Globalisierung Schuld an der Akademikerschwemme?

vom 05.02.2018, 00:46 Uhr

Bei uns im Bekanntenkreis fand kürzlich eine sehr interessante Diskussion statt. Es ging darum, wo die Ursachen der vielfach kritisierten Akademikerschwemme liegen. Manche der Anwesenden waren der Ansicht, dass hier die Globalisierung Schuld ist, da viele niedrig qualifizierte Arbeitsplätze dadurch bedingt nach China oder in andere Billiglohnländer abwandern. Es wurden der Schiffbau, die Stahl- und Textilindustrie als Beispiele genannt.

Andere wiederum waren der Ansicht, dass nicht die Globalisierung, sondern eher die Technisierung und die Industrialisierung 4.0 nicht nur wegen dem Internet, sondern mit der zunehmenden Robotisierung Schuld an der Akademikerschwemme seien. Denn dadurch bedingt hätte man gar keine Chance mehr, eine Ausbildung zu machen, da viele Berufe eben wegfallen würden durch Maschinen und Technik.

Wie seht ihr das? Findet ihr, dass man konkrete Ursachen für die Akademikerschwemme benennen kann? Welche sind das eurer Meinung nach? Gibt es Faktoren, die ich bei diesem Beitrag nicht berücksichtigt und erwähnt habe?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Alleine der Begriff Akademikerschwemme stößt mir sauer auf, da hier wie so oft in der Wirtschaft Menschen alleine auf Grund ihrer beruflichen Qualifikation zu reinen Objekten degradiert werden. Man denkt hier automatisch eher an eine Flutwelle oder einen Heuschreckenschwarm als an Mitmenschen. Sehr charmant.

Aber ganz davon abgesehen glaube ich, dass viele Faktoren dazu beitragen, dass immer mehr junge Leute bestimmte Fächer studieren, während in anderen Sparten händeringend Fachkräfte gesucht werden. Als erstes fällt mir das Prestige ein, das bei uns schon seit Jahren an einen Hochschulabschluss geknüpft ist. Allein hier im Forum bekommt man manchmal den Eindruck, dass der Mensch erst beim Bachelor anfängt, und dass Leute, die einen Realschulabschluss und eine Lehre haben, entweder gleich als niederes Fußvolk ohne einen Funken Grips abgetan werden oder dass davon ausgegangen wird, dass diese Arbeitnehmer einfach keine Lust auf Weiterbildung haben und quasi freiwillig oder aus Dummheit auf die Glorie eines Hochschulbesuches verzichten.

Das Image dürfte hier eine große Rolle spielen, sodass auch junge Leute, bei denen es noch vor ein paar Jahren geheißen hätte: Der wird Automechaniker, oder: Die wird Bankkauffrau, mit Nachhilfe vom Grundschulalter aufwärts und massivem Druck durch Studiengänge geprügelt werden, nur damit es hinterher ein paar nutzlose BWLer mehr gibt.

Die Argumentation, dass es in Deutschland weniger Jobs für Stahlarbeiter, Bergleute und sonstige angeblich(!) niedrig qualifizierte Berufsmöglichkeiten gibt, weil diese alle nach China abwandern, halte ich dagegen für Blödsinn. Auch wenn es in manche Köpfe nicht hineinzugehen scheint: Nicht jeder hat die Begabung für ein Uni- oder FH-Studium, was im Umkehrschluss eben auch bedeutet, dass die Leute, die sonst im Stahlwerk oder in der Landwirtschaft ihr Auskommen finden, eben nicht an die Uni gehen, sondern eher in die Dauerarbeitslosigkeit abrutschen. Wieso herrscht in manchen Kreisen eigentlich die Überzeugung, dass jeder studieren kann, wenn er nur will, und die Leute körperlich anstrengende und schlecht bezahlte Jobs nur machen, weil sie sich nichts Besseres vorstellen können?

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


Diese Schwemme ist doch schlichtweg politisch gewollt. Die gute alte Bundesrepublik als große und wichtige Wirtschaftsmacht drohte Ansehen in der Welt zu verlieren, weil hierzulande trotz der deutlichen Steigerungen zu wenige Akademiker entstanden sind. Dass wir eine duale Ausbildung haben und viele Akademiker im Ausland den Titel nur haben, weil sie woanders nicht Krankenpfleger oder Erzieher werden können, ohne die Universität zu besuchen, weil es keine andere Ausbildung gibt, das wurde geflissentlich übersehen.

Der politische Wille war, wir müssen im internationalen Vergleich mithalten. Gleichzeitig jammerte die Wirtschaft, dass Absolventen zu alt seinen und nicht auf den Punkt ausgebildet. Und schon gab es die lustigen Reformen, die mit dem Bachelorabschluss ein Kurzstudium erlauben. Das ist dort, wo die Hochschule eine Berufsausbildung ersetzen muss, sicher sinnvoll, aber hier?

Dazu kommen die ganzen Studiengänge, die für Unternehmen super sind, aber für den Absolventen eine Katastrophe. Früher lernte man sein Fach und konnte sich ein wenig spezialisieren. Das Unternehmen rechnete ein bis zwei Jahre zur Ausbildung und Einarbeitung an der entsprechenden Stelle. Natürlich war man dann spezialisierter als vorher und hatte Berufserfahrung in einem bestimmten Bereich. Aber bei Bedarf konnte man sehr gut Stelle und Einsatzbereich wechseln, weil man komplett ausgebildet war.

Und heute? Da wünschen Unternehmen einen auf den Punkt ausgebildeten Kandidaten. Und schon gibt es Eventmanagement oder Facility Management als Studiengang. Super, die meisten späteren Jobs wären mit einer betrieblichen Ausbildung zu schaffen. Das zeigt sich dann auch im mickrigen Gehalt. Und der andere Teil würde mit einem umfassenden Studium ebenfalls locker zu bewältigen und der Bewerber hätte mehr Möglichkeiten.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



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