Inwiefern hat euch die Arbeit desillusioniert?
Ich höre und lese immer wieder von Menschen, die im Studium sehr optimistisch waren was ihre berufliche Zukunft und den Berufsalltag an sich anbelangt. Hinterher kommt aber oft die Ernüchterung und die Betroffenen sind oft desillusioniert und frustriert. Inwiefern hat euch eure Arbeit desillusioniert? Was habt ihr euch zu Studienzeiten oder vielleicht sogar Schulzeiten ganz anders vorgestellt als es letzten Endes war?
Aus dem Studium kenne ich es, dass dort Dozenten die beruflichen Chancen der angehenden Akademiker sehr blumig beschrieben haben, so als würde einem nach dem Studium die Welt offen stehen. Und wenn man vorher nie gearbeitet hat und es nicht, weiß, dann glaubt man das. Als ich dann nach dem Studium erstmal 80 Bewerbungen schreiben musste, da habe ich schon gemerkt, dass niemand auf einen wartet. Und das ist schon enttäuschend. Zudem merkt man dann auch, dass es gar keinen interessiert, welche Abschlussnote man hat. Warum hat man sich also Mühe gegeben, auf einen Einserdurchschnitt zu kommen? War umsonst.
Zudem waren die Stellen, die ich nach dem Studium hatte, auch nicht wahnsinnig gut bezahlt. Bei meinem ersten Job hatte ich beispielsweise nur 1900 brutto, für eine Vollzeitstelle. Aber ich hatte halt nichts anderes gefunden. Das ist schon frustrierend und ich finde auch, dass man als Absolvent besser auf den Berufsstart vorbereitet werden sollte. Die Generation meiner Eltern hatten das Problem nicht, die wurde einer Stelle zugewiesen. Da musste keiner 80 Bewerbungen schreiben. Ich fände es gut, wenn es wenigstens so eine Art Übergangshilfe gäbe, also wenn es eine Institution gäbe, die einem Absolventen dabei hilft, eine passende Stelle zu finden.
Die Jobinhalte waren auch nicht toll. Im Studium ist es ja halbwegs gemütlich, aber in der Arbeitswelt muss man dann den ganzen Tag durchhalten und es wurde auch ein hohes Arbeitstempo gefordert. Das fand ich alles nicht so toll, zumal teilweise Aufgaben dabei waren, die ich nie gemacht habe und die mir aber auch keiner so richtig erklärt hat, es wurde vorausgesetzt, dass man Dinge konnte, auch wenn die mit dem eigenen Fach gar nichts zu tun hatten. ich finde schon, dass manche Firmen von Absolventen viel verlangen und man wird darauf gar nicht so richtig vorbereitet.
Ich fand das Arbeitsleben nicht desillusionierend, weil ich sehr genau wusste, was auch mich zukommt und das schon vorher genau einkalkuliert hatte. Mir war beispielsweise klar, dass ich für Berufswunsch A gute Beziehungen benötige und habe die schon vor dem Studium aufgebaut, damit der Werdegang danach gesichert ist. Zudem war mit auch bewusst, dass ich frisch von Uni kaum etwas weiß, aber viele Dienste komplett allein überstehen muss. Das ist zwar hart und fühlt sich ganz bescheiden an, aber es war eben keine Überraschung. Das galt auch für die miese Bezahlung, die sich aber dank der jahrelangen Vorbereitung schnell verbessert hat.
Im zweiten Berufsleben war es auch nicht anders. Die Professoren haben nie so getan, als hätte man automatisch einen tollen Job. Das wäre auch ziemlich lächerlich gewesen, denn wenn man mit 700 Kommilitonen in einer Vorlesung sitzt, dann ist klar, das man einiges tun muss, damit man am Ende heraussticht. Deshalb habe ich auch da frühzeitig Verbindungen geknüpft, um genügend Vitamin B zu haben, wenn es um einen Job geht. Das war anstrengend und Spaß siegt auch anders aus, aber es hat sich gelohnt.
Hätte ich mich nicht viel vorher damit beschäftigt, dann wäre insbesondere der erste Abschluss schwer zu ertragen gewesen. So wenig Geld, so viel Arbeit und eine so große Überforderung erwartet man eben einfach nicht, wenn man von der Uni kommt. Wer geht schon davon aus, nach dem Studium noch nicht einmal so viel zu verdienen wie den Mindestlohn und dafür ohne Bezahlung für Überstunden 50 oder 60 Stunden pro Woche alleingelassen zu schuften? Heute ist es in dem Bereich nicht besser, man hängt jetzt eben einfach beim Mindestlohn, wenn man nicht entweder Glück hat oder eben rechtzeitig vorgesorgt hat.
Ich war in meinem ganzen Studien- und Berufsleben derart exotisch und nischenmäßig unterwegs, dass mir von Vornherein klar war, den dicken Reibach mache ich mit meinem Begabungsprofil sowieso nicht. Deswegen gab es nicht viel zum Desillusionieren.
Ich finde, dass es generell hilfreich ist, wenn man der Realität so früh wie möglich ins Auge blickt und entsprechend Prioritäten setzt. Bei mir stand der Spaß an der Arbeit und die geringe Wahrscheinlichkeit, mich 60 oder 70 Stunden pro Woche abplagen zu müssen im Vordergrund, und deswegen kann ich mich auch problemlos damit abfinden, ausreichend zu verdienen, aber eben nicht übermäßig.
Und da ich nie die Illusion hatte, ohne einen Funken Begabung und Interesse für alles, was auch nur am Rande mit Zahlen zu tun hat, eine nennenswerte Karriere hinzulegen und den Beteuerungen nicht geglaubt habe, dass auch Geisteswissenschaftler den dicken Reibach machen, war ich hinterher auch nicht "ernüchtert", sondern habe das Beste aus der Situation gemacht.
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