Gar nicht merken, dass man im Paradies lebt?
Viele Ausländer aus ärmeren Ländern sehen ja in Europa oder in Deutschland mehr oder weniger das Paradies auf Erden. Ich finde nicht, dass das Leben hier paradiesisch ist, aber möglicherweise habe ich in dieser Hinsicht auch zu hohe Ansprüche oder habe zu viel mitbekommen, was hier so nicht-paradiesisch "falsch" läuft. Man denke nur an die Kriminalität, Stichwort "Kölner Silvesternacht", teilweise schlechte Aufklärungsquote von Verbrechen und Lohndumping.
Nun meint eine Bekannte von mir, dass man als Bewohner eines Paradieses doch oft selbst gar nicht merken und sehen würde, dass man im Paradies lebt. Man wäre nur immer auf das negative fokussiert und würde das Große Ganze nicht erkennen. Was haltet ihr von dieser Aussage? Meint ihr, dass man es als Bewohner des Paradieses gar nicht selbst merkt, dass man dort lebt? Oder haben andere Menschen (die von außen) völlig falsche, idealisierte, utopische und realitätsferne Vorstellungen und die Bewohner selbst sind Realisten?
Was hat es mit fehlendem Realismus zu tun, wenn jemand, der ganz andere Probleme kennt, das Leben hier sehr erstrebenswert und angenehm findet. Schließlich ist so etwas wie die Kölner Silvesternacht, die manchmal schlechte Aufklärungsquote oder Lohndumping für einen großen Teil der Weltbevölkerung kein Problem.
Für ganz viele würde sich das Leben in nahezu allen Bereichen so deutlich verbessern, dass die Probleme, die es hier gibt, reine Luxusprobleme sind. Lieber eine niedrige Aufklärungsquote als gar keine oder eine korrupte Polizei. Lieber eine Silvesternacht als jeden Tag und jede Nacht Angst vor Vergewaltigung. Lieber Lohndumping als gar keine Arbeit oder Arbeit ohne Lohn.
Dazu kommen dann noch sauberes Wasser, ganz andere hygienische und gesundheitliche Bedingungen. Ein Sozialsystem, das einen bei Krankheit oder im Alter auffängt und so weiter. Es ist doch nicht unrealistisch zu erkennen, dass das das eigene Leben um Klassen verbessern würde.
Das ist etwas vollkommen anderes, als wenn jemand, der in recht guten Bedingungen lebt, unreflektiert Rosinenpickerei betreibt, wie es beispielsweise Crispin gerne tut. Natürlich funktioniert es nicht, einen Aspekt aufzugreifen, ohne die weiteren Auswirkungen zu bedenken. Aber wenn es einem so übel geht, dass man bereits mit ganz wenig schon eklatante Verbesserungen erreicht, dann sieht es anders aus.
cooper75 hat geschrieben:Für ganz viele würde sich das Leben in nahezu allen Bereichen so deutlich verbessern, dass die Probleme, die es hier gibt, reine Luxusprobleme sind. Lieber eine niedrige Aufklärungsquote als gar keine oder eine korrupte Polizei. Lieber eine Silvesternacht als jeden Tag und jede Nacht Angst vor Vergewaltigung. Lieber Lohndumping als gar keine Arbeit oder Arbeit ohne Lohn.
Da kann ich mich eigentlich nur anschließen. Verglichen mit den allermeisten anderen einfachen Leuten auf der Welt leben die allermeisten einfachen Leute hierzulande tatsächlich im Paradies. Für die Oberschicht gelten noch einmal andere Regeln. Was sich bei uns jedoch beispielsweise als "Silvesternacht" anscheinend dauerhaft eingebrannt hat, ist für viele Frauen und Länder keine Krisensituation, sondern Alltag. Und dass bei uns die Züge manchmal Verspätung haben, verblasst auch vor der Tatsache, dass viele andere Länder nicht einmal durchgehend geteerte Straßen haben oder ähnliche Mängel in der Infrastruktur, die wir uns nicht einmal vorstellen können.
Und ich finde auch, dass man unterscheiden sollte zwischen Einzelfällen und dem ganz normalen Alltagsleben ganz normaler Bürger. Im Großen und Ganzen habe ich schon den Eindruck, dass die Leute hierzulande ein Leben in Frieden und Wohlstand führen und sich eher Gedanken darüber machen müssen, ob die neue Rezeptur eines Schokoriegels besser sei als die alte als darüber, woher sie morgen frisches Trinkwasser bekommen können. Das Forum hier liefert auch weitere schöne Beispiele für Luxusprobleme.
Natürlich gibt es das Paradies auf Erden auch bei uns nicht, aber ich empfinde es schon als arge Verzerrung der Realität, wenn man sich hinstellt und behauptet, dass etwa der hier herrschende Alltags-Sexismus nicht weniger schlimm sei als das Schicksal der Bäuerinnen im ländlichen Uganda oder ähnliches.
Ich habe vor Kurzem ein Buch gelesen, in dem es unter anderem um das Thema Konsum geht und die Frage, warum wir immer wieder neue Dinge haben wollen. Der Autor spricht von einem Gewöhnungseffekt, also das man neue und aufregende Dinge irgendwann einfach als normal empfindet und dann auch nicht mehr Wert schätzt. Und für den nächsten Kick muss dann wieder etwas Neues her.
Ich glaube das geht uns in der ersten Welt mit all ihren Annehmlichkeiten ganz genauso. Man steht nicht Morgens unter der Dusche und denkt sich "wie geil, dass ich nicht fünf Kilometer laufen musste um in dreckigem Flusswasser zu baden". Ich gebe auch nicht beim Arzt meine Karte ab und denke "wenn ich in Amerika wäre würde mich der Spaß jetzt tausend Euro kosten". Es ist für uns einfach völlig normal, dass für alle Grundbedürfnisse gesorgt ist.
Natürlich wird man nie in der perfekten Welt leben, es gibt immer irgendwo irgendwas, das besser laufen könnte. Aber wenn man sich immer auf das fokussiert, was man nicht hat, verliert man den Blick für das, was man hat. Führt zu überfüllten Kleiderschränken und zu diesem ständigen Nörgeln, das die Deutschen so gut können.
Ich denke auch, dass wir hier verglichen mit den Lebensbedingungen in so manchen anderen Ländern schon im Paradies leben. Sicher gibt es einige Dinge, die anders besser wären, aber das ist doch immer so. Aber ich denke auch, dass der Gewöhnungseffekt nicht zu verachten ist. Wenn man sich so daran gewöhnt hat, die Möglichkeiten zu haben, die man hier hat, dann sieht man diese positiven Dinge nicht mehr und merkt es eben nicht, dass man im Paradies lebt oder zumindest an einem Ort, wo es einem schon gut geht.
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