Wie konnte die BRD 12 Millionen Flüchtlinge aufnehmen?

vom 30.08.2015, 08:34 Uhr

Da hier gerade so über die angeblich so hohen Flüchtlingszahlen gejammert wird, erinnere ich daran, dass nach 1945 ungefähr 12 Millionen Deutsche aus den Ostgebieten vertrieben wurden und fast ausschließlich auf dem Gebiet der heutigen BRD landeten. Und da war der Krieg gerade vorbei, viele Wohnungen waren zerstört und die die Wirtschaft war auch nicht unbedingt auf ihrem Höhepunkt.

Nur war damals eben Jammern nicht so angesagt wie heute. Warum ging dies damals so einfach über die Bühne? Weshalb wird heute wegen wesentlich niedrigerer Zahlen so gejammert? Gab es damals etwa auch Brandanschläge oder Demos gegen die Aufnahme von Flüchtlingen?

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Mod am 30.08.2015, 10:59, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen


Wer sollte damals protestieren? Die Menschen waren damit beschäftigt zu überleben? Aber wenn du dir die Zahlen zu Säuglingssterblichkeit bei Vertriebenen, die Seuchen und die Zahl der Verhungerten anschaust, dann wird dir klar, dass sie oft nicht ansatzweise freundlich empfangen worden sind.

Im Sommer 1945 starben 90 Prozent der Kinder unter einem Jahr, wenn sie ostpreußische Eltern hatten und damit sechsmal so viele wie bei den eingesessenen Einwohnern. Auch wer registriert war, bekam oft keine Unterkunft zugewiesen oder wurde nicht aufgenommen. Dazu kamen die nicht registrierten Menschen. Oft zogen die Leute Monate oder Jahre übers Land und wurden immer nur verscheucht. Willkommen waren diese Menschen fast nie, dabei waren sie den damaligen Einwohnern näher als heutige Flüchtlinge.

Und es wurde auch später nicht viel besser. Wer als Spätaussiedler kam, wurde ebenfalls selten nett empfangen. Die Bemerkung, dass der Opa wohl einen Deutschen Schäferhund gehabt haben könnte, war noch die freundlichste. Und das kam nicht von irgendwelchen Rechten, das sagte die Mittelschicht, die aber gerne östlich anmutende Namen trug.

Und wie man in den 1980er Jahren mit den Kindern dieser Menschen umging, da kann ich mich sehr gut dran erinnern.Gute Freunde haben es ein Jahrzehnt davor auch nicht anders erlebt, sie waren selbst betroffen. Und ich meine das Verhalten von staatlicher Seite. Man setzte das Kind einer Spätaussiedlerfamilie einfach in die seinem Alter und seiner Vorbildung entsprechende Klasse, also beispielsweise die 7. Klasse eines Gymnasiums.

Dann ließ man es da rund 2 Wochen einfach sitzen. Nach 2 Wochen beschwerten sich die Lehrer über mangelnde Fortschritte. Wo immer die herkommen sollen, wenn es niemanden kümmert und es keinen Sprachunterricht gibt. Nach 3 Wochen wird das Experiment für gescheitert erklärt. Nach 4 Wochen war ein Platz an einer Hauptschule oder Sonderschule gefunden.

Ja, die Menschen sind direkt nach dem Krieg irgendwie untergekommen. Auch in den Jahrzehnten danach sind sie irgendwie aufgenommen worden. Aber eine Willkommenskultur gab es nicht. Freundlich wurden nur die wenigsten empfangen.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Es ist ja nicht so, dass wir heute wirklich Probleme hätten, Einwanderer aufzunehmen. Jährlich kommen hunderttausende, davon waren zumindest in den letzten Jahren nur ein kleinerer Anteil Asylbewerber. Die größte Gruppe kam dabei immer aus der EU, also Italien, Spanien, Griechenland, aber auch Rumänien und Bulgarien.

Wirklich große Probleme gibt es ja nur in den Landstrichen, die über Jahrzehnte isoliert wurden und mit unsinniger Ideologie vollgepumpt wurden. Kein Wunder, dass die Leute dort nicht mit Flüchtlingen umgehen können. Dort landeten allerdings fast keine Spätaussiedler. Daher kann man die Situation von früher nicht vergleichen.

Das größte Problem sind immer noch Leute, die unreflektiert durch die Welt gehen und die Flüchtlings-"Problematik" wild mit anderen Themen vermischen, obwohl es überhaupt keinen Zusammenhang gibt. Da gibt es doch wirklich Leute, die glauben, dass sie um ihr Hartz-IV fürchten müssten oder dass es keine Erhöhung der Sozialleistungen gibt, wenn mehr Flüchtlinge kommen. Das ist offensichtlich Unsinn, aber es gibt wirklich Leute, die diese Meinung vertreten.

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



@Weasel_: Also dass es nur im Osten des Landes Probleme gibt, stimmt ja nun nicht. Oder wieso brannten auch in Bayern oder Baden-Würtemberg noch nicht in Betrieb genommene Flüchtlingsheime? Aber das wird in den Medien nicht so groß gebracht, deswegen fällt es nicht weiter auf.

Zudem gibt es halt in den neuen Bundesländern wesentlich mehr Objekte die man schnell in eine Unterkunft umwandeln kann. Und genau aus diesem Grund werden in den neuen Bundesländern mehr Asylsuchende untergebracht. Mich persönlich stört es nicht und als neulich jemand bei Facebook berichtet hat, dass die Flüchtlingskinder hier in der Stadt im blanken Dreck spielen, waren meine Töchter auch ganz schnell bereit einiges von ihrem Spielzeug zu spenden. Was ich als Mutter auch unterstützt habe.

Aber ich sehe eher das Problem in der Berichterstattung. Wobei dann die Asylgegner eben genau die Aufmerksamkeit bekommen, die sie mit ihrem Verhalten erreichen wollen. Da bin ich schon immer der Meinung, wenn sich die Medien da nicht immer so drauf stürzen würden, wären manche Vorfälle gar nicht erst passiert. Aber die ständige Medienpräsenz ist ja das was diese Leute erreichen wollen.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Punktedieb hat geschrieben:Zudem gibt es halt in den neuen Bundesländern wesentlich mehr Objekte die man schnell in eine Unterkunft umwandeln kann. Und genau aus diesem Grund werden in den neuen Bundesländern mehr Asylsuchende untergebracht.

Wie kommst du denn darauf? Mehr als 21 % der Asylsuchenden gehen nach Nordrhein-Westfalen, Bayern bekommt gut 15 %, Baden-Württemberg nimmt fast 13 % auf und Niedersachsen immerhin noch fast 10 %. Damit sind etwa 60 % der Flüchtlinge in nur 4 verschiedenen Bundesländern untergebracht, die alle zu den alten Ländern gehören.

In den neuen Ländern kommen je 5 % nach Sachsen und Berlin, je 3 % nach Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen und 2 % nach Mecklenburg-Vorpommern. Also kommen nur rund 21 % aller Flüchtlinge in die neuen Länder und Berlin.

Es geht bei der Verteilung nicht um Platz, sondern um Einwohnerdichte und Finanzlage, daher fällt das so komisch aus. Und wenn man nun die Anzahl der rechtsgerichteten Anschläge mit der Zahl der Einwohner vergleicht, dann passiert da einfach mehr. Natürlich gibt es auch Idioten in den alten Ländern. Aber trotz viel höherer Bevölkerungsdichte, einem viel höheren Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund und mehr Flüchtlingen passiert eben weniger.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


@Weasel_: Also dass es nur im Osten des Landes Probleme gibt, stimmt ja nun nicht. Oder wieso brannten auch in Bayern oder Baden-Würtemberg noch nicht in Betrieb genommene Flüchtlingsheime? Aber das wird in den Medien nicht so groß gebracht, deswegen fällt es nicht weiter auf.

Das habe ich auch nicht gesagt, dass es überhaupt keine Probleme im Westen gibt. Aber es gibt eindeutig im Osten mehr Probleme als im Westen, ganz besonders wenn es um direkte Gewalt gegen Flüchtlinge geht.

In den Medien sind diese Vorfälle natürlich genauso präsent wie die Vorfälle im Osten.

Zudem gibt es halt in den neuen Bundesländern wesentlich mehr Objekte die man schnell in eine Unterkunft umwandeln kann. Und genau aus diesem Grund werden in den neuen Bundesländern mehr Asylsuchende untergebracht.

Woher kommt diese Annahme? Es mag ja sein, dass es im Osten noch mehr Wohnungen im städtischen Besitz gibt, aber das heißt nicht, dass dort auch mehr Flüchtlinge aufgenommen werden. Zur Verteilung wird der Königsteiner Schlüssel herangezogen und dort ist jedenfalls nicht der Wohnungsleerstand berücksichtigt.

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Also wenn ich jetzt sehe, was für Objekte in Ostdeutschland für Asylsuchende genutzt werden, dann wundert mich das schon, dass wir da verhältnismäßig wenig Leute bekommen. Da werden ja nicht nur frühere Kasernen und Baumärkte genutzt, sondern in Erfurt plant man das auch für ein ehemaliges Bordell.

Allerdings muss man auch ehrlich sein und sehen, dass über den Osten und entsprechende Anschläge wesentlich mehr in den Medien berichtet wird. Und damit suggeriert man den Menschen auch, dass es dort wesentlich mehr Probleme gibt. Im Gegensatz dazu wurde über das tolle Fest mit und für die Asylbewerber in Heidenau sehr wenig berichtet.

Und das ist eindeutig ein Problem, was mehr Bedeutung hat, als der gemeine Zeitungsleser oder Nachrichtenzuschauer mitbekommt. Denn negative Themen verkaufen sich eben besser und bleiben dann auch beim Konsumenten besser hängen. Oder warum wurde kaum darüber berichtet, dass die Asylbewerbermannschaft in der dritten Liga ihr Auftaktspiel gewonnen hat? Das wären doch klasse Themen, wo man auch mal zeigen kann, dass es anders geht.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



@ Punktedieb Du bist ja lustig, das empfindest du als Unterbringung bei Enge? Bei uns in der Stadt sind bereits im letzten Jahr 160 Wohnungen beschlagnahmt worden, die Unterbringung in Baumärkten oder ehemaligen Autohäusern ist hier Standard. Dazu kommen Zelte, Turnhallen, Containeranlagen, ehemalige Krankenhäuser und andere Schrottimmobilien, die irgendwie wieder hergerichtet werden. Zuletzt war bei uns kein ehemaliges Bordell im Gespräch, es wurde über einen Laden in Betrieb mitten im Rotlichtviertel verhandelt.

Du musst immer rechnen, wie die Verteilung läuft. Im Schnitt kommen immer etwa 2 Asylbewerber auf 1.000 Einwohner. Wer also mehr Einwohner hat, der bekomme auch mehr Flüchtlinge. Das ganze ist so geplant, damit es sowohl finanziell klappt und damit die einheimische Bevölkerung nicht plötzlich in der Minderheit ist.

Erfurt nimmt deutlich mehr auf als die Gemeinden in der Nachbarschaft, nach dem Schlüssel sind es rund 560 Asylbewerber. In meiner Heimatstadt sind es mehr als 1.000. Das klingt erst einmal problemlos vergleichbar. Aber in Dresden wohnen weniger als 800 Menschen auf einem Quadratkilometer, bei mir sind es mehr als 2.000. Es ist also sowieso schon eng und daher einfach schwerer miteinander und mit Menschen, die andere Vorstellungen vom Leben haben, auszukommen. Denn wir sitzen übereinander.

Erfurt hat eine Arbeitslosenquote von etwa 7 %, wie haben über 13 %. Und genau in den Stadtteilen, wo viele Flüchtlinge untergebracht werden, liegt die Quote über 16 %. Genau diese einfachen Jobs, die Flüchtlinge übernehmen könnten, so lange es mit der Sprache hapert und Qualifikationen nicht anerkannt werden, suchen hier die meisten Arbeitslosen.

Dazu kommt noch, dass wir Anlaufpunkt für Sinti und Roma sind. In einem Stadtteil haben wir über 4.000 davon, die irgendwie hausen, weil sie keine Hilfe bekommen. Generell haben wir teilweise interessante Zahlen. In einigen Stadtteilen leben weniger als 50 % Deutsche. Wobei alle Deutschen mit Migrationshinterrgund schon zu den Deutschen gezählt worden sind. Da ist helle Haut und helleres Haar auf der Straße eine echte Seltenheit.

Aber dafür, dass es so eng ist und oft auch so trostlos und perspektivlos ist, passiert sehr wenig. Denn, und das ist der Unterschied, wir sind es gewöhnt. Hier wohnen nicht die besseren Menschen, hier hat man nur im Vergleich weniger Angst, weil man die Situation kennt. Für und sind diese Fremden einfach viel weniger fremd.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Ich empfinde bei dem Thema gar nichts als lustig. Auch nicht, wenn Asylsuchende mitten in der Nacht umziehen müssen, weil das Zeltlager aufgeweicht und überschwemmt ist. Das bestürzt mich eher, weil diese Menschen eh schon mehr als gebeutelt sind. Und ich bewundere dazu Städte wie Görlitz, die von Anfang an ihre Asylsuchenden nicht zentral irgendwo auf engsten Raum untergebracht haben, sondern gezielt auf die ganze Stadt verteilen.

Denn dort gibt es auf Grund dieser Planungen kaum Probleme. Eine ausländische Familie in der Nachbarschaft macht den bisherigen Anwohnern keine Angst, aber diese Familie wird wesentlich schneller integriert, da sie nicht abgeschottet wird von der schon dort wohnenden Bevölkerung.

Sicherlich in Erfurt ist eh schon Wohnungsknappheit. Aber es gibt genug Städte, wie auch bei uns in Plauen, wo ständig ganze Häuser abgerissen werden, weil zu viel Leerstand ist. Das Potential könnte wesentlich besser genutzt werden.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Auch hier können wir mal sehen, wie ich meine Meinung geändert habe. Inzwischen hatten wir die Kölner Silvesternacht, die Anschläge von Mohammed Daleel und Anis Amri. Mich persönlich kotzt es auch an, dass man Hasskommentare bei Flüchtlingen auch anders bewertet als die Kommentare bei Artikeln über Bezieher von Hartz IV. Während man vom Einzelfall Arno Dübel auf alle schließen durfte, geht dies bei Flüchtlingen nicht. Ein Parasitenvergleich bei Flüchtlingen eines SPD-Ministers Clement könnte ich mir heute nicht mehr vorstellen. Man lernt eben immer dazu.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Mod am 20.11.2017, 20:56, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen

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