Gebühr für Notaufnahme sinnvoll und praktisch?

vom 27.06.2018, 06:20 Uhr

Laut Medienberichten wird von der kassenärztlichen Vereinigung eine Gebühr von Menschen gefordert, die die Notaufnahme aufsuchen. So wolle man vermeiden, dass man auch in weniger dringenden Fällen zur Notaufnahme geht und damit das Personal und die Versorgungsqualität belastet.

Ich sehe das ehrlich gesagt kritisch, denn dort besteht dann ja die Gefahr, dass arme Menschen sich nicht trauen in die Notaufnahme zu gehen auch wenn es ein Notfall wäre. Das Geld bekäme dann zwar im echten Notfall erstattet, aber welcher arme Mensch, der nicht mal Geld zum Sparen zur Seite legen kann, kann so eine Gebühr denn vorstrecken? Das wird schwierig. Was haltet ihr von so einer geforderten Gebühr? Meint ihr, dass sich das durchsetzen wird?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Angedacht wurde die Gebühr beim Besuch der Notaufnahme, weil offensichtlich häufig Menschen in die Notaufnahme gehen, die keine Notfälle sind. Dadurch kommt es zu Verzögerungen bei der Behandlung und das Personal im Notdienst gerät unter Druck. Die Frage ist: Würde eine erhobene Gebühr das verhindern? Ich glaube nicht!

Allein das Kassieren der Gebühr würde schon mal einen Mehraufwand an Zeit und/oder Personal bedeuten. Was wäre außerdem, wenn jemand kein Geld oder anderes Zahlungsmittel dabei hätte? Schickt man den gleich wieder heim? Wer übernimmt da die Verantwortung? Das könnte nur ein Arzt und der bewegt sich da ganz schnell auf dünnem Eis. Also wird mit dem Patienten wohl eine Zeit lang diskutiert werden, was wieder Zeit kostet, dann wird er entweder ohne Gebühr untersucht (wenn sich das rumspricht, und das wird es ohne Zweifel, nimmt jemand, der bewusst aus nichtigen Gründen die Notaufnahme aufsucht -solche Menschen gibt es tatsächlich- kein Geld mit). Oder ein Patient lässt sich einschüchtern und geht. Da kann dann aber jeder nur hoffen, dass er tatsächlich kein Notfall war! In Großstädten kann er aber auch zur nächsten Notaufnahme gehen.

Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, dass man an einem Automaten ein Ticket lösen müsste und sich nur mit diesem die Tür zur Notaufnahme öffnen lässt. Absurd! Sicher gibt es Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, bewusst wegen der kleinsten Wehwehchen (oder auch aus Einsamkeit!) den Notdienst in Anspruch nehmen. Die zahlen dann aber meiner Meinung nach lieber die Gebühr als umzudenken.

Der Ursprung des Problems sind doch in den meisten Fällen die z.T. irrsinnig langen Wartezeiten auf einen Termin beim niedergelassenen Arzt, besonders für Kassenpatienten seit der Einführung des jetzigen Abrechnungssystems für ärztliche Leistungen! Wenn jemand mit starken Arthroseschmerzen erst in drei Monaten einen Termin beim niedergelassenen Orthopäden bekommt, kann ich durchaus nachvollziehen, dass er nach 14 Tagen versucht in einer Notaufnahme Linderung zu bekommen, obwohl er das klassische Beispiel für einen Nicht-Notfall ist, da die Beschwerden nicht akut und nicht lebensbedrohlich sind.

Außerdem fände ich eine solche Gebühr diskriminierend. Wenn ein Mensch Beschwerden hat, die ihm Angst machen oder für ihn unerträglich schmerzhaft sind, muss er das Recht haben um Hilfe nachzusuchen ohne Nachteile dadurch befürchten zu müssen! Und wenn es sich dann letztendlich doch nur um versetzte Blähungen, die man zuhause mit Fencheltee hätte auskurieren können, und nicht um einen Blinddarmdurchbruch gehandelt hat – um so besser. Es kann doch nicht angehen, dass jeder, der eine Notaufnahme aufsucht, erst mal als Simulant oder Weichei eingestuft wird bis das Gegenteil bewiesen ist. Das dürfte außerdem oft nicht ganz einfach sein, denn wie soll ein Arzt beurteilen, ob z.B. der empfundene Schmerz für den Patienten aushaltbar oder eben doch ein Notfall war.

Ach ja, nach jeder Untersuchung oder Behandlung eines Patienten könnte sich der behandelnde Arzt nicht umgehend dem nächsten Patienten widmen, sondern müsste noch ein, in einigen Fällen subjektives, Urteil fällen, ob das nun ein Notfall war oder gebührenpflichtig. Kostet auch ein bisschen Zeit. Sollte es zumindest. Übrigens hatten wir mal eine Praxisgebühr, die relativ schnell wieder abgeschafft wurde, da sie niemandem etwas brachte.

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» Vega » Beiträge: 207 » Talkpoints: 137,19 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Vega hat geschrieben:Wenn jemand mit starken Arthroseschmerzen erst in drei Monaten einen Termin beim niedergelassenen Orthopäden bekommt, kann ich durchaus nachvollziehen, dass er nach 14 Tagen versucht in einer Notaufnahme Linderung zu bekommen, obwohl er das klassische Beispiel für einen Nicht-Notfall ist, da die Beschwerden nicht akut und nicht lebensbedrohlich sind.

Wenn es denn mal so wäre. Was glaubst du wie viele Leute ich sehe, die mir erzählen, dass sie schon beim Orthopäden waren, er ihnen aber nicht so richtig geholfen hat und sie eine Zweitmeinung wollen. Termine beim Orthopäden gibt es doch teilweise in weniger als 1 Monat. Und wenn ich mir jetzt überlege, dass es nicht mal eine Hand voll echte orthopädische Notfälle gibt, wieso sollen solche Patienten in die Notaufnahme?

Nichts desto trotz, halte ich nicht so richtig was von der Notfallgebühr. Wieso muss man ein System diskutieren, dass doch schon längst versagt hat? Vor ein paar Jahren gab es doch die Praxisgebühr und die musste in der Notaufnahme genauso gezahlt werden. 10 Euro pro Quartal hieß es da. Und wer die einmal gezahlt hatte, der hat die Gebühr mit unzähligen Besuchen wieder abgelaufen, bis zum Quartalsende. Und weniger Patienten sind es damals auch nicht geworden. Die Gebühr hat damals niemanden davon abgehalten in eine Notaufnahme zu gehen.

Natürlich kann man jetzt argumentieren, dass 10 Euro vielleicht zu wenig waren und man 100 Euro nehmen müsste, wenn es kein Notfall war. Aber wonach soll ich denn entscheiden, ob ein Notfall vorliegt oder nicht? Schlussendlich kommen ja genug Menschen, die für sich subjektive Notfälle haben, was ich aber ganz anders sehe. Für den einen ist eine plötzlich eingesteigte Schulter ein Notfall. Für mich ist das eine Sache, die ich ganz lapidar in die Niederlassung schicke.

Zudem stellt sich ja auch noch das Problem unseres perfiden Gesundheitssystems. Durch die grottenschlechte Vergütung der Notfallbehandlung, weckt man ja bei privaten Klinikbetreiber überhaupt kein Interesse daran, eine Notaufnahme wieder leer zu kriegen. Der freut sich doch über jeden potentiellen "Kunden", den er aus der Notaufnahme auch bei vermeintlichen leichten Erkrankungen und Verletzungen in seinem Haus aufnehmen kann. Umso schwerer ist ja noch, dem vermeintlichen Nichtnotfall klar zu machen, dass er nichts in der Notaufnahme zu suchen hat, weil es eben auch Krankenhäuser gibt, die ihn als Belohnung stationär aufnehmen (durchaus unnötigerweise).

Außerdem sollte man bei all dem Käse der Herumdokterei nicht vergessen, dass eine wie auch immer geartete Gebühr nicht dafür sorgen wird, dass die Notaufnahmen plötzlich leer werden, sondern allenfalls den Anstieg abmildern. Es lässt ja auch kaum ein Notarzt oder Rettungsdienst noch Patienten zu Hause. Könnte ja eine Leerfahrt werden oder man hat dann doch irgendwas falsch gedeutet. Und wie soll ich jetzt jemandem zur Gebühr verdonnern, wenn ihn doch der Rettungsdienst mitgenommen hat?

Das Problem wird sich kaum lösen lassen. Die Politik muss aber endlich mal lernen, mit dem Problem der vollen Notaufnahmen umzugehen. Da gilt es ganz einfach die Notaufnahmen finanziell zu stärken mit besserer Vergütung. Dann kann auch mehr pflegerisches und ärztliches Personal eingestellt werden und man kann auch mehr Fachleute dort hinsetzen, die schneller und effektiver arbeiten können, statt Assistenzärzte im 1. und 2. Ausbildungsjahr dort verhungern zu lassen. Mehr Patienten kann man eben nur mit mehr Manpower und besserer Qualifikation stemmen. Und das kostet Geld. Geld was bis jetzt keiner bezahlen will.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge



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