Als Chef Mitarbeiter bei Fehlverhalten zusammenfalten?
Ich habe eine sehr gute Chefin. Sie äußert Kritik immer konstruktiv und selbst wenn ich mal etwas gemacht habe, was ihr nicht so gut gefällt, sagt sie das auch. Ich habe mich noch nie bei ihr wegen Kritik angegriffen gefühlt und fand ihre Ausdrucksweise immer sehr professionell und angemessen und auch so, dass man eben verstanden hat, worum es geht.
Bei einer Bekannten von mir ist das jedoch anders. Diese ist kürzlich wegen einer absoluten Bagatelle aufs Übelste von ihrem Chef zusammengefaltet worden und das sogar noch am Telefon. Meine Bekannte hat dadurch wohl heftig weinen müssen und war gar nicht mehr zu beruhigen.
Selbst die Vertretung des Chefs fand die Reaktion des Chefs wohl total unangemessen und wenig professionell. Könnt ihr nachvollziehen, dass ein Chef seine Mitarbeiter bei Fehlverhalten direkt zusammenfaltet? Wie würdet ihr in so einem Fall reagieren? Wäre das für euch ein Grund zur Kündigung?
Ich finde, das kann man immer nur im Einzelfall beurteilen. Dabei kommt es auf den Chef oder die Chefin an und auf den jeweiligen Mitarbeiter. Der Chef in meiner Ausbildung war sehr explosiv. Während ich meine Ausbildung beendet habe, das gesamte Studium Kontakt hatte und später wieder dort gearbeitet habe, hat meine Kollegin geschmissen.
Und damit war die nicht allein, in sieben Jahren hat da ansonsten niemand seine Ausbildung beendet. Eigentlich hätte die Kollegin gern den Ausbildungsbetrieb gewechselt, aber er hat nicht zugestimmt. So blieb ihr nur der komplette Ausstieg und ein anderer Beruf. Denn wenn jemand mit 17 Jahren Magengeschwüre bekommt und morgens nach dem Aufwachen Weinkrämpfe hat, dann geht es nicht.
Und ganz ehrlich? Hätte meine Mutter keinen Chef gehabt, vor dem Ehefrau und Station- und Assistenzärzte über den Balkon vor ihrem Büro geflüchtet sind, und hätte ich nicht lange für einen Pferdehändler gearbeitet, den man oft im halben Naherholungsgebiet gehört hast, wäre ich ganz sicher auch Baden gegangen.
Denn dieser Chef war eigentlich bewundernswert diszipliniert, sehr gebildet, mit ausgezeichneten Umgangsformen ausgestattet und offensichtlich den Umgang mit Hauspersonal gewohnt. Deshalb war er eigentlich immer höflich, distanziert und leise. Und nach einigen Monaten, in denen man das Gefühl hatte, man hat Lord Grantham als Chef, tickte der wegen Kleinigkeiten vollkommen aus.
Dabei musste kein großer Fehler passiert sein und man musste nicht der Verursacher sein. Man war da und damit der Sündenbock. Das halt auch, wenn man einen Fehler gemacht hat, weil das in der Ausbildung noch nicht vermittelt worden ist. Dann rauschte der an und brüllte los. Dabei ging es komplett unter die Gürtellinie. Dämlich, unfähig oder das Kind von Trampeltieren gehörten noch zu den eher zahmen Äußerungen. Der steigerte sich immer mehr herein und bekam hektische violette Flecken.
Mich hat das zwei- oder dreimal echt erschreckt, dann war es vorbei. Ich stand dann immer mit demütig gesenktem Kopf vor ihm und biss mir auf die Backen, damit ich nicht loslachen muss. Ich hatte in dem Moment immer eine wütende Comicfigur vor Augen und auf einen Herzinfarkt oder Schlaganfall gewartet.
Wenn er es übertrieben hat, habe ich ihn später, wenn er sich abgeregt hatte, selber zusammengestaucht. Natürlich habe ich das immer unter vier Augen getan, damit er sich nicht bloßgestellt fühlt. Und ich habe mich nie über meine Befindlichkeiten beschwert, sondern ich habe ihn auf unprofessionelles und für seine gesellschaftliche Position unangemessenes Verhalten vorgehalten. Das war ihm dann immer peinlich und er hat sich brav entschuldigt. Wenn es nicht so wild war, habe ich es einfach aus gesessen. Mit der Zeit hörte das Ausrasten bei mir fast komplett aus.
Leider hatte die Kollegin nicht so gute Nerven. Die Ärmste hatte Angst und versuchte sich zu rechtfertigen. Das reizte diesen Mann noch viel mehr. Jede Tirade dauerte dadurch viel länger und die würde zum bevorzugten Ziel. Dass sie das nicht ausgehalten hat, das ist nun wirklich verständlich. Denn eigentlich ging es gar nicht um Fehler, der Gute hat privaten und beruflichen Stress an seinen Mitarbeitern ausgelassen. Was ziemlich erbärmlich ist, wenn man bedenkt, dass er sich aufgrund seiner Herkunft und seiner beruflichen und gesellschaftlichen Leistung für jemanden besseres hält, dem Normalsterbliche mit Respekt und Ehrerbietung begegnen müssen.
Wir sind auch zwanzig Jahre später noch befreundet, aber das macht seine Schwächen nicht weniger problematisch. Und nur weil ich diesen austickenden Chef immer gut aushalten und notfalls in die Schranken weisen konnte, könnte ein anderer mich sicher dazu bringen, alles ganz schnell hinzuschmeißen. Es kommt eben immer auf die jeweilige Konstellation an.
Ich hatte auch schon mal einen Chef, der absolut cholerisch war und der Meinung, dass er sich jedes Mal wegen jeder Kleinigkeit richtig Dampf ablassen kann bei seinen Angestellten. Das war für mich kein Job für die Ewigkeit, deswegen hat es mir irgendwann gereicht und ich habe zurückgebrüllt. Nachdem ich ihm ordentlich die Meinung gegeigt hatte, sah er mich dann auch als "normales Gegenüber" und war nicht nochmal der Meinung mich anschreien zu müssen.
Bei einem Job, auf den man angewiesen ist und den man wirklich sein Leben lang machen will, sollte man vielleicht dann eher ruhig das Gespräch zum Chef suchen und dann sehen, was man von ihm ertragen kann und was so passiert.
Ich kenne so etwas auch und natürlich kann ich es auch verstehen, dass man dann erst einmal total fertig ist. Wie man dann reagieren sollte und würde, das würde ich aber immer auch in der jeweiligen Situation schauen. Bei manchen Chefs ist es tatsächlich so, dass man noch tiefer in der Achtung sinkt, wenn man dann weinend zusammenbricht oder sich stammelnd rechtfertigt.
Dann hilft es manchmal wirklich nur, dem Chef zurück die Meinung zu geigen. Das ist natürlich nicht jedermanns Sache und außerdem ist das natürlich je nach Chef auch eine Gefährdung des eigenen Jobs. Aber manchmal ist es dann tatsächlich so, dass man sich so den Respekt des Chefs erarbeitet und dass man dann vielleicht Ruhe hat oder es zumindest leichter wird.
Aber als allgemeinen Tipp würde ich das eben auch nicht sehen, weil das eben sehr von den Personen und der Situation abhängt. Darum würde ich aber auch nicht sagen, dass das direkt ein Kündigungsgrund ist. Wenn das aber häufiger vorkommt und man dann immer so traurig ist, dann kann es das natürlich auch nicht sein.
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