Kann man auch "ein bisschen" betrügen?

Für mich ist Betrug Betrug. Dabei spielt es für mich keine Rolle, wie groß oder klein der Betrug gewesen ist. Ich unterscheide hier überhaupt nicht und sehe dazu auch gar keinen Anlass. Umso irritierter war ich, als ich kürzlich den Begriff "Micro-Cheating" gelesen habe. Damit ist nichts anderes gemeint, dass man eben auch "ein bisschen" betrügen kann, was ich so wenig nachvollziehen kann.

Für mich klingt das eher danach, als ob man Betrug, Seitensprung oder was auch immer, damit einfach nur schönreden oder verharmlosen wollen würde. Wie seht ihr das? Findet ihr, dass man durchaus unterscheiden sollte zwischen Betrug und "Mikro-Betrug"? Oder kann man eurer Ansicht nach nicht "ein bisschen" betrügen? Könnt ihr eine Abstufung in diesem Kontext nachvollziehen? Wann betrügt man in euren Augen "ein bisschen"?

Formal gesehen mag das stimmen, für mich gibt es da aber schon Abstufungen. So wie jemand, der einen Kaugummi an der Tankstelle geklaut hat formal auch eine Straftat begangen hat, ist er doch aber nicht auf der gleichen Ebene zu beurteilen, wie jemand, der seinen Nachbarn mit der Axt erschlagen hat.

Das funktioniert für mich auch beim Betrachten von Betrug. Wenn mir eine liierte Freundin erzählte, sie hätte im Urlaub in einem Club abends einem fremden Typen einen kleinen Kuss gegeben, würde ich darauf ganz anders reagieren und eine andere Meinung zu der Sachlage haben, als wenn sie mir offenbarte, schon länger eine Affäre zu haben oder mit jemandem in die Kiste gehüpft zu sein.

Man soll keine Kaugummis an Tankstellen klauen und keine fremden Männer albern abknutschen, aber das sind beides Sachen, für die man jetzt auch niemanden länger hinhängen und als Straftäter oder Betrüger brandmarken müsste. Es gibt eben solche und solche Fehler, wobei ich das jetzt auch nicht so verstanden wissen will, als würde ich so etwas schon irgendwie okay finden. Es ging mir nur um die Verhältnismäßigkeit.

Zum Thema Micro Cheating gab es hier schon Threads. Ich muss sagen, dass viele der Punkte, die da angesprochen werden, ziemlich bescheuert sind. Sachen wie "Er schreibt einer weiblichen Bekannten, einfach nur um Hallo zu sagen" klingen für mich, als wäre die Erstellerin der Liste absolut paranoid und von Eifersucht geplagt. Was ernste Themen betrifft, die echten Betrug darstellen, da sehe ich es wie du, Betrug ist Betrug. Kann sein, dass man einen Kuss eher vergeben könnte als eine wochenlange Affäre, wenn man trotz des Betruges die Beziehung nicht beenden möchte, aber Betrug ist es so oder so und ein Grund die Partnerschaft nicht länger aufrecht zu erhalten.

Ich finde den Begriff zwar bescheuert, weil Betrug für mich etwas anderes ist, aber eigentlich ist doch gemeint, dass man das Vertrauen des Partners durch eigentlich harmlose Kleinigkeiten untergraben kann. Und das ist zwar keine neue Erscheinung und das Theater in Netzwerken, Blogs und Magazinen darum ist lachhaft. Aber an dem Mechanismus scheitern nicht wenige Beziehungen.

Denn je nachdem wie man sich verhält, bekommt ein und dieselbe Handlung ein ganz anderes Gewicht. Ich nehme nur einmal mein Leben. Ich flirte gerne und ständig. Das weiß mein Partner, oft sieht er es auch. Früher hatte ich einen Arbeitskollegen, mit dem habe ich im Hotel ewig an der Bar gehangen und wir sind gemeinsam im Aufzug verschwunden.

Das war nie ein Problem, mein Partner wusste das und ab und zu ist er an der Bar dazu gestoßen. Jetzt verändert man nur eine Kleinigkeit. Nehmen wir an, ich würde nie in Gegenwart des Gatten flirten und von dem Kollegen wüsste er nichts. Und nun erzählt im jemand davon. Dann sieht das aber nicht mehr so harmlos aus.

Außerdem reite ich oft mit einem bestimmten Mann aus, telefoniere privat mit jemandem aus der Marketingabteilung eines Kunden und gehe locker mit unserem Helfer auf dem Hundeplatz um, der oft nur einen Slip trägt. Das ist alles kein Thema, da steckt nichts hinter. Aber wenn man sich vorstellt, dass der Partner davon gar nichts weiß und es irgendwann durch Zufall mitbekommt? Dann sieht das ganz anders aus, auch wenn gar nichts passiert ist.