zu erlernende Fähigkeit ist und ob es überhaupt ein Meisterschafts-Level gibt. Wenn ich 10000 Stunden lang rechte Maschen stricken üben würde (das sind grob geschätzt fünf Jahre lang jeden(!) Tag zwei Stunden), hätte ich das oberste Stricklevel vielleicht schon nach 1000 Stunden erreicht, weil einfach nicht mehr geht.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



So einfach ist das mit der Regel aber nicht. Erstens kommt es auf das gewählte Fachgebiet, das Alter und das Talent an. Zweitens macht es nicht irgendwann Klick und man ist Experte. Man verbessert sich schrittweise und auch später noch weiter. Zudem verliert man seine Fähigkeiten, wenn man nicht mehr weiter übt. Und es reicht nicht, eine Tätigkeit nur auszuüben, es muss bewusste Übungszeit sein.

Zudem kommt es ja auch darauf an, was man lernen möchte. Nehmen wir Reiten und einen jungen, durchschnittlich talentierten Schüler. Nach einem Jahr mit regelmäßigem Unterricht sitzt der recht sicher und beherrscht sein Pferd in den Grundgangarten meist sicher.

Um mehr zu lernen und das Pferd optimal unterstützen zu können, muss der sogenannte unabhängige Sitz erreicht werden. Und da kommt schon der große Haken: Im Schnitt dauert es fünf Jahre, dieses Ziel zu erreichen. Aber viele Menschen erreichen ihn nie! Selbst viele international erfolgreiche Dressurreiter sitzen eben nicht unabhängig. Jeder hat andere Grenzen und nicht jeder kann alles in möglichst perfekter Form lernen.

In China drillt man talentierte Kinder von klein auf. Und die meisten werden sehr gut. Aber zwischen sehr gut und Weltspitze liegen eben Welten. Absolute Spitzenleistungen bringen trotz unendlicher Übung nur die wenigsten. Das ist auch logisch. Ich könnte 30.000 Stunden bewusst trainieren und würde nie Weltmeister im Sprint. Ich würde sicher schneller und würde meine persönliche Bestleistung herausholen, aber andere Frauen wären immer noch schneller.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


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